Silvia Engels: Mitgehört hat der Bundesaußenminister von der SPD. Guten Morgen, Heiko Maas.
Heiko Maas: Guten Morgen, Frau Engels!
Engels: Herr Maas, sind Sie erleichtert, dass Theresa May vorerst im Amt der Parteichefin und damit auch Premierministerin bleibt?
Maas: Na ja, in gewisser Weise schon, denn zumindest ist damit das totale Chaos abgewendet worden. Wenn die britische Regierung ohne Premierminister dagestanden hätte, hätte wahrscheinlich niemand mehr gewusst, wie es weitergehen soll. Insofern haben wir jetzt noch mal eine Chance mit Theresa May, die im Unterhaus in London dafür wirbt, dass sie eine Mehrheit für diesen Vertragstext bekommt, der ein Kompromiss ist zwischen beiden Seiten, wo jeder etwas gegeben hat, und ich glaube, man muss alles unternehmen, um zu verhindern, dass es zu dem sogenannten harten Brexit kommt, ohne dass es vertragliche Regelungen gibt, wie dieser Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union vonstattengeht.
Engels: Alles unternehmen, sagen Sie, damit es keinen harten Brexit gibt. Aber keine rechtlichen Neuregelungen, keine Neuverhandlungen. Wie soll das funktionieren?
Maas: Na ja. Letztlich müssen die Briten uns das sagen. Denn wenn es jetzt Vorschläge aus Brüssel gibt, kann ja niemand beurteilen bei dem Durcheinander, das es in London gibt, ob das ausreicht, um eine Mehrheit im Unterhaus zu bekommen. Insofern sind da die Briten in der Vorhand, noch einmal zu sagen, wie es weitergehen soll. Im Übrigen trifft innerhalb der Europäischen Union das, was an Vertragstext ausgehandelt worden ist, auf die Zustimmung aller anderen europäischen Mitglieder. Insofern wird das nicht so einfach sein, alle davon zu überzeugen, daran etwas zu ändern. Man muss davon ausgehen, dass der Text, der jetzt vorliegt, der ist, über den auch zu entscheiden sein wird.
"Dieser sogenannte Backstop ist auch schon ein Zugeständnis"
Engels: Der Punkt, der zuletzt immer in Großbritannien der strittigste war, ist natürlich der der Notfall-Lösung, der Backstop, um zu verhindern, dass zwischen Nordirland und Irland eine harte Grenze entsteht. Gibt es hier noch Spielraum, Theresa May hier entgegenzukommen?
Maas: Ich glaube, bei dem, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist man Großbritannien schon entgegengekommen. Es gibt niemanden, der verantworten will, dass es diese sogenannte harte Grenze zwischen Irland und Nordirland gibt, die ganz einfach bedeutet, dass der Konflikt zwischen Irland und Nordirland wieder aufbrechen könnte, und das kann wirklich niemand verantworten. Die Regelung, die wir gefunden haben, dieser sogenannte Backstop, ist auch schon ein Zugeständnis, so wie er vereinbart worden ist. Das was die Briten jetzt wollen ist, dass das zeitlich befristet wird oder aber einseitig kündbar ist von britischer Seite. Das ist ein Punkt, von dem ich mir sehr schwer vorstellen kann, dass er in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf Zustimmung stößt.
Engels: Und die deutsche Position wäre da auch, hier nichts ändern zu wollen?
Maas: Das ist richtig. Wir haben immer gesagt, der Vertrag, dem das britische Parlament ja schon zugestimmt hat, ist ein Kompromiss. Da ist auch die Europäische Union schon auf Großbritannien zugegangen. Und es kann auch nicht sein, dass die Bedingungen lediglich einseitig diktiert werden. Deshalb ist das ein Text – letztlich müssen ja alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dem zustimmen -, der nicht mehr die Verhandlungsgrundlage ist, sondern die Entscheidungsgrundlage.
