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Ausspionieren und Entlassung unliebsamer Mitarbeiter

Jedes zweite verkaufte Smartphone weltweit stammt von dem südkoreanischen Konzern Samsung. Doch der Umgang mit den rund 270.000 Mitarbeitern entspricht nicht westlichen Mindeststandards.

Von Martin Fritz |
    "Entdeckung beginnt hier" steht in riesigen Lettern auf Englisch an einer Fassade in Suwon südlich der Hauptstadt Seoul. Das Hochhaus beherbergt die Konzernzentrale von Samsung Electronics und markiert den Eingang zur "Samsung Digital City". In Suwon schlägt das Herz des weltgrößten Elektronikkonzerns. 30.000 Designer, Ingenieure und Werbeleute arbeiten hier. Aber ganz in der Nähe des Hochhauses hält ein Mann mittleren Alters einsam ein Protestplakat hoch. Vor zwei Jahren hatte Samsung den Fabrikmanager gefeuert. Seitdem demonstriert Park Jong-tae gegen seine Kündigung und verlangt seinen Job zurück.

    "Mein Zelt stand zuerst direkt neben dem Eingang zur digitalen Stadt. Aber auf Drängen von Samsung hat die Polizei das Zelt weggeräumt. Deswegen stehe ich jetzt jeden Tag hier auf der anderen Seite der Kreuzung."

    Parks Abstieg begann mit seiner Berufung in ein Komitee für Arbeiter und Manager. Das Gremium soll für "betriebliche Harmonie" sorgen und den Anschein von Mitbestimmung der Arbeiter erwecken. Als Park jedoch seine Aufgabe ernstnahm und etwa höhere Bonuszahlungen forderte, fiel er in Ungnade. Samsung entband ihn von seinen Aufgaben, nahm ihm seinen Computer weg und kommandierte ihn schließlich zum Einpacken von Fernsehern ans Fließband ab - trotz schlechter Gesundheit, wie Park berichtet.

    "Durch den psychischen Druck und die Fabrikarbeit haben sich meine Halswirbelprobleme verschlimmert. Ein Arzt hat die Ursachen meiner Nackenbeschwerden bestätigt. Das Entschädigungsverfahren läuft noch."

    Der Rauswurf von Park Jong-tae nach 23 Jahren im Betrieb wirft ein Schlaglicht auf die Tatsache, dass es bei Samsung Electronics keine unabhängigen Gewerkschaften gibt. Diese Politik ist ein Erbe von Konzerngründer Lee Byung-chull. Rigoros geht die Firma gegen jeden Arbeiter und Angestellten vor, der sich gewerkschaftlich organisieren möchte. Jeder Samsung-Mitarbeiter, der sich für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne einsetzt, werde isoliert und entlassen. Das berichtet Kim Sung-hwan, der nach seiner Entlassung eine Gewerkschaft für Samsung-Arbeiter von außen gründete. Wenn er Samsung-Arbeiter in ihrer Freizeit anspricht und trifft, werden sie verfolgt und verhört, erzählt er fast schon resigniert.

    "Alles, was Samsung machen will, kann Samsung machen. Wenn sie jemanden ins Gefängnis bringen wollen, dann tun sie das. Ich selbst wurde nach der Gründung der Gewerkschaft und dem Rauswurf fast drei Jahre lang inhaftiert, wegen Beleidigung von Samsung und unangemeldeter Demonstrationen."

    Auf Nachfragen gibt Samsung zu, dass es konzernweit keine Gewerkschaften gibt, die in Übereinstimmung mit den koreanischen Gesetzen gegründet wurden. Aber die Arbeiter werden durch Räte vertreten, so Samsung, die nach europäischem Vorbild über Arbeitsbedingungen und Vergütungsbelange diskutieren. Was Koreas größtes Einzelunternehmen mit 270.000 Mitarbeitern verschweigt: Die Arbeiter in den Räten werden von der Betriebsleitung ausgesucht. Dass die koreanische Demokratie dies duldet, hat historische Gründe, sagt Eun Soo-mi, Abgeordnete der größten Oppositionspartei:

