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Außer Feinstaub nix gewesen?

Rund 52.000 große Industriebetriebe zwischen dem Atlantik und dem Schwarzem Meer sollten nach Vorgabe der EU schon längst modernste Technik verwenden, um ihre Emissionen zu filtern und Atmosphäre und Umwelt zu schonen. Doch Genehmigungsbehörden in den jeweiligen Ländern wissen die Regeln geschickt zu umgehen.

Von Ralph Ahrens |
    Die EU hält Umwelt und Gesundheit für hohe Schutzgüter. Unternehmer müssen daher moderne Technik einsetzen, um die Umwelt mit möglichst wenig Schadstoffen aus Schornsteinen und Abwasserrohren zu belasten. In der Praxis ist von diesem hohen Schutzniveau in einigen Ländern aber wenig zu sehen, sagt Holger Krahmer, FDP-Abgeordneter im EU-Parlament:

    "Es gibt eine generelle Aussage, die heißt, wenn wir best-verfügbare Techniken in Europa insgesamt anwenden würden - sowohl bei industriellen Prozessen als auch bei Kraftwerken - dann hätten wir eine Chance, Luftschadstoffe in Europa um bis zu 70 Prozent zu reduzieren."

    Mit der neuen 'Richtlinie über Industrieemissionen' hofft die Europäische Union, diesem Ziel näher zu kommen. Heute Mittag will das EU-Parlament den Kompromiss annehmen, den es mit den EU-Staaten ausgehandelt hat. Doch der Schutz von Mensch und Umwelt spielt eine untergeordnete Rolle: Die Richtlinie enthält viele Ausnahmen und Übergangsfristen. Ein Beispiel: Alte Kohlekraftwerke bekommen eine Schonfrist, erklärt Holger Krahmer, der als Berichterstatter die Diskussion im EU-Parlament leitete.

    "Wir haben für die nationalen Übergangspläne einen Zeitplan drin, der da heißt 31. Dezember 2020. Bis dahin sind alte Kraftwerke von den Grenzwerten insbesondere für Luftschadstoffe ausgenommen. Und wir haben zusätzlich noch eine Ausnahme für Anlagen, von denen klar ist, dass sie bis Ende 2023 abgeschaltet werden. Die müssen dann die Auflagen überhaupt nicht mehr erfüllen."

    Dabei schreibt bereits die EU-Großfeuerungsanlagenverordnung vor, dass alte Kohlekraftwerke Ende 2016 die Grenzwerte für neue Kraftwerke einhalten müssen. Während Kraftwerke in Deutschland, Österreich oder Schweden diese Vorgabe einhalten, laufen in Ländern wie Großbritannien, Italien oder Polen noch viele Dreckschleudern. Sie dürfen bis zu sieben Jahre länger die Umwelt verschmutzen, beklagt Christian Schaible vom Europäischen Umweltbüro:

    "Das ist die große Enttäuschung. Weil es gab auch ganz klare Folgeabschätzungen, dass eben die externen Kosten - also sprich Gesundheit und Umwelt - das Zehnfache übersteigen, wie die Kosten für diese Unternehmer, in diese Techniken zu investieren."

    So leiden Millionen Europäer unter chronischen Atemwegserkrankungen: Abgase aus Schornsteinen sind eine Ursache dafür.

    Die 'Richtlinie über Industrieemissionen' enthält auch neue Regeln für Fabriken. Bislang war es in einigen Staaten einfach, in Stahl- und Zementwerken, Raffinerien oder Chemieanlagen auf die besten verfügbaren Techniken - abgekürzt BVT - zu verzichten. Holger Krahmer.

    "Man konnte eigentlich jede Abweichung von BVT mit einem einfachen Brief an die EU-Kommission begründen, ohne dass die eine Handhabe hatte."

    Jetzt wird es schwerer, die besten verfügbaren Techniken nicht zu nutzen. Der Stand der Technik soll nicht nur in Deutschland, sondern EU-weit zur Regel werden. Doch sicher ist das nicht. Holger Krahmer fürchtet, Firmenjuristen werden neue Schlupflöcher finden, um weiter Ausgaben für hochwertigen Umweltschutz einsparen zu können. Das würde ihn und Umweltschützer, aber auch Alexander Kessler vom Bundesverband der Deutschen Industrie ärgern.

    "Die deutsche Industrie hat in der Vergangenheit bereits starke Investitionen getätigt, um auf ein technisch hohes Niveau zu kommen. Das ist erfolgreich gewesen. Die deutsche Industrie hat insofern Vorleistung getroffen - und natürlich ist es da verständlich, dass man die Hoffnung hegt, dass in Europa dies auf gleiche Art und Weise überall geschieht."

    So sehen es Firmen in Deutschland als Wettbewerbsnachteil, wenn Wettbewerber woanders weniger Geld für weniger hochwertigen Umweltschutz ausgeben müssen.
    Viele EU-Staaten wehrten sich aber gegen schärfere Vorgaben für ihre Industrien. Damit würden sie sich aber letztlich nur selbst schaden, meint der in Sachsen aufgewachsene Abgeordnete Krahmer.

    "Wenn man über Jahre und Jahrzehnte hinweg vernachlässigt, in den letzten Stand der Technik zu investieren, verliert man an Wettbewerbsfähigkeit. Genau das ist einer der Gründe gewesen für den ökonomischen und ökologischen Kollaps der DDR. Denn wir haben dort mit Techniken aus den 50er Jahren teilweise Produkte produziert, die uns am Ende in Wettbewerbsschwierigkeiten gebracht haben."