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Ausschreibungen bei medizinischen Hilfsmitteln
"Es ist wichtig, die Ausschreibungspraxis zu überprüfen"

Die SPD-Bundestagabgeordnete Heike Baehrens drängt auf eine Überprüfung der gesetzlichen Vorgaben. Es gebe eine Reihe von Petitionen, denen zu entnehmen sei, dass die Qualität fast immer hinter dem Preis zurückstehen müsse. Das sei nicht in Ordnung, sagte sie dem DLF.

28.05.2015
    Porträt von Heike Baehrens
    "Nicht nur die UNO-Behindertenrechtskonvention fordert, dass besondere Bedarfe befriedigt werden müssen." (Imago / Horst Rudel)
    1. Frage: Warum wird auf Ausschreibungen im Bereich medizinischer Hilfsmittelbereich gesetzt?
    Baehrens: Die Krankenkassen setzen auf Ausschreibungsverfahren, um durch Rabattverträge günstigere Preise zu erzielen. Auf diesem Wege werden Kosten für die gesamte Versichertengemeinschaft gespart.
    2. Frage: Wie bewerten Sie diese Praxis? Werden Menschen mit Behinderung hierdurch zusätzlich belastet?
    Baehrens: Dies ist zunächst einmal sinnvoll für Medizinprodukte und Hilfsmittel, die in großer Zahl benötigt werden und in der Regel für viele Patienten passend sind. Bei individuell anzupassenden Hilfsmitteln, also bei besonderen Bedarfen, werden Probleme sichtbar. Gerade Menschen mit Behinderungen beklagen, dass sie häufig nur über Widerspruchsverfahren oder gar Gerichtsentscheidungen zu ihrem Recht auf individuell angepasste Hilfsmittel (bspw. Rollstühle oder Inkontinenzartikel) kommen. Nicht nur die UNO-Behindertenrechtskonvention fordert, dass besondere Bedarfe befriedigt werden müssen. Auch im SGB V ist verankert, dass den besonderen Bedarfen von Menschen mit Behinderungen Rechnung getragen werden muss.
    3. Frage: Zur Begründung der Petition wird darauf hingewiesen, dass die Vorgaben aus dem SGB V, § 127 Abs. 1 (Sicherstellung der Qualität, wohnortnahe Versorgung) durch solche Ausschreibungen nicht gewährleistet sei. Ist das der Fall?
    Baehrens: Die Auswirkungen des vor einigen Jahren neu formulierten § 127 müssen dringend überprüft werden. Inzwischen liegen etliche Petitionen vor, aus denen zu entnehmen ist, dass die aktuelle Ausschreibungspraxis einiger Krankenkassen dazu führt, dass fast ausschließlich nur der Preis, nicht aber die Qualität betrachtet wird. Das ist nicht in Ordnung. Gemäß dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz im SGB V muss ein Hilfsmittel 1. wirtschaftlich, 2. ausreichend und 3. zweckmäßig sein. Aus letzteren beiden leitet sich ab, dass die Qualität nicht leiden darf.
    4. Frage: Stimmt es, dass die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln wie Rollstühlen durch Ausschreibungen länger dauert? Kommt es dadurch zu einer Verlängerung der Lieferzeiten? Gibt es Verzögerungen bei Reparaturen, weil nicht mehr immer wohnortnah repariert werden kann?
    Baehrens: Diese Frage kann von den Betroffenen besser eingeschätzt und beantwortet werden. Aus etlichen Erfahrungsberichten weiß ich, dass es wohl zutreffend ist.
    5. Frage: Weiter wird bemängelt, dass bereits durchgeführte Ausschreibungen gezeigt hätten, sollte ein Versicherter eine an seine Behinderung besser angepasste Versorgung einfordern, gehe dies zulasten des Versicherten. Es werde über den Weg der Zuzahlung durch den Patienten eine Kostenbeteiligung eingefordert, die oft viel höher als marktüblich seien. Haben Sie eigene Hinweise auf diese Praxis? Wird über Zuzahlungen tatsächlich die Versorgungsanpassung gesteuert? Und wenn ja, liegen diese über einem marktüblichen Niveau?
    Baehrens: Aus meiner Sicht ist es problematisch, wenn der Sachleistungsanspruch der Versicherten eingeschränkt wird. In den allermeisten Fällen wird von den Betroffenen Widerspruch eingelegt, weil ein medizinisch begründbarer oder teilhabepolitisch begründbarer Bedarf nicht befriedigt wird. Dies wäre beispielsweise ein Rollstuhl, der auf besondere Körpermaße des Betroffenen oder Bedienfähigkeiten zugeschnitten ist oder der besondere Mobilitätsanforderungen erfüllt.
    6. Frage: Wie lässt sich verhindern, dass durch Ausschreibungen und die damit verbundene Unterbietung der Preise die Einnahmen des Ausschreibungsgewinners so weit gedrückt werden, dass dies zulasten der Produktqualität geht?
    Baehrens: (Siehe oben) Es ist wichtig, die Ausschreibungspraxis zu überprüfen und Qualitätskriterien zu verankern. Man sieht dies beispielsweise an den riesigen Spannen bei Inkontinenz-Pauschalen und den Unterschieden zwischen den Krankenkassen.
    7. Frage: Sehen Sie die Gefahr, dass durch Preisunterbietungen kleinere Anbieter von Produkten im medizinischen Hilfsmittelbereich aus dem Markt gedrängt werden?
    Baehrens: Dieser Einschätzung stimme ich zu. Denn bei Ausschreibungen haben Großanbieter grundsätzlich einen Vorteil.
    Die Fragen wurden schriftlich beantwortet.