"Das sind Punkte, an die man anknüpfen kann", führte Hunko weiter aus. Er betonte, dass es an der Zeit sei, sich mit Russland wieder stärker auf gemeinsame Leitlinien zu verständigen. Ebenso sei es im Fall des Bürgerkrieges in Syrien wichtig, eine politische Lösung zu finden.
Eine ausgeweitete europäische Verteidigungspolitik lehnt Hunko ab. Er sei "entsetzt" über entsprechende Pläne, so der Linken-Abgeordnete. Damit griff er die Aussagen des CDU-Außenpolitikers Kiesewetter an. Dieser hatte zuvor im DLF erklärt, dass Europa nun mehr Geld für die eigene Sicherheit ausgeben müsse, wobei auch gemeinsame Atomwaffen "keine Denkverbote" darstellten sollten. Hunko betonte, dass eine "EU als militärische Supermacht" nicht die Antwort auf politische Herausforderungen sein könne.*
Das Interview in voller Länge:
Stephanie Rohde: Der amerikanische Präsident Obama hat bei seinem Besuch in Berlin die Bündnistreue beschworen. Dabei ist ja weiterhin ungewiss, welchen außenpolitischen Kurs Donald Trump einschlagen wird. Angela Merkel setzt nach dem Gespräch mit dem scheidenden US-Präsidenten Obama und mit vier anderen europäischen Staats- und Regierungschefs auf eine besondere europäische Zusammenarbeit, auch in der Verteidigungspolitik. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Andrej Hunko. Er sitzt für die Linke im EU-Ausschuss des Bundestags und in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und er beschäftigt sich mit Außenpolitik der EU, vor allem in Krisenländern. Guten Morgen, Herr Hunko!
Andrej Hunko: Schönen guten Morgen!
Entspannung mit Russland fördern
Rohde: CDU-Außenpolitiker denken jetzt darüber nach, dass die EU eine eigene atomare Abschreckungsstrategie aufstellen muss. Ist das eine sinnvolle Reaktion auf Donald Trump?
Hunko: Nein. Also, ich bin ehrlich gesagt entsetzt über diese Äußerungen, die da fallen. Donald Trump, von dem wir noch nicht wissen, wie seine Außenpolitik aussehen wird, hat aber zumindest im Wahlkampf angekündigt, dass er die Verständigung wieder suchen will mit Russland auf der einen Seite und dass er auch militärische Aktionen, wie er das als Regime Change bezeichnet hat, dass er das ablehnt. Das sind erst mal Punkte, ich glaube, an denen man anknüpfen kann. Und gerade was den Ost-West-Konflikt angeht, fände ich es sinnvoll, jetzt hier mit Initiativen zu starten für eine neue Entspannung mit Russland, aber nicht jetzt über eine Aufrüstung zu diskutieren und über atomare Abschreckung.
Rohde: Aber Donald Trump hat ja auch angekündigt, sich möglicherweise von der NATO abzuwenden, und dann stünden die Europäer ja schon sehr schwach da. Ist es jetzt nicht gut, schnell eine geeinte eigenständige Außen- und Verteidigungspolitik auf den Weg zu bringen, unter anderem vielleicht auch mit härteren Methoden?
Hunko: Ich sehe nicht das Bedrohungsszenario das dahinter steht. Die Pläne für eine eigenständige europäische Militarisierung sind ja schon angelegt und sind schon länger im Lissabon-Vertrag, aber ich sehe nicht wirklich, dass das jetzt notwendig ist. Ich glaube, wir brauchen statt neuer Militarisierung Entspannung, brauchen wir Friedenslösungen für vor allen Dingen Syrien. Und hier werden Initiativen gefragt, auch der Bundesregierung.
"Man muss jetzt zu politischen Lösungen kommen"
Rohde: Wenn Sie sagen, Sie sehen diese Bedrohung nicht … Also, es gibt zum Beispiel die Terrorgefahr im Inneren, den Staatenzerfall im Nahen Osten, in Afrika, die Destabilisierung durch Russland im postsowjetischen Raum. Ist es da nicht illusorisch zu glauben, dass die EU sich einfach ausklinken kann und damit dann auch militärisch bedeutungslos wird?
Hunko: Natürlich gibt es die Sachen, die Sie eben angesprochen haben. Aber das ist doch nicht mit einer … zum Beispiel einer Atomstrategie zu bekämpfen. Das sind politische Gründe, warum es zu diesen Prozessen kommt. Aber man kann ja nicht auf eine Destabilisierung von Staaten jetzt mit einer Aufrüstungswelle in der EU reagieren, sondern man muss jetzt zu politischen Lösungen kommen und zu einer friedlichen Verständigung auch der Konfliktparteien.
