Klaus Remme: Herr Röttgen, bundesweit sind Sie den allermeisten wohl noch immer als Umweltpolitiker bekannt. Immerhin war das ja mal Ihr Ressort im Kabinett. Seit zwei Jahren – wenn ich es richtig sehe – beschäftigen Sie sich vor allem mit der Arbeit im Auswärtigen Ausschuss – jetzt, als Vorsitzender. Was reizt Sie an Außenpolitik?
Norbert Röttgen: Also erstens ist auch schon das Amt des Umweltministers ein internationales Amt. Ich erinnere nur an die Klimaverhandlungen, die internationale Klimapolitik, die auch so etwas ist, wie Klimaaußenpolitik. Und ich finde einfach, wir sind in einer sich globalisierenden, immer stärker verflochtenen Welt. Und gerade diese Woche hat es doch gezeigt: Auf unserem Kontinent, in der Ukraine, tobt ein Kampf. Wir haben über die Verantwortung auch unseres Landes und Europas in Zentralafrika und in Mali gesprochen. Europa kann nicht in dem Dauerkrisenzustand bleiben. Und die Diskussion um die NSA hat auch gezeigt, dass das transatlantische Verhältnis vielleicht neuer Begründung bedarf. Das heißt, es ist so viel los – darum ist es eine faszinierende Aufgabe.
Remme: Da kommen wir im Einzelnen sicher gleich darauf zu sprechen. Ihr Parteifreund Philip Mißfelder hat letzte Woche gesagt, der überparteiliche Konsens im Auswärtigen Ausschuss sei in der ersten Sitzung fast schon erschreckend groß gewesen. Teilen Sie den Eindruck? Und kann das gut sein?
Röttgen: Er ist groß. Ich habe ein paar Sätze gesagt, nachdem ich gewählt wurde. Und einer der Sätze galt der Feststellung, dass wir in Deutschland einen großen außen- und sicherheitspolitischen Konsens haben. Der ist auch im Kern eine Stärke unseres Landes, dass nicht bei jedem Regierungswechsel die Nachbarn fragen müssen: Welche Außenpolitik wird jetzt gemacht? Sondern wir haben Kontinuität. Das ist eine Stärke! Aber das darf natürlich nicht dazu führen, dass wir nicht mehr über Außenpolitik streiten, dass es erlahmt oder gar langweilig wird. Aber ich glaube, die Gefahr besteht nicht, sondern wir haben einen festen Konsens. Und dann muss auch über Einzelheiten und Einzelfragen immer wieder gerungen und gestritten und diskutiert werden.
Remme: Sie haben da eben schon thematisch einzelne Stichworte genannt, die uns beschäftigen werden. Aus meiner Sicht gibt es da eine Beobachtung, die so ziemlich alle Krisen miteinander verbindet, nämlich dass wir Deutsche eigentlich ohnmächtig sind. Obama macht was er will! Putin macht was er will! In Syrien gibt es keine Bewegung! Und selbst mit Blick auf die Ukraine, die Sie genannt haben, dominiert der Eindruck: von außen kaum zu beeinflussen! Warum ist das so?
Röttgen: Zum Einen stimme ich Ihrem Befund zu, dass es eine gewisse außenpolitische Entmachtung des europäischen Nationalstaates gibt – seit längerer Zeit schon. Darin liegt ja, aus meiner Sicht, gerade eine Legitimation der europäischen Einigung. Denn nur wenn wir uns europäisch zusammenschließen, eine Stimme werden in Europa, dann werden wir auch wieder relevant werden, denn wir sind eben als auch großer europäischer Nationalstaat auf der globalen Ebene eben ganz klein. Selbst mit unserem wirtschaftlichen Gewicht marginalisiert sich das auf der globalen Ebene. Also das heißt: Europäisch sein heißt Wiedergewinnung von Gestaltungsmöglichkeiten - auch für uns Deutsche.
Verpflichtende gemeinsame Werte in Europa
Remme: Haben Sie Gesprächskontakte in Kiew?
Röttgen: Ich bin verabredet auf der Münchner Sicherheitskonferenz – also am nächsten Wochenende – mit dem ukrainischen Außenminister. Ich werde nächste Woche mit dem Botschafter sprechen. Das sind die beiden Gespräche, die bei mir verabredet sind.
