Eine hellgrüne Polstergarnitur auf rot-gemustertem Teppich. In der Mitte ein runder Tisch mit weißem Plastikfuß und braun-gebeizter Platte. Passend hässlich dazu eine Stehlampe an der Wand mit drei Alu-Leuchtern. Ein spießiges Wohnzimmer, wie es hierzulande gerade in den 60er Jahren viele gab. Ausgestattet mit etwas durchgesessenen Sesseln, die in Berliner Szene-Kneipen gerade angesagt sind. Der Fernseher neben dem ebenfalls braunen Resopalschrank ist etwas neuerem Datums. Auf dem Bildschirm flimmern Ausschnitte aus früheren Performances und Happenings von "ruangrupa". Die indonesische Künstlergruppe, die die nächste documenta leiten wird, hat den Retro-Wohnraum gestaltet – er soll als Ort des Austausches dienen, heißt es in einer Erklärung dazu.
Stadtplan der sozialen und emotionalen Wirklichkeit
"Auf der rechten Seite sehen sie eine Karte, eine skizzierte Karte von Kassel. Und hier ist das Prinzip des Mappings angewandt, durch das man sich an die soziale und räumliche Wirklichkeit in Kassel annähern soll. Und die Besucher werden aufgefordert, mit Stickern einzelne, ihnen wichtige emotionale Momente, Restaurants, in die die Karte zu kleben", sagt Dorothee Gerkens. Sie ist Sammlungsleiterin der Neuen Galerie in der Museumslandschaft Hessen Kassel und eine der Kuratorinnen der neuen Dauerausstellung zur Geschichte der documenta. Der "ruangrupa-Raum" im Kasseler Museum fällt erst einmal aus dem Rahmen ihrer Ausstellung: "about: documenta". Ruangrupa geht es hier nämlich auch um die Zukunft, um die Vorbereitung der nächsten documenta im Jahr 2022.
Sponsorensuche à la "ruangrupa"
So soll der Kasseler Stadtplan, den die Künstler aus Jakarta an die Wand geheftet haben, hier nicht dauerhaft hängen. Auch um zu zeigen, dass es nicht um eine bereits abgeschlossene documenta geht. "Die Tafeln sollen etwa alle sechs Monate ausgetauscht und durch neue ersetzt werden", sagt Dorothee Gerkens. Denn es sei ein lebendiger Prozess, "dass sich dieser Raum auch immer wieder verändert." Die jeweiligen, mit den Stickern der Besucher verzierten Stadtpläne sollen dann an Kasseler Institutionen, die sich besonders bei der Vorbereitung der documenta 15 engagieren, verschenkt werden. So funktioniert Sponsorensuche à la "ruangrupa".
Retrospektive der documenta-Ausstellungen
Der größte Teil der neuen Überblicksausstellung widmet sich jedoch chronologisch und detailreich den bisher vierzehn abgeschlossenen Welt-Kunstausstellungen in Kassel. Insbesondere die jeweilige Ausstellungsarchitektur wird überzeugend rekonstruiert. Etwa die oft noch improvisiert und rau wirkenden Präsentationsflächen der ersten Nachkriegsausstellungen in ruinenhafter Kulisse. Oder die stark politisch geprägten Ausstellungen der Post-68er Zeit, in der sich auch eine sogenannte "Mediendocumenta" insbesondere der Videokunst annahm. Immer wieder verweisen Fotos oder Modelle auf die vielfältigen Außenkunstwerke, die es in der documenta-Geschichte bisher gab. "Auch gerade die Außenkunstwerke sind sehr prägend für die Rezeption der documenta geworden. Wir haben im nächsten Raum die 7000 Eichen von Joseph Beuys. Auch ein documenta-Werk, das sehr, sehr wichtig ist. Eines der zentralen documenta-Werke überhaupt."
Kunst und Krieg
Entlang des reichlich mit Fotos bestückten Zeitstrahls an der Wand geht es einige Räume weiter- zur Fläche der documenta 13. Darin eine Installation des US-Künstlers Michael Rackowitz, in der er Kriegszerstörungen in Kassel thematisiert. Verbunden mit den Folgen des gegenwärtigen Krieges in Afghanistan. Im Zentrum des Werkes steht eine Anzahl von aus Stein gemeißelten Büchern. Kuratorin Dorothee Gerkens: "Die Bücher sind nachempfunden verbrannten Büchern aus dem Fridericianum, die im 2. Weltkrieg verbrannt wurden. Aber aus einem Stein, der aus dem Steinbruch in Afghanistan stammt, wo die Buddha-Statuen von Bamiyan 2001 von den Taliban zerstört worden sind. Also er bringt hier verschiedene Geschichten international zusammen."
Alte documenta-Meisterwerke
Viele Meisterwerke aus der Sammlung der Moderne der Neuen Galerie Kassel sind in die Rekonstruktion der bisherigen documenta-Geschichte integriert. Ob das Georg Meistermanns Ölbild "Gerüste" aus dem Jahr 1955 ist. Oder Gerhard Richters Portrait des documenta-Begründers Arnold Bode von 1964. Markus Lüpertz, Mario Merz, Miriam Cahn oder Susan Hiller – der Besuch der Neuen Galerie Kassel lohnt sich nicht nur in den eigentlichen documenta-Jahren. Ab sofort lohnt er sich nun besonders - wegen der neuen, sehr gelungenen Dauerausstellung zur Geschichte einer weittragenden Nachkriegsidee – der documenta.