Rohde: Es muss ja nicht unbedingt eine Atomstrategie sein, aber trotzdem ist es ja wichtig, wäre es vielleicht auch wichtig, eine eigene Verteidigungsarmee zu haben, damit nicht andere einfach Fakten schaffen, die militärisch viel besser aufgestellt sind.
Hunko: Also, wie gesagt, dieses Bedrohungsszenario sehe ich nicht. Wer würde das sein, das könnte eigentlich nur Russland sein, auch da sehe ich keine …
Rohde: Zum Beispiel, ja.
Hunko: Ja, ich sehe aber auch keine militärische Bedrohung jetzt der EU durch Russland …
Rohde: Auch nicht in der Ukraine?
"Friedenspolitik ist immer notwendig und nicht idealistisch"
Hunko: Ja, die Ukraine ist erst mal nicht EU und der Konflikt …
Rohde: Aber grenzt an die EU.
Hunko: Der Konflikt in der Ukraine ist ja gerade auch das Ergebnis der NATO-Osterweiterung, der Bedrohungsgefühle Russlands. Und wenn es sozusagen, wenn diese NATO-Osterweiterung jetzt nicht weiter vorangetrieben würde, dann wäre das sicherlich auch ein hilfreicher Schritt in Richtung einer friedlichen Lösung, einer Verständigung mit Russland.
Rohde: Wobei man hier sagen muss, dass die NATO den Konflikt in der Ukraine ja nicht gestartet hat. Lassen Sie uns aber noch mal zurückgehen zu dem Punkt von Donald Trump: Wie soll man sich das denn jetzt vorstellen? Sie haben gesagt, die militärische Aufrüstung, das funktioniert überhaupt nicht. Wie sieht das dann aus zukünftig in Deutschland, wenn es nach Ihnen geht? Steht die Bundeswehr dann ganz alleine da oder stehen wir vielleicht sogar ohne Bundeswehr da?
Hunko: Nein, wir sind ja jetzt ganz konkret in der Situation, dass auch leider im aktuellen Haushalt, der nächste Woche verabschiedet wird im Bundestag, dass zwei Milliarden mehr auch hier für die Bundeswehr eingestellt sind, dass neue Projekte gestartet werden, zum Beispiel der massive infrastrukturelle Ausbau von Incirlik in der Türkei, da sind 58 Millionen im Haushalt eingestellt. Oder die Pläne auch der Bundesregierung, in Israel deutsche Kampfdrohnen zu stationieren und von dort in künftige Einsätze zu schicken. Das hat doch nichts mehr mit Verteidigung zu tun. Sie können mir doch nicht erklären, dass Kampfdrohnen in Israel eine Verteidigungsstrategie Deutschlands sind. Also, ich glaube, diese Offensivstrategie, die wir sehen, die sollte zurückgefahren werden.
Rohde: Alle 28 Mitgliedsstaaten der EU haben sich in dieser Woche geeinigt auf einen Umsetzungsplan für Sicherheit und Verteidigung. Und es scheint da ja einen Konsens zu geben, dass es eine eigenständige Sicherheitspolitik geben muss. Müssen Sie da nicht langsam einfach die Realität zur Kenntnis nehmen und sagen, wir müssen auch militärisch aufrüsten, in gewisser Weise zumindest, statt einfach nur idealistische Friedenspolitik zu fordern?
Hunko: Na ja, ich glaube, Friedenspolitik ist immer notwendig und nicht idealistisch. Aber es gibt … Ich bin natürlich für Kooperation, auch für eine eigenständige europäische Politik. Aber die kann ja dann nicht so aussehen, dass die EU künftig eine Außenpolitik betreibt, wie sie etwa die USA in der Vergangenheit gemacht hat, Stichwort Irak-Krieg, Stichwort Libyen vielleicht auch. Also, das kann ja nicht das Ziel sein. Und ich würde mir wünschen zum Beispiel, dass die EU und die europäischen Staaten sich viel stärker für Friedensprojekte einsetzen. Und es gab zum Beispiel vor zwei Wochen in der UNO eine Resolution, es gibt eine große Initiative in der UNO für die Abschaffung der Atomwaffen weltweit, die auch von europäischen Staaten eingebracht wurde, von Österreich und Irland.
Und das Tragische ist, dass auch Deutschland gegen diese Resolution, die mehrheitlich angenommen wurde, jetzt eine große Initiative und eine große Diskussion in der UNO zur Folge hat, dass Deutschland und auch andere europäische Staaten leider dagegen gestimmt haben. Und hier wäre zum Beispiel eine gemeinsame Initiative der europäischen Staaten für eine atomwaffenfreie Welt … wäre zum Beispiel der richtige Schritt.