Remme: Herr Röttgen, haben wir eine Pflicht gegenüber denjenigen, die da im Moment auf dem Maidan ihr Leben riskieren und gegen Präsident Janukowysch aufstehen?
Röttgen: Ja, ich meine, es gibt immer eine, aus der humanitären Gleichheit, für manche auch aus der christlichen Verantwortung gegenüber den Mitmenschen. Eine Verantwortung für diejenigen, die unterdrückt werden, die geschunden werden, die getötet werden. Und auf der anderen Seite kommt noch hinzu: Wir sind in Europa, und darum sind wir eine europäische Gemeinschaft. Das sind gemeinsame Werte, die auch uns verpflichten für ein Engagement.
Remme: Wenn das so ist, werden wir im Moment den Erwartungen und den Hoffnungen der Demonstranten gerecht?
Röttgen: Die Erwartungen können sich ja nur danach richten, was objektiv möglich ist. Was ist der Europäischen Union, was ist einzelnen Ländern objektiv möglich. Ich finde, dass wir das, was möglich ist, auch getan haben jetzt in der Krisensituation, das sich aber noch nicht erschöpft hat. Ich finde, es hat eine eindeutige, klare Verurteilung der Gewalt gegeben, die von der Regierung ausgeht, von der undemokratischen Gesetzgebung, der Unterdrückung von Freiheiten – Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit. Und es hat die klare Ansage gegeben, dass das auch nicht folgenlos bleibt. Ich finde, da hat es eine klare Sprache gegeben. Gleichzeitig gibt es aber auch den Versuch, die Situation zu befrieden – Frau Ashton wird hinreisen. Wir müssen auch alles tun und klar machen, dass die Ukraine, wenn die Regierung diesen Weg weiter geht, sich europäisch völlig isoliert und in völlige Abhängigkeit von Russland gerät. Wir müssen deutlich machen, es wird dann auch rechtliche, auch wirtschaftliche Konsequenzen für Verantwortungsträger geben.
Remme: Aber mir scheint, die Bundeskanzlerin hat gestern das genau entgegengesetzte Signal gegeben, …
Röttgen: Nein.
Remme: … wenn Sie sagt: "Sanktionen sind nicht das Gebot der Stunde." Wann kommt denn diese Stunde, wenn nicht jetzt?
Röttgen: Also, ich habe gerade von rechtlichen und auch vielleicht wirtschaftlichen Konsequenzen – also Konten einfrieren etwa – für besondere und einzelne Verantwortungsträger gesprochen. Bei der Frage der Sanktionen gegen das Land selber, gegen die Ukraine, da muss man fragen: Wem nützt es? Das muss man immer bei Sanktionen fragen. Sanktionen gegen das Land, glaube ich, werden sowieso keine kurzfristigen Wirkungen erzielen. Die Bevölkerung leidet auch unter solchen Sanktionen. Und wir würden, glaube ich, mit wirtschaftlichen Sanktionen auch das Argument derer nähren, die sagen: Von Russland bekommen wir Geld – einen 15-Milliarden-Kredit –, vom Westen bekommen wir Sanktionen. Also wir würden vielleicht das Land noch weiter in die Arme auch russischer Politik treiben. Darum muss man sich wirklich fragen: Bringt das etwas? Kurzfristig nicht, aber dass man einzelne besondere Verantwortungsträger für Gewalt, für Gesetzgebung die unterdrückt, registriert und rechtliche Konsequenzen – Visa-Erteilungen zurücknimmt –, strafrechtliche Konsequenzen prüft, bis hin zu wirtschaftlichen Konsequenzen – Konten einfrieren und anderes - praktiziert, das, glaube ich, knüpft an individuelle Verantwortung an und wird seine Wirkung vielleicht nicht verfehlen.
Röttgen: Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, hat Donnerstag hier im Deutschlandfunk gesagt: "Am Ende konnten wir" – die EU – angesichts der Forderungen aus Kiew – so wörtlich – "nicht mehr mithalten". Herr Röttgen, müssen wir schlicht akzeptieren, dass Russland, in Person von Wladimir Putin, entschlossen ist, den russischen Einflussbereich gegen Westeuropa zu konsolidieren?
