Die schlanke, junge Frau schwebt beinahe über den Wüstensand. Ihr schwarzes Gewand mit Glitzereffekten ist modisch geschnitten, ein Stück Stoff flattert im Wind. Die dunkle Kopfbedeckung wirkt wie ein Turban, das Gesicht ist geschminkt. Das Foto dieser Frau ist zu sehen auf dem Plakat, mit dem geworben wird für jene Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt am Main, die zeitgenössische muslimische Mode zeigt.
Matthias Wagner K ist der Direktor des Museums: "Zeitgenössische muslimische Mode ist eine Mode für Frauen, die sich am besten unter dem Schlagwort 'Modest Fashion' fassen lässt. Und sie meint eine dezente, weniger körperbetonte Mode für Frauen."
"Modest Fashion" – dezente Mode
"Modest" – das kann jedoch auch übersetzt werden mit: zurückhaltend, sittsam, züchtig. Diese Begriffe seien aber in den USA, wo die Ausstellung entstanden ist, nicht gemeint gewesen. Man habe auch ganz bewusst auf islamistische Sponsoren aus der arabischen Welt verzichtet, die "modest" mit "sittsam" übersetzen könnten, betont der Frankfurter Museumschef Matthias Wagner K: "Auch in den USA wurde das ganz klar übersetzt mit dezent, weniger körperbetont - und das auch von denen, die als Modelabels hier selbst diese Mode verkaufen. Und das ist ja ein Markt, der im letzten Jahr über 440 Milliarden US-Dollar betrug. Da muss man das auch einfach mal so annehmen."
Kritik von Feministinnen
Dies einfach mal so annehmen? Inge Bell von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes weigert sich. Sie sieht in den Kleidern, die Beine und Arme komplett verhüllen und in der Ausstellung mit oder ohne Kopftuch gezeigt werden, den Versuch von Modeschöpfern, im Rahmen einer streng patriarchalen, islamistischen Kleiderordnung etwas Ansprechendes zu entwerfen: "Es ist ja nun so, wir haben es hier mit einem System zu tun", sagt Bell.
"Und Frauen müssen sich auch mit diesem System arrangieren. Und die frauenverachtende Praxis des muslimischen Glaubens, also des Familienrechts und der Scharia, dieses frauenfeindliche System, damit muss man sich ja auch irgendwie arrangieren. Deshalb ist es nur normal und auch verständlich, dass es auch Designer und Designerinnen gibt, die dann halt diese Modest Fashion, also diese züchtige Mode, herstellen. Und die Frauen, weil sie halbwegs auch ein Leben führen wollen, diese Mode ja auch anziehen. Sich doch ein bisschen schmücken und herrichten und zeigen wollen, eben im Rahmen des Systems, im Rahmen des Machbaren des Systems."
Hip, aber unkritisch?
Solche Mode auszustellen, dagegen hat Inge Bell nichts einzuwenden. Doch ihr fehlt bereits in der Ankündigung jedweder kritische Aspekt zu islamistischen Kleidervorschriften und Unterdrückungsmechanismen, gegen die weltweit viele Frauen kämpfen:
"Wir sehen ja, wohin es führt, wenn das System nicht beachtet wird. Wir sehen es an den Frauenprotesten im Iran, die ihre Kopftücher abziehen, die dann dafür ins Gefängnis wandern. Oder eben - was wir ja jetzt ganz aktuell haben: die Nasrin Sotoudeh, die Menschenrechtsanwältin in Teheran, die ja jetzt zu 33 Jahren Haft verurteilt wurde und zu Peitschenhieben, einfach weil sie Frauen verteidigt, weil sie das Kopftuch nicht tragen wollen. Frauenrechtsverletzungen sind Menschenrechtsverletzungen. Wir müssen da wirklich genau hingucken und eben nicht eine Ausstellung machen, die einfach nur hip und schick und cool und modern designt ist."
Museumschef Matthias Wagner K argumentiert dagegen, dass er politische Botschaften bei der Werbung für die Ausstellung ganz bewusst nicht in den Vordergrund schieben wollte. Die frauenfeindlichen und unterdrückerischen Seiten der zeitgenössischen muslimischen Mode sollen aus seiner Sicht beiläufig in der Ausstellung miterzählt werden: "Ja, das muss man thematisieren und das wird auch thematisiert in dieser Ausstellung mit hauptsächlich künstlerischen Arbeiten. Gerade die Bekleidungsvorschriften in einem Land wie dem Iran, wo Frauen, die sich dagegen auflehnen, mit drakonischen Strafen, mit Folter und selbst mit dem Tod zu rechnen haben - das darf nicht ausbleiben und das gilt es auch hier mit zu diskutieren."
Kopftuch: "Nicht das Thema der Ausstellung"
Man habe eine Initiative von Frauen mit iranischen Wurzeln, die sich mit einem kritischen Brief ans Museum gewandt hätten, zum Gespräch eingeladen, betont der Museumsdirektor. Einen Dialog mit der weitaus größeren Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes hat es trotz ihrer Kritik an der weitgehend unpolitischen Ausstellungsankündigung noch nicht gegeben. Terre des Femmes hatte von den Frankfurter Ausstellungsmachern gefordert, der unterdrückerischen Seite muslimischer Ganzkörpergewänder und des Kopftuchs in der Ausstellung breiteren Raum zu geben. Museumsdirektor Matthias Wagner K lehnt das ab:
"Wir haben das in dieser Ausstellung nicht thematisiert. Es gibt zum Beispiel im Weltkulturenmuseum in Wien eine Ausstellung, die sich ausschließlich mit dem Kopftuch beschäftigt, mit der Verhüllung in den unterschiedlichsten Religionen. Das will diese Ausstellung überhaupt nicht leisten, weil das nicht das Thema der Ausstellung ist."
Doch genau das geht aus Sicht etwa von Terre des Femmes und anderen Feministinnen eben nicht: hierzulande eine Schau über muslimische Mode zu machen, ohne die frauenfeindliche Seite angemessen zu problematisieren. Für die Ausstellungseröffnung am kommenden Donnerstagabend rechnet man in Frankfurt mit Protesten. Die Sicherheitskontrollen sind erhöht, in die Ausstellung wird man nur mit vorheriger Leibesvisitation eingelassen. Die Mainmetropole hat einen neuen Ausstellungsskandal.
Ausstellung "Contemporary Muslim Fashions"
Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main
5. April – 15. September 2019
Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main
5. April – 15. September 2019