Keine Verständigung in Richtung Aufrüstung
Rohde: Die Bedeutung der EU ist ja jetzt größer geworden nach der Wahl von Donald Trump. Muss man jetzt auch anerkennen, dass die sicherheitspolitische Verantwortung größer geworden ist, und wie sieht die dann für Sie aus? Sie haben jetzt den sozusagen friedenspolitischen Teil beschrieben, aber wie sieht die sicherheitspolitische und die verteidigungspolitische Verantwortung aus, ganz konkret?
Hunko: Ja, müssen wir konkret über ein konkretes Problem sprechen. Also, grundsätzlich würde ich sagen, ich bin dafür, dass es eine europäische, gemeinsame Verständigung gibt und eine gemeinsame Richtung gibt, aber eben nicht in Richtung neue Aufrüstung. Das ist doch gar nicht, was die Welt jetzt braucht, sondern in Richtung Entspannung und in Richtung Friedenspolitik.
Rohde: Aber wenn die EU keine richtige Sicherheitspolitik hat, keine einheitliche, ist sie ja weltpolitisch geschwächt. Und stärken Sie damit nicht eigentlich die Nationalisten und Populisten von rechts, die genau darauf aus sind?
Hunko: Die Nationalisten und Populisten … Ich glaube, dass die Ursachen jetzt andere sind als die außenpolitische Orientierung oder friedenspolitische Orientierung der EU. Also, das ist glaube ich nicht der Punkt, an dem die ansetzen.
Rohde: Nein, aber es geht ja sozusagen um die Stärke der EU in der Welt, wie stark die EU auftritt.
Hunko: Aber den Zusammenhang sehe ich ehrlich gesagt nicht so direkt, muss ich sagen. Also, wenn wir jetzt schauen nach Frankreich, zu den französischen Wahlen, da spielt vor allen Dingen die Innenpolitik eine große Rolle, es spielt auch die Prekarisierung der Lebensverhältnisse der Menschen eine große Rolle dabei, aber nicht die Stärke oder Nichtstärke der Europäischen Union in der Welt.
Beteiligung an "militärischen Abenteuern" ist falsch
Rohde: Na ja, je schwächer die EU ist, desto mehr freuen sich die Populisten von der rechten Seite.
Hunko: Das … Ja, das hat vielleicht was … aber nicht … Das hat nicht was sozusagen mit der Stärke der EU in der Welt zu tun, das hat vielleicht was mit Widersprüchen, die die EU intern hat, mit der Eurokrise zum Beispiel zu tun, mit Ungleichgewichten. Da wäre ich natürlich dafür, dass diese Krisen gelöst werden. Aber ich glaube nicht, dass die Antwort jetzt sozusagen auf den Rechtspopulismus sein kann, dass die EU als militärische Supermacht auftritt. Das ist, glaube ich, nicht die Antwort auf den Rechtspopulismus.
Rohde: Lassen Sie uns jetzt auf die Bundestagswahl schauen im kommenden Jahr. Muss sich die Linke nicht langsam da in der Außenpolitik vor allen Dingen auf Grüne und SPD zubewegen, wenn sie Regierungsverantwortung übernehmen will?
Hunko: Was soll das konkret heißen? Sollen wir jetzt auch – nehmen wir die Beispiele, die ich eben genannt habe – für die Anschaffung von Kampfdrohnen sein, für künftige Militäreinsätze? Ich halte diese ganze Entwicklung, dass Deutschland und auch die EU, auch Deutschland sich immer stärker an militärischen Abenteuern beteiligt, halte ich für falsch. Ich denke, hier sollten SPD und Grüne sich eher auf die Linke zubewegen. Also, ich sehe das nicht als Bedingung für eine Regierungsfähigkeit, künftigen Kriegseinsätzen zuzustimmen.
Rohde: Aber die Linke, muss man sagen, tritt da ja selbst nicht geschlossen auf. Also, die linken Reformer haben in der Vergangenheit über den Einsatz militärischer Mittel nachgedacht. Also, Sie haben da ja keine klare Position, mit der Sie jetzt den Grünen und der SPD auch begegnen können.
Hunko: Doch, wir haben … Wir denken natürlich über jeden Militäreinsatz immer konkret auch nach. Aber von den über 200 Entscheidungen, die wir im Bundestag hatten zu Militäreinsätzen, hat die Linke das immer geschlossen abgelehnt.
Rohde: Andrej Hunko war das, er ist für die Linke im EU-Ausschuss des Bundestages. Vielen Dank für das Gespräch!
Hunko: Bitte schön!
*Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version waren einige Äußerungen von Herrn Hunko im Text oberhalb der Abschrift sinnentstellend zusammengefasst.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.