Dass es viel guten Willen gibt aus Brüssel, bei der Kommission in diesen Verhandlungen, aber auch bei den Schwierigkeiten, die es jetzt in London gibt, das ist, glaube ich, schon so. Aber letztlich müssen wir uns auch verlassen können auf das, was in der Europäischen Union vereinbart worden ist, und was ja auch letztlich bereits die Zustimmung des britischen Kabinetts gefunden hat.
Engels: Wir haben jetzt schon viel davon gehört, dass auf dem EU-Gipfel es nur noch darum gehen kann, vielleicht Theresa May eine erneute Zusatzvereinbarung oder eine Willenserklärung zu geben, die dann möglicherweise vorsieht, dass die EU noch mal erklärt, dass sie ebenso wie Großbritannien sehr daran interessiert sei, zügig ein neues Freihandelsabkommen mit Großbritannien zu schließen, damit die Notfall-Lösung, der Backstop nie notwendig wird. Was macht Sie aber optimistisch, dass man in den kommenden zwei Jahren das lösen kann, was in den letzten beiden Jahren nicht gelang, weil zu kompliziert?
Maas: Na ja, weil ich daran glaube, dass es auf beiden Seiten Leute gibt, die ganz einfach Verantwortungsbewusstsein haben. Ein ungeregelter Brexit wird große Nachteile für beide Seiten bedeuten, auch wirtschaftlich. Das wird Arbeitsplätze gefährden, in Großbritannien, aber auch in Europa. Letztlich wird Großbritannien ein Teil Europas bleiben, auch wenn sie nicht mehr in der Europäischen Union sind, und wir sind gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in Großbritannien, aber auch in Europa dafür verantwortlich, nicht sehenden Auges in ein solches Desaster zu laufen.
Das muss trotz aller innenpolitischen Implikationen, die es in London gibt, doch letztlich das erste Gebot sein: Wie können wir eine solche Entscheidung, die in einem Referendum von den Britinnen und Briten getroffen worden ist, nun so umsetzen, dass daraus so wenig Nachteile wie möglich entstehen. Denn durch den Austritt Großbritanniens gibt es ohnehin schon Nachteile genug. Es ist im Ergebnis ganz banal eine Frage von Verantwortungsbewusstsein und von dem hoffe ich, dass es auf beiden Seiten in ausreichender Form vorhanden ist.
"Wir sind auf alles vorbereitet in Deutschland, auch auf den harten Brexit"
Engels: Dennoch sehen Experten in Großbritannien und auch viele politische Akteure die Chancen als sehr gering an, dass Theresa May mit einem Austrittsabkommen, wie sie es vorhat, plus garniert mit ein paar neuen Absichtserklärungen der Europäer durchs Parlament kommen kann. Und dann?
Maas: Wenn-dann-Fragen sind immer schwierig zu beantworten. Wir haben in den letzten Wochen alles versucht, Beiträge zu liefern, dass auch in Großbritannien eine positive Entscheidung getroffen wird, und das ist das, womit wir uns auseinandersetzen. Dass wir in unserer Verantwortlichkeit in Deutschland uns natürlich längst darauf vorbereiten, dass es auch einen harten Brexit gibt, das gehört auch dazu. Wir haben gestern im Kabinett zwei weitere Gesetze beschlossen für den Fall, dass es in London keine Zustimmung zum Austrittsabkommen gibt. Das gehört letztlich auch dazu. Wir sind auf alles vorbereitet in Deutschland, auch auf den harten Brexit, auch wenn wir alles dazu beitragen wollen, dass er gar nicht erst kommt.
Engels: Die Vorbereitungen in Deutschland dazu laufen also. Aber, um ein böses Wort zu erwähnen: Hat Großbritannien nicht auch ein gewisses Erpressungspotenzial auf der eigenen Agenda, nämlich wenn es einen harten Brexit gibt, dann steht ein großes europäisches Friedensprojekt auf dem Spiel, nämlich den Frieden zwischen Nordirland und Irland zu erhalten. Kann das nicht noch Druck aufbauen, sich doch zu bewegen auf der Seite von Brüssel und auch in Berlin?
