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Außenseiter der Pop Art

Er saß als Künstler wie als Person stets zwischen den Stühlen: R. B. Kitaj (1931-2007). Die Vielfalt der historischen und politischen Bezüge im Werk des amerikanischen Künstlers hat seine Kanonisierung erschwert. Im Jüdischen Museum Berlin ist es jetzt in der grandiosen Schau "Obsessionen" zu entdecken.

Von Carsten Probst |
    Es gibt einige Geschichten rund um diese Ausstellung, die belegen, dass Kitajs Werk noch immer für Irritationen gut ist, auch fünf Jahre nach seinem Tod. Die Tate Modern in London hat sich standhaft geweigert, diese erste große posthume Retrospektive des britisch-amerikanischen Künstlers, der in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden wäre, zu übernehmen - obwohl dort 1994 auch Kitajs größte Retrospektive zu Lebzeiten gezeigt worden war. Obwohl, oder doch vielmehr doch weil. "Verbrannte Erde", stellt der Berliner Kurator Eckhard Gillen dazu fest.

    In London erlebte Ronald B. Kitaj nach seiner jahrzehntelangen, höchst erfolg- und einflussreichen Künstlerkarriere ein Desaster, das er selbst als "Tate War", den Tate-Krieg bezeichnete. Britische Kritiker verrissen, nein vernichteten die Darstellung seines Lebenswerks als prätentiöse Pose eines Typen, der sich offenkundig in unendlichem Namedropping gefalle. Kitaj wiederum, zutiefst persönlich getroffen, malte drastische Bilder, in denen er mit schwerem Geschütz gegen monströse Killer-Kritiker vorging, die britischen Kritiker als antiintellektuelle Amerikahasser bezeichnete und ihnen vorwarf, durch ihre verächtlichen Kommentare den Tod seiner Frau, der Malerin Sarah Fisher, zu verantworten zu haben. "London died for me", schrieb Kitaj rückblickend, "London war für mich gestorben, und ich kehrte zurück nach Kalifornien, um mit meinen Söhnen und Enkeln zu leben." Sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte Kitaj im Rückzug.

    Was aus der Rückschau verwundert, ist, dass die Kritik in London so ablehnend auf ein Werk reagierte, das damals in der Kunstwelt eigentlich etabliert war und das auch schon früh breite Anerkennung gefunden hatte. Trotzdem wähnte sich Kitaj stets und in nahezu jeder Hinsicht als heimatlos, nicht einmal als Künstler wollte er sich unwidersprochen einordnen lassen. Seit den siebziger Jahren war das Bekenntnis zu seiner jüdischen Abstammung für ihn immer wichtiger geworden, aber, so berichtet Kurator Gillen, er fand keine Identität in jüdischer Tradition oder Religion. Stattdessen in einer persönlichen Ausdeutung des ewigen Juden, des Juden auf ewiger Wanderschaft, des Diasporisten. "Du musst kein Jude sein, um in der Diaspora zu leben", schrieb Kitaj. Er saß als Künstler, als Person gleichsam immer zwischen den Stühlen, und er begriff diese Position als Freiheit – als schwierige Freiheit. Denn sein Werk wird bis heute unterschätzt.

    Dass diese grandios vielfältige Ausstellung mit 130 Werken im Jüdischen Museum in Berlin stattfindet und nicht etwa in der Neuen Nationalgalerie, könnte man auch schon wieder als ein Signal verstehen. Die unerhörte Vielfalt der historischen und politischen Bezüge, die er als Intellektueller in seinen Bildern verarbeitet, hat eine Kanonisierung stets erschwert. Über Kitajs Werk, obwohl es so zweifellos einflussreich und umfassend ist, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, vermutlich, weil es so schwer ist, einen Nenner dafür zu finden, eine Kategorie. Der Mangel, den die Kunstwissenschaft darin sieht, ist der Vorteil für den Betrachter.

    Eckhard Gillen unternimmt nach langen Studien an Kitajs erst jüngst zugänglichem Nachlass in Los Angeles den Versuch einer systematischen Aufschlüsselung der Bildmotive, die er anhand einzelner Beispiele veranschaulicht. Auf kleinen Kaffeehaustischchen sind Vorlagen für einzelne Malereien ausgebreitet, die für den Betrachter eine Reise in ein ebenso gelehrtes wie offenes Universum beginnen lassen. Fotografien, Zeitungsausschnitte, altmeisterliche Motive, Momente abstrakter Eingriffe, Bezugnahmen auf seine großen Vorbilder – wie in einem seiner Schlüsselbilder, "Autumn of Central Paris" von 1972-73. Bezüge auf Walter Benjamins "Passagenwerk", den Abriss der Pariser Hallen, die Vertreibung der Arbeiter aus dem Pariser Stadtzentrum, vermengt und zugleich kunstvoll alternierend aufgeschichtet in einer strahlendfarbigen Bildkomposition. Fast entdeckt man das Kitajsche Werk hier aus dem Geist der Kollage neu – hätte Kitaj nicht selbst seine Kollagen als unmalerisch verworfen. Vielleicht muss man tiefer ausgreifen, in seine frühe Oxforder Studienzeit, als er über den emigrierten Hamburger Kunsthistoriker Edgar Wind an die Schule Abi Warburgs herangeführt wurde. In den frühesten Bildern dieser Ausstellung schon hat Kitaj Warburg und sein Bilderatlas-Projekt für sich vereinnahmt – weit mehr jedenfalls als nur die Begründung der britischen Pop Art und die Erneuerung der Figuration, mit der Kitaj bislang immer in Verbindung gebracht wurde: Heilsame Verwirrung der Kategorien.