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Ausstellung "Brutal schön"
Drollige und ironische Inszenierung von Gewalt

Die Ausstellung "Brutal schön" im Marta Herford zeigt Objekte auf der Schwelle zwischen Gewalt und Gegenwartsdesign. Zu sehen sind unter anderem bewaffnete US-Kinder oder eine Skateboard-Fahrt durch eine zerbombte syrische Stadt - oder auch ein kuschelig verzierter Sicherheitszaun.

Von Peter Backof |
    Die Arbeit "Does that mean we don't get any presents" des Künstlers Barnaby Barford in der Ausstellung "Brutal schön" im Museum Marta in Herford.
    Die Arbeit "Does that mean we don't get any presents" des Künstlers Barnaby Barford in der Ausstellung "Brutal schön" im Museum Marta in Herford. (picture alliance / dpa / Bernd Thissen)
    Die Gewalt auf mehr als einer Armlänge Abstand halten: mit ganzen acht Metern Spannweite der ausgebreiteten Arme. So überdimensioniert ist ein Polizist auf einem Plakat abgebildet, das Reisende am Flughafen Heathrow, London, empfängt. Eine Reproduktion des öffentliche Sicherheit versprechenden Plakats ist auch das erste, was die Besucher der Schau "Brutal schön" zu sehen bekommen:
    "Die Frage, warum man zur Begrüßung in erster Linie mal einen Polizisten darstellt: Ich finde das ein bisschen absurd."
    Wundert sich Matthias Megyeri, Szenograf. Er hat den Laufweg der Schau designt und das Foto aus seinem 100.000 Motive starken Archiv zum Themenkomplex Gewalt zur Verfügung gestellt. Offenbar mit voller Absicht ist der Polizist der Londoner Imagekampagne ein gewissermaßen integrierter Pakistaner.
    London als globaler Schauplatz für Gewalt, Terror und deren Prävention: Der in Stuttgart geborene Designer Matthias Megyeri betreibt in London eine Sicherheitsfirma, keine künstlerische Intervention, sondern ein echtes Designstudio:
    "Die ernst zunehmende Sicherheitsfirma heißt Sweet Dreams Security und ist gegründet worden 2005 mithilfe des englischen Staates. Ein Sicherheitsnischenmarkt sozusagen, der Sicherheitsprodukte gestaltet, verkauft, installiert."
    Viktorianisch verschnörkelter Zaun mit Pinguinen, Eseln und Hasen
    Zum Beispiel den viktorianisch verschnörkelten Zaun, der statt Pfeilspitzen oben knubbelige Pinguine, Esel und Häschen hat. Brutal schön, denn die gespitzten Hasenlöffel erfüllen am Ende dann doch den Zweck von Pfeilspitzen.
    "Mit dem Aspekt, dass mental wellbeing mitgedacht wird, sprich, die Unversehrtheit des Wohlgefühls: Dass man sich nicht allzu sehr eingeengt fühlt bei der Notwendigkeit, sich zu umzäunen."
    Das Gefühl von Sicherheit ist leichter herzustellen als Sicherheit selbst, diese Erkenntnis nimmt man gleich auf den ersten Metern mit. Hundert Objekte, Prototypen und Filmdokumentationen birgt der große Schausaal im Marta. Da sind Pralinen in Granatenform, Teppiche mit Hubschraubern und Panzern im Muster, Obstschalen, die mit Soldaten aus dem 3D-Drucker historische Schlachten nachstellen, von Waterloo bis Homs: Würde man sich einen Garderobenständer im Look eines Konzentrationslagerzauns in die Wohnung stellen?
    "Brutal schön" führt den Designbegriff weit über Produktgestaltung für den Massenmarkt hinaus. Kuratorin Friederike Fast:
    "Kritisches Design ist ein Begriff, soziales Design ein Begriff. Der Versuch dieser Ausstellung ist eben, schon auch zu sagen: Wir sind nicht sprachlos, wir sind nicht handlungsunfähig, sondern man kann etwas tun gegen Gewalterfahrung. Es gibt viele Arbeiten, die tatsächliche Lösungsansätze schaffen."
    Fotoserie über bewaffnete US-Kinder
    Oder ein Problem auch einfach benennen. Die belgische Künstlerin An-Sofie Kesteleyn porträtiert in einer Fotoserie US-amerikanische Kinder, die sich mit ihren ersten Waffen in Pose stellen. Vergleichsweise harmloses Kaliber, echte Waffen jedoch, auch wenn die plastikrosa Flinte des einen Mädchens wie ein Karnevalsutensil wirkt. Kesteleyn wollte herausarbeiten, wie man in den USA gewollt schon im Kindesalter an Waffenbesitz herangeführt werde und dokumentiert auch Unfälle mit diesem vermeintlichen Spielzeug.
    Wo keine Waffe ist, kann nicht geschossen werden. Lapidare Erkenntnis. Dann der Schwenk ins von der Waffenmentalität her eher Deutsche: eine Handtasche, die außen als Relief eine Pistole andeutet. Konzipiert als modisches Accessoire, könnte das Täschchen vielleicht viral werden: Nicht, weil es immer notwendiger erscheint, sich zu bewaffnen. Sondern weil ein Bewusstsein stetig wächst, bedroht zu sein. Die Nachrichten tun ihre Wirkung, auf Zeitgeist und Individuum. Wer diese Tasche trägt, signalisiert: Ich mag kein Pfefferspray, aber Vorsicht, ich könnte welches dabeihaben.
    Sogar das Leben in Justizvollzugsanstalten lässt sich sozial und kritisch designen. Die Schau "Brutal schön" stellt eine ganze Reihe von Beispielen vor, darunter eines, das sich auch sehr gut als Drehbuchidee für eine Komödie eignen würde.
    "Die Frau Lynn Zwerling ist mit einem Strickzirkel ins Gefängnis gegangen und hat straffälligen Männern angeboten, ihnen das Stricken beizubringen. Am Anfang stieß das auf sehr große Skepsis und mittlerweile stehen die Schlange, richtig."
    "Knitting Behind Bars"- Stricken hinter Schloss und Riegel in Maryland, USA.
    Daneben fahren die Besucher im Marta-Cross-Skateboard mit Kindern im Videobild, in einer vom Krieg designten - sprich: zerbombten - syrischen Stadt. Zwangsläufig, denn es gibt keine intakten Straßen. Anderorts würde man vielleicht aus Modegründen Cross-Skateboard fahren.
    Mal anrührend und aufklärerisch, mal böse ironisch und mal drollig: Es sind diese Bedeutungsverschiebungen im Globalen, die "Brutal schön" markant machen: eine starke, konzentrierte Schau.
    Ausstellungsinfos:
    Museum Marta in Herford (Nordrhein-Westfalen): "Brutal Schön"
    bis 1. Mai 2016