    "Südkorea hatte im Zuge der Industrialisierung nach dem Krieg die Arbeiterrechte eingeschränkt, damit die Firmen groß und stark werden. So müssen unabhängige Gewerkschaften beim Arbeitsministerium und den Kommunen angemeldet werden. Außerdem vertritt eine Betriebsgewerkschaft immer nur eine Fabrik und kann sich nicht konzernweit organisieren."
    Doch Samsungs Gewerkschaftsparanoia geht weit darüber hinaus. Laut einem Bericht des öffentlich-rechtlichen TV-Senders MBC überwacht eine Sonderabteilung unliebsame Mitarbeiter. Arbeiter und Angestellte dürfen das GPS-Signal in ihrem Handy demnach nicht abschalten, damit sie per Telefonüberwachung immer zu orten sind. Jederzeit darf die Firma die persönlichen Sachen der Mitarbeiter durchsuchen. Der Einzelne stehe gegenüber Samsung auf verlorenem Posten so wie David gegen Goliath, meint die Abgeordnete Eun.

    "Das Arbeitsministerium hat nur etwa 1000 Prüfer, die Verstößen gegen das Arbeitsrecht nachgehen. Aber wegen der Macht der großen Konzerne konnte man sich in Korea lange Zeit gar nicht vorstellen, dass die Prüfer auch eine Firma wie Samsung unter die Lupe nehmen."

    Dabei gibt es offenbar auch beim Arbeitsschutz Mängel bei Samsung Electronics. 56 ehemalige Arbeiter sind laut der Aktivistengruppe SHARPS frühzeitig verstorben, die meisten an Krebs. Alle waren in der Halbleiterherstellung tätig. Rund 150 ehemalige Mitarbeiter sind schwer erkrankt, meist schon in jungen Jahren, zum Beispiel an Leukämie, Lymphkrebs und Multipler Sklerose. In einem Krankenhaus in Chuncheon nördlich von Seoul sitzt die 35-jährige Han Hi-kyoung im Rollstuhl. Seit der Operation eines Hirntumors kann sie ihre Muskeln nicht mehr ganz kontrollieren. Wenn man sie auf ihren früheren Arbeitgeber anspricht, zucken ihre Arme, ihr Gesicht verzerrt sich, dann stößt sie mühsam hervor:

    "Darf ich ehrlich sein? Ich - könnte - Samsung - töten. - Das ist mein Gefühl. Sehen sie mich doch an. Können sie meine Wut verstehen?"

    Sechs Jahre lang hatte Han 16 Stunden täglich in einer Samsung-Fabrik Displaymodule für Fernseher zusammengebaut. Dabei kam sie ständig mit einer Bleicreme in Berührung und atmete die Dämpfe ein. Unabhängige Prüfer stellten inzwischen fest, dass bei der Halbleiterproduktion krebsauslösende Benzole eingesetzt wurden. Doch vor Gericht leugnet Samsung jeden Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Frau und ihrer Arbeit. Welche Chemikalien eingesetzt wurden, will man aber nicht verraten. Das seien Betriebsgeheimnisse, rechtfertigten sich Samsung-Anwälte im Fall von Frau Han vor Gericht. Der Chef des konzerneigenen Gesundheitsinstituts, Kim Soo-Geun, geht in einem ZDF-Interview noch weiter.

    "Zunächst einmal bedauere ich sehr, dass sie krank sind. Krebs tritt als Krankheit häufig auf, auch ohne besondere Auslöser. Deswegen glaube ich, dass diese Krebserkrankungen nicht vermeidbar waren."

    Dennoch hat Samsung Electronics den Kranken und Angehörigen von Verstorbenen in vielen Fällen Entschädigungszahlungen angeboten - bei einem Jahresgewinn von zuletzt 16 Milliarden Euro ist das auch kein Problem. Aber Bedingung für die Geldzahlung ist, dass die Geschädigten schweigen - die starke Marke Samsung soll unter den Krebsopfern nicht leiden.