Röttgen: Das müssen wir zur Kenntnis nehmen, aber wir müssen es nicht hinnehmen und davor kapitulieren. Denn der Konflikt, der sich jetzt in der Ukraine zeigt, der drückt ja aus, dass ein wesentlicher und wichtiger Teil der Bevölkerung sich nicht mit Geld kaufen lässt, sondern für Freiheit optiert, für europäische Werte, für politische Werte, für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit. Das können wir bieten und natürlich eine wirtschaftliche Perspektive. Aber vielleicht ist auch eine der Konsequenzen der vergangenen Monate, die Frage der Positionierung der Ukraine, dieses Entweder-Oder, den Zwang: Ihr müsst euch für uns oder die anderen entscheiden – wie es ja von Putin gesagt wird. Das sollten wir uns auch nicht zu eigen machen, sondern wir müssen insgesamt, glaube ich, zu einer vernünftigen Partnerschaft kommen. Und die Position zu sagen: Wenn ihr eine Partnerschaft mit der EU in Europa macht, dann müsst ihr euch von Russland abwenden, diese Position vertritt bei uns keiner – aber das müssen wir noch deutlicher machen. Auch ein vernünftiges Verhältnis zu Russland gehört zu einer guten Entwicklung des gesamten Kontinentes. Davon bin ich überzeugt.
Remme: In wenigen Tagen steht ja der EU-Russland-Rat an. Muss die EU hier Flagge zeigen? Wie kann das konkret aussehen?
Röttgen: Ich finde, die EU kann auf diesem Gipfel auch sagen, dass es eine russische Verantwortung gibt für die Befriedung des Landes. Das gehört auch dazu, denn es ist nicht die angemessene Reaktion Russlands, nur weiter Druck auszuüben. Gazprom hat ja jetzt noch mal in der Situation an offene Rechnungen für Gaslieferungen erinnert. Das war ein Beitrag zur Verschärfung der Situation, zur Einschüchterung der Ukraine. Und diese Einschüchterungspolitik, die ist nicht akzeptabel, das ist kein Partnerschaftsgeist.
Remme: Gehört zu der klaren Sprache, die Sie hier fordern, auch das Bekenntnis gegenüber den eigenen Landsleuten, gegenüber uns, dass das Projekt Modernisierungspartnerschaft mit Moskau – ein Projekt aus der ersten Großen Koalition von SPD und CDU – gescheitert ist?
Röttgen: Ich weiß nicht, ob es gescheitert ist. Jedenfalls gehört zu einer Politik für den gesamten Kontinent ein vernünftiges Verhältnis zu Russland. Das ist in beiderseitigem Interesse. Ich glaube auch, die Emotionalisierungen der vergangenen Monate sind am Ende nicht hilfreich. Wir müssen eine klare Sprache gegenüber Missständen und Fehlern, die wir diagnostizieren in der russischen Politik, mit einem klaren Bekenntnis verbinden, dass wir ein vernünftiges, kooperatives Verhältnis zu Russland haben wollen. Ich glaube, wir müssen es etwas entemotionalisieren und auch die Perspektive, die für beide Seiten darin liegt – für Deutschland, Russland, für die EU und Russland –, stärker betonen. Das hilft, glaube ich, beiden Seiten.
Transatlantischen Dissens "nicht beiseiteschieben"
Remme: Herr Röttgen, nehmen wir an, Sie hätten eine halbe Stunde mit Edward Snowden, würden Sie ihn als Vorsitzenden in Ihren Ausschuss einladen?
Röttgen: Nein, ich würde mit ihm natürlich sprechen, aber ich glaube, dass es falsch wäre, ihn nach Deutschland einzuladen.
Remme: Warum?
Röttgen: Weil darin kein Beitrag liegt, die Problematik, die seine Veröffentlichungen aufgerissen haben, zu lösen. Und ich finde, das ist der wichtigste Beitrag, dass wir das, was sich auch jetzt an Aktivitäten der NSA zulasten der europäischen Bevölkerungen, der deutschen Bevölkerung zeigt, auch klären und zu Besserungen führen. Darum würde ich auf Provokationen der USA verzichten und stattdessen eine klare, deutliche Sprache mit den USA führen, die auch nachhaltig ist. Das heißt, auch dann, wenn vielleicht der Medienhype vorüber ist, müssen wir dran bleiben, sodass die nahezu Grenzenlosigkeit der Überwachungsaktivitäten der NSA von uns nicht akzeptiert wird.
