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Ausstellung Abraham Cruzvillegas
Performance des Überlebens

Der mexikanische Künstler Abraham Cruzvillegas bezieht seine Inspirationen aus seiner Kindheit und den Fundstücken, die er in aller Welt sammelt. Ob Musikfahrrad, Videos oder ein ganzer "Ressource Room" - seine Installationen und Skulpturen sind Ausdruck und Bewertung eines ärmlichen, improvisierten Lebens.

Von Carsten Probst | 28.01.2014
    Zu sehen ist eine Installation des mexikanischen Künstlers Abraham Cruzvillegas. Unter einer Terrassenüberdachungsähnlichen Decke sitzen Zuschauer vor einer Videoleinwand, die Wekre des Künstlers zeigt.
    Eine Installation des mexikanischen Künstlers Abraham Cruzvillegas (picture alliance / dpa)
    Mit einer improvisierten Klangskulptur, die aussieht wie eine Fahrradrikscha mit aufmontierten, überdimensionalen Lautsprecherboxen, ist Abraham Cruzvillegas vor einigen Jahren durch die Straßen der schottischen Hauptstadt Glasgow gefahren und hat die Stadt mit Musik einheimischer Bands beschallt. Jeder Song, den diese Bands eigens eingespielt hatten, basiert auf Texten von Cruzvillegas selbst, in denen er über seine Kindheit in Ajusco in Mexiko schreibt.
    Nun steht dieses Musikfahrrad ein wenig verloren in den wuchtigen Hallen des Münchner Hauses der Kunst - zwischen all den anderen kleinen und größeren Installationen aus improvisierten Materialien fällt es buchstäblich aus dem Rahmen, dabei ist es ein so typisches Werk für den Mexikaner. Überall, wo Cruzvillegas sich in der Welt aufhält, sammelt er Fundstücke seiner Umgebung auf und formt aus ihnen Assemblagen, in denen er, wie er sagt, eine emotionale Beziehung zu dem jeweiligen Ort herstellen will. Solche Fundstücke können eben auch örtliche Musikstile sein. Die emotionale Beziehung beinhaltet für Cruzvillegas immer wieder seine eigene Geschichte, die er an dem jeweiligen Ort wiedererstehen lässt, eine Geschichte über die Kindheit in einem Dritte-Welt-Land, in der Welt eines Armenviertels.
    "Ich bin in einer Gegend von Mexico City aufgewachsen, wo sich in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts viele arme Leute durch die Landflucht illegal niedergelassen haben, auch meine Eltern. Sie bauten Häuser aus allem, was sie finden konnten, sie recycelten Holz, Plastik, Bauschutt usw. Es gab bei diesen Hütten keine architektonische Idee, nur das schiere Bedürfnis nach Unterkunft. Sie sehen chaotisch aus, nicht wirklich schön, sie sind ewig unfertig, und hier gibt es für mich eine Verbindung zur Kunst etwa von Marcel Duchamp, der seine Kunst selbst als grundsätzlich unvollendet bezeichnet hat."
    Kunst geboren aus der Kinderstube
    Ein "Ressource Room" in dieser Ausstellung zeigt eine Art Kinderstube von Cruzvillegas Werk, in dem er bereitwillig seine Anfangsbedingungen ausbreitet: Pläne von Mexico City, soziologische Karten zur Bevölkerungsentwicklung und zu kulturellen Einflüssen in Mexico, Videos, in denen seine Eltern interviewed werden. Das ist zwar keine Eins-Zu-Eins-Anleitung für das Verständnis seiner hier ausgestellten, teils sehr raumgreifenden, zugleich immer fragilen Installationen, die durchaus an improvisierte Hüttenkonstruktionen oder Labyrinthe erinnern.
    Aber der beständige Hinweis auf seine Biografie verrät doch etwas über Cruzvillegas' Weg in die Gegenwartskunst, auch darüber, was seine Stellung nicht nur unter mexikanischen Künstlern so einzigartig macht: Es ist die Brechung der jüngsten Kunstgeschichte, der Bezüge auf die Konzept- und Installationskunst seit den 60er-Jahren am ganz persönlichen, geradezu kindlich-naiv anmutenden Blick aus dem Wesen des ärmlichen, improvisierten Lebens heraus, in dem es nichts Haltbares gibt. Dieses Leben von der Hand in den Mund wirkt bei Cruzvillegas wie eine beständige, halb ernste, halb ironische Performance des Überlebens, seine Skulpturen bewahren etwas davon und ziehen damit zugleich die auf Beständigkeit der Werte zielenden Festschreibungen der westlichen Kunstgeschichte in Zweifel. Zwischen Spiel und Ernst, zwischen kunstgeschichtlichen Zitaten von Dieter Roth bis Joseph Beuys und dem ganz eigenen, Intimen der persönlichen Geschichte verläuft oft nur eine schmale Linie. Fast halsbrecherisch gelingt es Cruzvillegas immer wieder, darauf zu balancieren und fast nebenbei ein Lebensgefühl zu vermitteln, das der Kunstgemeinde im reichen Europa merkwürdig fremd und vertraut zugleich ist.