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Ausschreibungen bei medizinischen Hilfsmitteln
"Krankenkassen verlangen teilweise demütigende Aufzeichnungen"

Wenn Ausschreibungen nur für standardisierte Hilfsmittel genutzt würden, gäbe es auch nicht so viel Widerstand. Diese Auffassung vertritt die Grünen-Abgeordnete Corinna Rüffer. Rollstühle zum Beipsiel müssten nun einmal in aller Regel individuell an Größe und Bedürfnisse eines Menschen angepasst und im Zweifelsfall schnell repariert werden.

    Corinna Rüffer
    Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer (Imago / Metodi Popow)
    1. Frage: Warum wird auf Ausschreibungen im Bereich medizinischer Hilfsmittelbereich gesetzt?
    Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen): Die gesetzlich Versicherten haben einen Anspruch darauf, dass die von ihnen gezahlten Beitragsmittel wirtschaftlich verwendet werden. Ausschreibungen bei Hilfsmitteln aber auch bei Arzneimitteln sind ein Instrument, um dieses Ziel zu erreichen.
    2. Frage Wie bewerten Sie diese Praxis? Werden Menschen mit Behinderung hierdurch zusätzlich belastet?
    Rüffer: Eigentlich sollten Ausschreibungen nur für standardisierte Hilfsmittel wie Windeln genutzt werden, zudem soll damit eine bedarfsdeckende Versorgung sichergestellt werden. In der Praxis verstoßen einige Krankenkassen gegen beide Anforderungen. Die Petition, die ein Verbot der Ausschreibungen von Rollstühlen fordert, wäre nicht gestartet worden, wenn nur standardisierte Hilfsmittel ausgeschrieben würden. Rollstühle müssen in aller Regel individuell angepasst und bei Bedarf schnell repariert werden können, was beides gegen Ausschreibungen spricht.
    Menschen, die wegen Inkontinenz auf Windeln angewiesen sind, machen darüber hinaus nicht selten die Erfahrung, dass der durch Ausschreibung gefundene Lieferant weniger Windeln liefert, als sie brauchen oder die Windeln in sehr großen Mengen liefert, um die Zahl der Lieferungen zu senken. Reichen die gelieferten Windeln nicht aus, verlangen die Krankenkassen teilweise demütigende Aufzeichnungen des Windelverbrauchs.
    3. Frage: Zur Begründung der Petition wird darauf hingewiesen, dass die Vorgaben aus dem SGB V, § 127 Abs. 1 (Sicherstellung der Qualität, wohnortnahe Versorgung) durch solche Ausschreibungen nicht gewährleistet sei. Ist das der Fall?
    Rüffer: Viele Krankenkassen suchen bundesweit nach den günstigsten Lieferanten. Daher kann es sein, dass ein behinderter Mensch, der in Frankfurt wohnt, seinen Rollstuhl aus Hamburg geliefert bekommt. Ist das der Fall, muss der Lieferant aus Hamburg auch alle Reparaturen und nachträglichen Anpassungen vornehmen. Der Rollstuhlnutzer darf im Extremfall selbst einen platten Reifen nicht bei dem Sanitätshaus reparieren lassen, das einige hundert Meter von seiner Wohnung entfernt ist. Das in der Petition genannte Problem besteht also tatsächlich.
    4. Frage: Stimmt es, dass die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln wie Rollstühlen durch Ausschreibungen länger dauert? Kommt es dadurch zu einer Verlängerung der Lieferzeiten? Gibt es Verzögerungen bei Reparaturen, weil nicht mehr immer wohnortnah repariert werden kann?
    Rüffer: Ob die Lieferungen von Rollstühlen durch Ausschreibungen verzögert werden, entzieht sich meiner Kenntnis. Möglich ist es aber, wenn die Krankenkassen für jeden einzelnen Rollstuhl ein eigenes Ausschreibungsverfahren starten, statt zwei oder drei Kostenvoranschläge von Lieferanten in der Nähe einzuholen. Reparaturen werden dann verzögert, wenn der Lieferant nicht vor Ort sitzt und erst genügend Fälle für eine wirtschaftliche Tourenplanung, zum Beispiel von Hamburg nach Frankfurt, sammeln muss.