Maas: Na ja, das ist ja der Grund, weshalb es diesen Backstop gibt, dass trotz dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union es keine harte Grenze gibt, weil Irland bleibt in der Europäischen Union und Nordirland wird nicht in der Europäischen Union bleiben.
Engels: Aber das ist ja alles hinfällig, wenn das Abkommen beim britischen Parlament durchfällt.
Maas: Aber diese Frage müssen sich die Abgeordneten in London stellen, ob sie das verantworten können. Wenn es keine Mehrheit gibt und es gibt einen harten Brexit, dann gibt es auch eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland und dann würde dieser Fall eintreten. Wie man das mit Verantwortungsbewusstsein vereinbaren kann, ist mir ein Rätsel.
Engels: Was entgegnen Sie Kritikern, die der EU vorhalten, einen zu harten Kurs gegenüber London gefahren zu haben, um auch andere EU-Mitglieder vom Austritt abzuhalten?
Maas: Na ja. Denen sage ich: Stimmt nicht! Weil wenn man sich das Austrittsabkommen anguckt, das auf dem Tisch liegt, wird man feststellen, dass in den einzelnen Verhandlungsphasen die Kommission den Briten auch immer mehr entgegengekommen ist. Was letztlich aber auch nicht geht ist, dass man aus der Europäischen Union austritt, aber alle Vorteile, die eine Mitgliedschaft bedeutet haben, dann mitnimmt, trotz Austritt. Letztlich ist ja Austritt Austritt und damit werden auch alle Rechte und Pflichten betroffen. Die Rosinenpickerei, die sich vielleicht der eine oder andere in London da erhofft hat, die geht so nicht.
Trotzdem wollen wir dafür sorgen, dass Großbritannien auch als Nichtmitglied der Europäischen Union der Union außerordentlich nahe bleibt, in wirtschaftlichen Fragen, in der Außen- und in der Sicherheitspolitik. Aber wer austritt, verliert auch Rechte und kann sich nicht darauf berufen, dass das, was irgendwie gut gewesen ist aus seiner Sicht, dann irgendwie bleibt und alle so empfundenen Nachteile dann nicht mehr vorhanden sind. Das ist auch keine Strategie und das ist auch niemandem in Europa vermittelbar.
"Wir wollen, dass die ukrainischen Seeleute freigelassen werden"
Engels: Der Brexit wird den EU-Gipfel heute dominieren. Aber es gibt auch andere Themen, vorneweg auch das Thema Russland-Ukraine und die Frage, ob die EU-Sanktionen gegen Russland verlängert werden. Dafür scheint ja eine Mehrheit zu bestehen. Aber wie steht es um das Ringen um neue Sanktionen wegen der Schiffskrise im Asowschen Meer?
Maas: Ich gehe auch davon aus, dass die Russland-Sanktionen der Europäischen Union jetzt verlängert werden. Das sind ja die Sanktionen, die verhängt worden sind nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Das ist im Übrigen dann jetzt auch schon ein Zeichen.
Darüber hinaus, finde ich, müssen wir alles dazu beitragen, was zur Deeskalation beiträgt. Das tun wir, gerade als Deutschland. Zusammen mit unseren französischen Partnern führen wir viele Gespräche mit den Russen, mit den Ukrainern. Das Ziel ist Deeskalation und dafür sitzen wir zusammen. Die Forderungen, die es gibt, liegen auf dem Tisch und wir wollen, dass die ukrainischen Seeleute freigelassen werden und dass die Durchfahrt von der Straße von Kertsch auch dauerhaft offenbleibt, dass es so ein Vorfall nicht mehr geben kann in der Zukunft. Da sind die Russen in der Bringschuld. Darüber sprechen wir. Dass gesprochen wird, ist noch gut, aber ich würde diese Gespräche ungern damit belasten, dass jetzt neue zusätzliche Sanktionen beschlossen werden. Wir werden irgendwann einen Strich druntermachen müssen und sehen, wie sich die Dinge entwickelt haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.