Die Szene auf dem Panorama-Foto wirkt auf den ersten Blick seltsam vertraut. Man sieht 13 israelische Soldaten zu Tisch sitzen, an einer langen Tafel, hinter ihnen eine symmetrisch geteilte Fensterfront.
"Und in einem anderen Kontext als in unserer Ausstellung, oder auch gar nicht so als Kunstwerk, könnte man sagen: Naja, hier sind Soldaten in der Mittagspause oder sowas: Der eine steckt sich eine Zigarette an, die anderen essen, die anderen unterhalten sich. Aber die Anordnung ist exakt wie die klassische Abendmahlsdarstellung."
Erläutert der Religionswissenschaftler Volkhard Krech. Natürlich! - deshalb wirkt das Bild des israelischen Fotografen Adi Nes so vertraut: Die Posen der Soldaten ähneln sehr denen, die etwa Leonardo da Vinci in seinem Abendmahl gemalt hat.
"Genau. Da steckt eine gewisse Provokation darin, dass Jesus selbst und die Jünger ausgetauscht werden - in Anführungszeichen - durch Soldaten. Also das sieht man durch die Montur. So, und dann ist natürlich die Frage: Heiliger Krieg, Erlösung, die ganze Israel-Thematik steckt natürlich in diesem Bild."
Das Soldatenmahl und gekreuzigte Frösche
Ein Gedankenknäuel. Was ist an diesem Foto religiös, was weltlich, und in welcher Weise provoziert es? Ein guter Einstieg in die Schau "Bild Macht Religion", die Volkhard Krech, Leiter des CERES, Centrum für religionswissenschaftliche Studien an der Ruhr-Uni Bochum, zusammen mit Hans Günter Golinski vom Kunstmuseum Bochum kuratiert hat. Es geht in der Schau auf zwei Etagen um die Interaktion zwischen Kunst und Religion, religionsübergreifend und in mehr als 2000 Jahren. Ein weites Feld. Allzu weit? - Die Ausstellung will die komplexe Thematik pointiert anpacken und veranschaulichen. Neben Adi Nes' Soldatenmahl sind in Installationen Kunststoff- Frösche und -schweinehälften aus der Massenschlachtung gekreuzigt, was ja auch provozieren könnte.
"Das ist ja nie ausgeschlossen; religiös sensible Gemüter reagieren da natürlich psychologisch gesehen unterschiedlich. Aber: Der Sachverhalt Ironie, Karikatur, Provokation zeigt eben, wie Religion und Kunst miteinander interagieren. Man kann eigentlich von Geschwistern gewissermaßen sprechen, die sich wechselseitig brauchen, aber, weil sie so nah aneinander sind, auch ordentlich bekämpfen. Und das versuchen wir in der Ausstellung darzustellen."
Zunächst mal betont der Religionswissenschaftler, dass es religiöse Kunst per se nicht gibt. Bilder und Objekte werden seit je her sakralisiert, aufgeladen mit religiöser Bedeutung. An sinnfälligsten wird das bei Reliquien, Wein, Oblaten, profanen Gütern, denen religiöse Bedeutung zugeschrieben wird.
"Weil auf diese Weise eben den Menschen – ja! - das Nicht-Darstellbare darstellbar gemacht wird."
Schwierig, denn das Transzendente entzieht sich grundsätzlich, während andererseits seit jeher eine Lust besteht, es sich auszumalen, bis hin zum Hollywood- und Bollywood-haften, wie Volkhard Krech betont. Nicht ganz leicht auch, den Parcours von "Bild Macht Religion" immer mitzudenken.
Klischee von "bilderfreundlicher" und "–feindlicher" Religion
Gleich am Eingang gibt es eine Art Schleuse: Wände und Böden sind kalligrafisch mit arabischer Schrift tapeziert. Das macht anschaulich, wie und warum in der islamischen Bildgeschichte Kalligrafie und Ornamentik besonders wichtig sind: wegen des Verbots figürlicher Darstellungen. Es folgen: eine zeitgenössische Adaption; Koransuren in Blindenschrift, und: sogenannte "Ensos", unvollkommene Kreise in Tuschezeichnungen aus der buddhistischen Bilderwelt, sowie Ornamentik in armenischen Kirchen. Das ist alles wunderbar sinnlich anzusehen, aber der inhaltliche Zusammenhang bleibt an dieser Stelle vage - Volkhard Krech erklärt ihn so:
"In religionsgeschichtlicher Hinsicht ist es wichtig zu berücksichtigen, dass es nicht einfach nur eine religiöse Tradition gibt, die entweder bilderfreundlich oder bilderfeindlich ist. Es ist ein gängiges Klischee, dass man sagt, Islam und Judentum etwa seien ikonoklastisch, also bilderablehnend, während etwa Hinduismus oder auch weite Teile des Christentums bilderfreundlich sind, das ist eben nicht nur so."
Die marokkanische Fotografin Lalla Essaydi bringt es zeitgenössisch provokant auf den Punkt. Sie verhüllt nackte Frauenkörper durch die Projektion von Koransuren. Bitteschön, könnte man sagen, hier zeigt sich eine Frau öffentlich verschleiert! - Aber natürlich schimmert ihre Silhouette durch - und zwar ganz schön lasziv-erotisch. Für Museumsleiter Hans Günter Golinski ist zumal interessant:
"Darf ein islamischer Künstler überhaupt bildender Künstler werden, darf ein jüdischer Künstler Kunst machen? Das ist ja die Frage, die letztendlich dahinter steht. Und wie reflektieren das die Künstler in ihren Arbeiten?"
Mutig und anspruchsvoll
An manchen Stellen der Schau mit 150 Exponaten wird die Interaktion zwischen Kunst und Religion - oder zum Beispiel zwischen historischer Kirchenkunst und zeitgenössischer autonomer Kunst - besonders plastisch.
"Hier haben wir ein so genanntes Veraikon. Es gibt diese Legende, dass auf dem Kreuzesweg Christus von der heiligen Veronika ein Tuch zum Abtupfen des Schweißes bekam und darin ist sein Abbild, also dann das wahre, aufgefangen."
Dieses alte Tuch tritt in einen Dialog mit einer zeitgenössischen Arbeit von Dorothee von Windheim, die die Frage "Wie sah Jesus aus?" als Detektivarbeit installiert. Gesichter von Jesus, das heißt Schwarz-Weiß-Fotos von historischen Jesus-Porträts sind aufgehängt, wie frisch entwickelt in einer Dunkelkammer oder wie Fahndungsfotos, an einer Wäscheleine zum Trocknen. Von der originalen Ikone zur Pop-Art-Grafik, vom Kathedralen-Modell bis zum Gemälde, das leer bleibt, aus Respekt oder Sinnbild für das Transzendente – es ist eine anspruchsvolle Schau. Der religionsübergreifende Ansatz ist mutig, aber der Anlass dafür ist schließlich auch gegeben, meint Hans Günter Golinski:
"Wir spielen ja damit: 'Bild Macht Religion' – machen Bilder die Religion? 'Bild Macht Religion' hat aber auch de facto etwas mit Macht zu tun. Denn natürlich wird Religion, wie wir es ja nun wieder ganz aktuell erleben, auch als Machtinstrument eingesetzt, wo eben der Islamische Staat versucht, Fuß zu gewinnen. Und insofern ist die Macht auch wirklich so gemeint, wie sie da steht."
Die Ausstellung "Bild Macht Religion – Kunst zwischen Verehrung, Verbot und Vernichtung" ist im Kunstmuseum Bochum noch bis zum 24. Februar 2019 zu sehen.