    5. Frage: Weiter wird bemängelt, dass bereits durchgeführte Ausschreibungen gezeigt hätten, sollte ein Versicherter eine an seine Behinderung besser angepasste Versorgung einfordern, gehe dies zulasten des Versicherten. Es werde über den Weg der Zuzahlung durch den Patienten eine Kostenbeteiligung eingefordert, die oft viel höher als marktüblich seien. Haben Sie eigene Hinweise auf diese Praxis? Wird über Zuzahlungen tatsächlich die Versorgungsanpassung gesteuert? Und wenn ja, liegen diese über einem marktüblichen Niveau?
    Rüffer: Der Versicherte muss Preisdifferenzen zahlen, wenn das Hilfsmittel beim Lieferanten seiner Wahl teurer ist als bei dem Lieferanten, den die Krankenkasse vorschlägt. Über die konkreten Höhen der Preisdifferenzen liegen mir keine Informationen vor. Grundsätzlich treten diese wohl am ehesten auf, wenn die Ausschreibung ein großer Lieferant gewonnen hat, der beim Hersteller einen größeren Rabatt aushandeln kann, der behinderte Mensch sich aber für ein kleineres Sanitätshaus in seiner Nähe entscheidet. Alleine durch die Ausstattung dürften keine Preisdifferenzen entstehen, da die Krankenkassen unabhängig vom Lieferanten die Ausstattung finanzieren müssen, die der behinderte Mensch braucht und der Arzt verordnet hat. Der Versicherte muss nur dann Teile der Ausstattung selbst zahlen, wenn diese nicht medizinisch notwendig sind.
    6. Frage: Wie lässt sich verhindern, dass durch Ausschreibungen und die damit verbundene Unterbietung der Preise die Einnahmen des Ausschreibungsgewinners so weit gedrückt werden, dass dies zulasten der Produktqualität geht?
    Rüffer: Qualität und Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten müssen eine größere Rolle spielen. Patientinnen und Patienten haben derzeit aber keine echte Handhabe, sich gegen eine patientenunfreundliche Praxis mancher Krankenkassen zu wehren. Deswegen müssen die Beschwerdemöglichkeiten für die Patientinnen und Patienten beim Bundesversicherungsamt einfacher werden. Vor allem aber bei den landesunmittelbaren Krankenkassen – hier haben die Länder die Aufsicht – gibt es kaum Transparenz, an wen sich die Patientinnen und Patienten im Beschwerdefall konkret wenden können. Das muss sich schnell ändern. Unklar ist auch, was aus konkreten Beschwerden folgt und ob die Qualitätsmängel behoben wurden.
    Außerdem sind wir dafür, die Krankenkassen bzw. deren Spitzenverband zur regelmäßigen Evaluierung – zum Beispiel durch PatientInnenbefragungen - der Verträge zu verpflichten, um Qualitätsproblemen frühzeitig auf die Spur zu kommen und den Anreiz für die Krankenkassen zu senken, mit Billigheimern Verträge abzuschließen.
    7. Frage: Sehen Sie die Gefahr, dass durch Preisunterbietungen kleinere Anbieter von Produkten im medizinischen Hilfsmittelbereich aus dem Markt gedrängt werden?
    Rüffer: Die Möglichkeit, dass nur regional tätige Anbieter bei Ausschreibungen unterliegen, ist nicht von der Hand zu weisen. Das kann unter Umständen auch dazu führen, dass kleinere Anbieter aus dem Markt gedrängt werden. Allerdings kann es nicht Aufgabe der Gesetzlich Versicherten sein, mit ihren Beitragsgeldern eine bestimmte Marktstruktur zu subventionieren.
    Die Fragen wurden schriftlich beantwortet.