Remme: Jetzt hat man vor wenigen Wochen, wenn das Thema auf Edward Snowden kam, immer argumentiert vonseiten der Bundesregierung, man wolle das Problem, den Streit mit den Amerikanern lösen, nicht gegen sie. Spätestens nach der Rede von Barak Obama ist klar, dass die Amerikaner auch Freunde weiterhin ausspionieren wollen und sie wollen auch nicht aufklären in Sachen Kanzlerhandy. Kann das ohne dauerhafte Konsequenzen für das bilaterale Verhältnis bleiben?
Röttgen: Das zeigt jedenfalls, dass wir einen anhaltenden, ernsthaften, auch grundsätzlichen Dissens in einer wichtigen Frage haben. Das hat die Rede von Präsident Obama deutlich gemacht, dass es im Grunde genommen, bei den bisherigen Aktivitäten bleibt. Und die bestehen darin, dass das, was technisch möglich ist – und das findet kaum noch Beschränkungen –, auch tatsächlich gemacht wird. Darüber müssen wir weiter reden. Wir müssen insistieren auf unserer Position, dass das mit der Gewährleistung individuellen Freiheitsrechte nicht vereinbar ist, dass aber auch die Gefahr besteht, dass dann eine Macht im Staat entsteht, die einfach nicht mehr die notwendige demokratisch--rechtsstaatliche Kontrolle hat. Das ist ein transatlantischer Dissens, den dürfen wir nicht beiseiteschieben.
Remme: Sollte die Bundeskanzlerin unter diesen Umständen eine Einladung ins Weiße Haus annehmen?
Röttgen: Ja, selbstverständlich. Denn die Reaktion oder meine Konsequenz daraus ist, dass wir mehr reden und nicht weniger reden. Mein Appell ist nicht, dass wir …
Remme: Aber Herr Röttgen, die einen reden …
Röttgen: Ja …
Remme:… und die andern hören ab.
Röttgen: Ja, aber die Frage ist doch: Was können wir denn konkret tun? Es macht doch keinen Sinn, jetzt beleidigt zu sein und zu sagen: Dann reden wir nicht mehr. Es macht doch keinen Sinn, wegen eines gravierenden Problems, die gesamte Partnerschaft infrage zu stellen. Also weder beschönigen, noch übertreiben und dramatisieren ist meine Konsequenz. Wir müssen eben gerade mehr reden. Vielleicht zeigt, oder ganz sicher zeigt diese Geschichte, aus meiner Sicht, dass das transatlantische Verhältnis eben auch nicht mehr von den Selbstverständlichkeiten lebt, die sich nach dem Krieg im Kalten Krieg entwickelt haben. Wir müssen in Teilen auch das transatlantische Verhältnis neu begründen unter neuen Rahmenbedingungen. Und dafür brauchen wir wahrscheinlich einen viel, viel intensiveren transatlantischen Dialog, als wir den in der Vergangenheit hatten.
Remme: Sie haben das Wort Sicherheitskonferenz gerade eben erwähnt. In wenigen Tagen steht sie an. John Kerry wird da sein, der Außenminister. Ich bin sicher, er wird die deutsch--amerikanische Freundschaft feiern und zelebrieren, aber diese Worte, für mich klingen sie hohl. Wie klingen sie aus Ihrer Sicht?
Röttgen: Nein, sie sind nicht hohl, weil es neben dem Thema NSA viele, viele Bereiche gibt, wo wir uns wechselseitig brauchen. Es stimmt auch, dass wir gemeinsame Werte teilen – von Demokratie und Rechtsstaat, von Menschenwürde. Das sind immer noch Minderheitswerte auf der Welt. Wir haben eine Weltordnung im Fluss, man kann sagen, eine gewisse Weltunordnung. Entweder macht das der Westen gemeinsam oder es werden andere Kräfte die neue Ordnung gestalten. Das heißt, wir brauchen uns und trotzdem haben wir auch Meinungsverschiedenheiten, auch grundsätzlicher Art, und die müssen wir halt eben lösen, ohne dass wir gleich unsere Interessengemeinschaft und unsere Wertegemeinschaft immer infrage stellen.
