Sie seien arme Bilder-Millionäre, sagte Jean-Luc Godard über die Palästinenser, als er in den 1970er-Jahren einen Film über die palästinensischen Flüchtlingslager drehte. Was der französische Regisseur damit meinte, war: Gemessen an den Millionen von Malen, die diese Menschen fotografiert und gefilmt worden sind, sind sie unendlich reich. Aber keines der Bilder von ihnen, gehört ihnen. Von Jean-Luc Godards Film "Ici et ailleurs", "Hier und anderswo" stammt der Titel der Ausstellung "Here and Elsewhere" mit Gegenwartskunst aus dem Nahen Osten und Nordafrika, die Massimiliano Gioni im New Museum in New York organisiert hat.
Einige der Künstler würden auf eben diesen Bilderüberschuss reagieren, so Gioni, auf all die Bilder in den Medien, von denen sie sich benutzt fühlten. "Einige" sind die meisten der 45 Künstlerinnen und Künstler aus 15 arabischen Ländern. Zu sehen sind zwar auch ein paar Skulpturen und vereinzelt Abstraktes auf Leinwänden. Doch Film und Video dominieren. Denn den Kern der Ausstellung bildet die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Bildern.
"Von Film und Fotografie erwarten wir eine Darstellung der Realität. Jede Reportage oder Dokumentation enthält fotografische und kinematografische Elemente. Es ist eine kritische Position, die diese Künstler einnehmen, aber eine, auf der viele beharren."
"Zwischen der Erkenntnis der eigenen Subjektivität und der Objektivität"
Auf vier Etagen wird manipulierte Wirklichkeit geboten. Fouad Elkoury arbeitet mit Archivbildern von der Zerstörung Beiruts im Lauf diverser Invasionen. Hrair Sarkissian hat sich auf Fotos von Palmen in Damaskus spezialisiert, die alle auf Plätzen stehen, wo Menschen hingerichtet wurden und werden. Der Iraner Rokni Haerizadeh zeigt eine Mischung aus Trickfilm und Nachrichtenschnipseln, indem er brüllenden und schießenden Figuren an Protestkundgebungen Schweineköpfe aufmalt und sie vorwärts und rückwärts laufen lässt.
Die ägyptische Künstlerin Anna Boghiguian ist mit Zeichnungen aus den Monaten während der Revolution von 2011 vertreten.
"Man erkennt darauf Straßenszenen und den Tahrir-Platz, aber es handelt sich nicht um Abbildungen der Realität. Vielmehr sieht man die Künstlerin sehen. Man sieht, was in ihr vorgeht. Sie räumt ihre Subjektivität von Anfang an ein. Das ist ein wiederkehrendes Thema in dieser Ausstellung: die Spannung zwischen der Erkenntnis der eigenen Subjektivität und der Objektivität, zu der man durch diese Erkenntnis gelangt."
Rezeption ohne Projektion unmöglich
Die Künstler in dieser Ausstellung haben das Objektiv selber in die Hand genommen, anstatt dafür weiterhin als Sujets zu hinzuhalten. Allerdings sind ihre Bilder ebenso auf ihr Publikum zugeschnitten wie die unzähligen, die Jean-Luc Godards Palästinenser schon vor 40 Jahren zu Bilder-Millionären gemacht haben. Es wird mit der Herkunft der Ausgestellten gelockt und der politische Gehalt des Ausgestellten vorausgesetzt. Das passt bestens in die Welt der Kunst, wo Rezeption ohne Projektion längst unmöglich geworden ist.