Die NATO ist mitten in einem Prozess, sich darauf einzustellen, dass der Verteidigungsfall nicht mehr in Form erklärter Kriege eintritt, sondern durch sogenannte "hybride Konflikte" ausgelöst werden könnte:
"Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass das zur Zukunft der Konflikte stärker gehören wird als in der Vergangenheit."
Bundesaußenminister Steinmeier treibt das seit dem Agieren Moskaus auf der Krim um. Wie seine Kollegen aus den übrigen 27 NATO-Ländern. Und den NATO-Generalsekretär:
"Russland zeigt diese Form des Angriffs in der Ukraine. Russland bedient sich dort einer Mischung militärischer und nicht militärischer Mittel, offener und verdeckter Aktionen, des Internets, der Fehl-Information und der Irreführung."
Wenngleich NATO-Generalsekretär Stoltenberg keine unmittelbare Bedrohung für NATO-Mitgliedsländer durch diese Art russischen Handelns sieht, so ist doch die Sorge - vor allem der ost-europäischen NATO-Länder - mit ihren starken russischen Minderheiten ins Visier Moskaus geraten zu können, groß.
Lösen hybride Angriffe den NATO-Verteidigungsfall aus?
So groß, dass die NATO bekanntlich ihre Präsenz an ihren Ostgrenzen erhöht hat. Genauso wie verstärkte Übungsaktivitäten und Bestrebungen, im Falle des Falles zukünftig binnen weniger Stunden eine besonders schnelle Eingreiftruppe in nennenswerter Stärke einsatzfähig haben zu können, gehören all diese Anstrengungen zum NATO-Konzept, Abschreckung glaubwürdig demonstrieren zu wollen.
Eine Kernfrage ist dabei eine äußerst schwierige – und auch darum werden sich die Diskussionen in Antalya drehen: Was bedeutete Artikel 5, also die vertragliche Verpflichtung, NATO-Länder kollektiv zu verteidigen, falls eines angegriffen wird, für den Fall, dass der Angriff "hybrid" ist? Wenn keine Soldaten, sondern nicht zu identifizierende sogenannte "grüne Männchen" in Staaten einsickern? Wenn Propaganda zur Waffe wird?
Wann ist auch einem unerklärten Krieg mit einer erklärten Artikel-5-Reaktion zu begegnen? Fragen, die zu diskutieren sind, die auch den Sicherheitsexperten der CDU im Europaparlament, Michael Gahler, beschäftigen:
"Man muss natürlich versuchen zu definieren, wann ist die Schwelle der Verteidigungssolidarität erreicht. Wenn's drei 'grüne Männchen' sind und Flugblätter geworfen werden, das wird unterhalb einer militärischen Antwort dann die Polizei oder die zuständige Sicherheitsbehörde bewerkstelligen können, aber wenn es dann systematisch ein Einsickern wäre, da wäre dann die Frage zu stellen, ob man da dann das Militär einsetzt."
"Hybrid war ist auch Krieg"
Der CDU-Außenpolitiker im Europaparlament, Elmar Brok, fordert daher:
"Dass wir eine klare Definition hinbekommen, dass 'hybrid war' auch Krieg ist, weil das für die Glaubwürdigkeit der NATO-Abwehr wichtig ist."
Hybriden Konflikten kann man aber nicht einseitig militärisch begegnen. Das weiß auch die NATO. Und da ohnehin 21 der 28 NATO-Mitglieder auch EU-Mitglieder sind, bietet sich eine Zusammenarbeit bei dem Thema zwischen beiden Organisationen an. Das würde bedeuten, dass NATO und EU das aufgeben, was manche in Brüssel als geradezu "ritualisierte Nicht-Zusammenarbeit" bezeichnen.
"Ich bin ein entschiedener Befürworter der engeren Kooperation zwischen NATO und EU. Wir können mehr erreichen, wenn wir enger zusammenarbeiten", sagt Stoltenberg. Die EU-Außenbeauftragte Mogherini wird jedenfalls morgen beim Treffen der NATO-Außenminister erwartet.
Treffen in Antalya hat Signalwirkung
Um engere Zusammenarbeit geht es auch in den Gesprächen im Rahmen des NATO-Golf-Kooperationsrates mit Vertretern der Arabischen Liga. Thema dabei ein ebenfalls "Hybrider Konflikt", ausgehend von den islamistischen Terrormilizen des IS oder der ISIS. Am Kampf gegen den IS ist nicht die NATO als Organisation, aber sind viele ihrer Mitglieder beteiligt.
Die Rolle der Staaten in der Region - Jordanien, Irak und andere, Saudi-Arabien, die Türkei nicht zu vergessen – ihre Rolle kann gar nicht hoch genug bewertet werden, meint der Europarlamentarier Gahler. Der gemeinsame Feind IS verbindet alle:
"Wir sind, was ISIS betrifft, fast alle auf der gleichen Seite – nämlich die irakische Regierung, die iranische, de facto auch das Assad-Regime, auch letztlich Saudi-Arabien und die Golfstaaten, Katar, die kein Interesse daran haben, dass sich da etwas festsetzt als sunnitische Terror-Gruppe, die sie letztlich auch unmittelbar gefährdet."
Dass ein Treffen der NATO-Außenminister erstmals seit 2011 wieder außerhalb Brüssels stattfindet und dann auf Einladung der Türkei in Antalya, darf als doppeltes Signal gewertet werden: Erstens, dass die Türkei ihre wichtige Rolle innerhalb der Allianz unterstreichen will. Und zweitens, dass die NATO den südeuropäischen Mitgliedsländern signalisieren will, dass sich nicht alles Sicherheitsinteresse nur mehr – aus Sicht dieser Länder zu Unrecht – auf bedrohliche Entwicklungen an den Ostgrenzen des Bündnisses konzentriert.