"In Zentralafrika geht es ganz zentral um humanitäre Hilfe"
Remme: Sie hören das Interview der Woche hier im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Norbert Röttgen, dem Vorsitzenden im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Wir haben über Amerika gesprochen. Die Amerikaner wollen sich nach einer Kriegsdekade auf sich selbst konzentrieren, scheint es. In Afrika wird gerade deutlich, was das heißt: Europa ist gefordert. Frankreich hat in Mali und in Zentralafrika interveniert, will jetzt die Unterstützung auch durch die Bundeswehr. Unter welchen Bedingungen, Herr Röttgen, werden Sie einem neuen Auslandseinsatz zustimmen?
Röttgen: Also, erstens begrüße ich, dass solche Einsätze zunehmend jetzt auch danach definiert werden: Was ist das europäische Interesse? Und dann muss es eine europäische Willensbildung geben und auch gemeinsame europäische Aktionen. Das letzte und jüngste Treffen der Außenminister der EU hat ja deutlich gemacht, dass wir auf diesem Weg sind. Und der Weg, der sich abzeichnet ist, dass es insbesondere in Mali nun eine stärkere europäische Unterstützung der Franzosen gibt. Ich bin dafür, dass wir das europäisieren. In Zentralafrika geht es ganz zentral um humanitäre Hilfe, darum, dass eine humanitäre Katastrophe, die auch dort schon stattfindet, gelindert wird, indem wir Wege schaffen, um überhaupt Zugänge für humanitäre Hilfe zu gewährleisten. Und in Mali geht es, glaube ich, auch um eine Stabilisierung der Situation, die durch den französischen Einsatz eingetreten ist.
Remme: Warum gehen wir da hin, wenn schon ein nach deutschem Masstab massiver Auslandseinsatz, wie der in Afghanistan, nach vielen Kriegsjahren eine mehr als problematische Bilanz aufzeigt?
Röttgen: Man muss jeden Fall für sich sehen, analysieren und bewerten. Schon in Mali und Zentralafrika sind die Fälle unterschiedlich. In Zentralafrika geht es am allermeisten darum – wie ich eben sagte –, humanitäre Hilfe leisten zu können und dafür Wege zu sichern. In Mali ging es darum, das Land vor islamistischer Übernahme zu schützen. Und wir müssen uns klar machen, dass das alles ziemlich nah bei uns liegt. Wenn solche Konfliktherde entstehen, dann entstehen Flüchtlingsströme, und wir sind nur durch das Mittelmeer voneinander getrennt neben der humanitären Katastrophe, die uns auch menschlich und politisch fordert. Wir sind eben in einer Welt ohne Grenzen. Und die Probleme, auch wenn sie ein paar hunderte Kilometer entfernt sind, kommen dann sehr, sehr schnell zu uns. Sie kommen gewissermaßen in einem geschundenen Antlitz von Menschen zu uns und auf der anderen Seite eben auch in einer Form von Instabilität, die unseren Interessen politisch-wirtschaftlicher Art nie entspricht.
Remme: Würden Sie auch deutsche Soldaten in die Zentralafrikanische Republik entsenden?'
Röttgen: Es steht nicht an, das zu tun, sondern der Weg ist ein anderer, nämlich dass wir in Mali die Franzosen entlassen. Und ich plädiere auch nicht dafür, dass wir dieses Kapitel – jedenfalls im Moment – öffnen.
"Wir brauchen eine Kultur des Engagements"
Remme: Angesichts des bevorstehenden Auslandseinsatzes wird gerne auf die deutsche Kultur der militärischen Zurückhaltung in den vergangenen Jahren verwiesen. Herr Röttgen, ist hier eine Korrektur überfällig?
Röttgen: Jedenfalls mit Blick nach vorne, würde ich sagen, wir müssen auch in unserem Land uns stärker klar machen, dass es uns zwar gut geht wirtschaftlich, aber dass wir so verflochten sind, wie kaum ein anderes Land. Und dass wir ein genuines Interesse daran haben, stabile Situationen zu entwickeln, dass in der globalen Welt es immer mehr darum geht, auch globale Ordnungsstrukturen zu entwickeln, dass das unser Interesse und unsere Verantwortung ist. Und die kann nicht nur sozusagen im Danebenstehen und in der Kommentierung des Einsatzes anderer bestehen, sondern die muss, glaube ich, aus einem starken politischen, außenpolitischen Engagement, entwicklungspolitischen Engagement bestehen und im Notfall und Notstand auch in militärischen Einsätzen. Ja, ich glaube, wir müssen ein schärferes Bewusstsein dafür entwickeln, dass es unsere Verantwortung und unser Interesse ist, uns stärker zu engagieren.
Remme: Noch mal – haben wir uns in den vergangenen Jahren all zu sehr zurückgehalten?
Röttgen: Ich bin ja der Frage, die Sie so gestellt haben, auch deshalb ein wenig ausgewichen, weil ich jetzt ganz neu in einem Amt des Ausschussvorsitzenden bin und eigentlich nicht das Amt damit beginnen möchte, dass ich zurückschaue und kritisiere. Und darum möchte ich mehr für die Zukunft sagen: Zurückhaltung ist nicht die richtige Grundhaltung, sondern ich plädiere für Engagement, das vor allen Dingen ein politisches ist und in extremen Ausnahmefällen auch ein militärisches sein muss. Eine Zurückhaltung, die Grundposition von Zurückhaltung würde ich nicht für angemessen halten. Darum würde ich mir etwa auch den Begriff der Kultur der Zurückhaltung nicht zu eigen machen. Ich glaube, wir brauchen eher eine Kultur des Engagements.
Remme: Die Diskussion zeigt ja auch, dass Ursula von der Leyen sich als Bundesverteidigungsministerin nicht sehr viel länger nur mit Familie und Frauen in der Bundeswehr beschäftigen kann. Sie ist völlig neu in diesem Amt und sie bringt keine außen-- und sicherheitspolitischen Erfahrungen mit – sie sagt das selbst, steht dazu. Aber ist das in diesen Zeiten nicht geradezu fahrlässig?
Röttgen: Nein, das glaube ich nicht. Sondern die entscheidende Fähigkeit eines Politikers ist es, sich schnell in Materien einarbeiten zu können, Situationen analysieren zu können, daraus Perspektiven für Politik entwickeln zu können. Und das, glaube ich, trauen wir alle ihr uneingeschränkt zu.
Remme: Dann will ich noch nach einem zweiten Kabinettsmitglied fragen. Über Gemeinsamkeiten in den großen Linien der Außenpolitik haben wir gesprochen, aber Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Antrittsrede schon klar gemacht, er will etwas ändern im Ministerium, unter anderem Kompetenzen in der Europapolitik zurückholen. Stimmen Sie zu, dass da in den vergangenen Jahren zu viel in Richtung Kanzleramt und Finanzministerium gegangen ist?
Röttgen: Ja, noch mal, ich betrachte mich jetzt nicht in dem neuen Amt des Ausschussvorsitzenden als Kommentator vergangener Jahre, sondern möchte mehr nach vorne schauen. Und dass der Außenminister sich auch in Europa engagiert, das halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Wenn er es nicht täte, dann müsste man ihn kritisieren.
Remme: Steinmeier hat seine ersten Visitenkarten abgegeben – Paris, Warschau, Athen, Nahost. Für Sie ein beeindruckender Start ins Amt?
Röttgen: Ich finde, ein guter Start. Und er hat ja auch gute Akzente gesetzt, gerade auch in Paris, was das deutsch--französische Verhältnis anbelangt. Nicht nur allgemein zu beschwören, sondern sich auch in konkrete europäische und internationale Aktion einzubringen, sich gemeinsam zu beraten, gemeinsam aufzutreten. Ich finde, er ist – wenn ich mir das erlauben darf –, ich finde, er ist sehr, sehr gut gestartet. Und ich glaube, dass das auch eine gute Zusammenarbeit mit dem Ausschuss insgesamt werden wird.
Remme: Er hat auch an der Syrien-Konferenz teilgenommen. Die Aufnahme von Flüchtlingen verläuft hier in Deutschland schleppend, sagen viele, auch gibt es die Forderung, wir sollten in erheblichem Umfang zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen. Stimmen Sie zu?
Röttgen: Ich stimme zu, dass das ein Teil unserer Verantwortung ist, dass wir auch Flüchtlinge aufnehmen, dass wir auch mehr aufnehmen, als wir in der Vergangenheit aufgenommen haben. Das ist ein Teil, aber nur ein Teil unserer Verantwortung gegenüber einer andauernden humanitären Katastrophe riesigen Ausmaßes.
Remme: Sehen Sie in absehbarer Zeit einen Ausweg aus dem Dilemma, das wir in Syrien mit anschauen?
Röttgen: Nein, nicht auf absehbare Zeit, weil Syrien sich ja eigentlich immer weiter verschlechtert hat. Es ist zunehmend zu einem zersplitterten Kriegsschauplatz unterschiedlicher machtpolitischer, religiöser Aktivitäten geworden. Die Opposition relativ zersplittert, unterschiedlicher Art, zum Teil moderat, zum Teil aber islamistisch motiviert, auch brutal, das Regime von Assad sogar etwas gestärkt in seiner Brutalität, immer fortwährend und anhaltend. Es ist so konfliktträchtig, auch mit den Interessen von Nachbarstaaten und regionalen Kräften. Unter dem Einfluss von Iran, Saudi--Arabien und anderen. Die Grenzen zur Türkei und anderen Ländern dort. In den Grenzgebieten noch mal besondere Nachbarschaftskonflikte. Sodass es jetzt schon ein Erfolg ist, dass diese Konferenz stattfindet, dass miteinander gesprochen wird. Und das, was man für den nächsten Schritt erhoffen kann – nicht erwarten, aber erhoffen kann –, dass es vielleicht partielle Waffenstillstände gibt, um auch zu einer humanitären Linderung kommen zu können.
Remme: Herr Röttgen, ich habe das Gespräch mit einer persönlichen Frage begonnen – ich will damit schließen. Die Umstände, die zu Ihrer Entlassung aus dem Ministeramt geführt haben sind bekannt und viele haben die Art und Weise, wie Sie das Kabinett verlassen mussten, als hart und als kalt beschrieben. Wenn jetzt von einer zweiten Chance für Sie gesprochen wird, stört Sie das oder ist das in der Einschätzung und Beschreibung zutreffend?
Röttgen: Ich mache es mir, offen gestanden, nicht zu eigen, sondern das, was mein Gefühl ist in dem Amt des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses ist, dass ich große Freude darüber empfinde, dieses Amt ausführen zu dürfen. Und ich habe schon in den ersten Tagen oder ein, zwei Wochen erfahren, wie groß die Möglichkeiten sind, national und international sich einzubringen, interessante Gesprächskontakte zu haben und auch die eigene Vorstellung – die des Parlaments, aber auch die eigene Vorstellung – von politischer, internationaler Gestaltung mit einzubringen. Das ist eine tolle Aufgabe, auf die ich mich sehr, sehr freue. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich sie haben darf.
Remme: Wie ist denn Ihr Verhältnis zur Bundeskanzlerin, die Sie seinerzeit entlassen hat?
Röttgen: Also ich habe das ja öffentlich nicht kommentiert, dabei bleibe ich auch, aber wir haben selbstverständlich ein korrektes Verhältnis.
Remme: Das Ganze ist keine zwei Jahre her, Herr Röttgen – hat Sie das als Politiker verändert?
Röttgen: Es ist ja selber immer ganz schwer zu beurteilen. Es war jedenfalls eine Erfahrung in einer Art, wie ich sie bislang noch nicht gemacht habe. Ich habe mir diese Erfahrung auch natürlich nicht gewünscht. Aber ich kann, glaube ich, wirklich sagen, dass diese Erfahrung mich auch bereichert hat, in aller Härte und Bitterkeit, die sie hatte. Und es sind nebenbei auch äußerst positive menschliche Erfahrungen, die ich gewonnen habe in einer schwierigen Situation. Also ich bin mit mir jedenfalls sowieso im Reinen und habe auch in dem Schlechten viel Gutes erfahren und habe jetzt eine schöne Aufgabe.
Remme: Herr Röttgen, vielen Dank fürs Gespräch.
Röttgen: Ich danke Ihnen sehr.
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