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Ausstellung der Humboldt-Universität Berlin
Koloniale Gewalt und menschliche Überreste

Die Ausstellung "The Dead, as far as (…) can remember" zeigt, wie Forscher jahrzehntelang Rassismus und Kolonialismus legitimierten. Die Schau versucht sich an einem Perspektivwechsel: Es sollen Stimmen zu Wort kommen, die sonst nicht so laut zu hören sind, wenn es um die dunkle Kolonialgeschichte geht.

Von Christiane Habermalz |
    Häuptling Meli von Moschi
    Häuptling Meli von Moschi hat sich gegen die Deutschen gestellt und wurde als Verschwörer und Verbrecher hingerichtet (SLUB / Deutsche Fotothek / Hans Meyer)
    Die schiere Menge ist überwältigend. Ein 30 Meter langes Regal, in dem dicht an dicht aufgereiht 40.000 Totenschädel ins Leere blicken. Es steht im Naturhistorischen Museum in Wien, in der anthropologischen Sammlung. Hier in der Ausstellung bedeckt nur ein Ausschnitt davon als riesiges Foto die ganze Wand. Doch die Aufnahme ist weichgezeichnet, die Schädel nur schemenhaft zu erkennen.
    Wie blicken wir auf die menschlichen Überreste, die alle einmal Menschen gewesen sind? Dürfen wir sie überhaupt zeigen, dürfen wir sie besitzen? Diese Frage wirft der israelische Künstler Tal Adler in seiner Installation auf – und lässt sie auf zwei Videobildschirmen kontrovers diskutieren von verschiedenen Protagonisten der Wissenschafts- und Kulturszene.
    40.000 Totenschädel und kontroverse Diskussion
    "Es gibt Stimmen, die sagen, nein, die Sachen gehören uns, wir brauchen die für die Wissenschaft, die Wissenschaft hat das Primat, was die anderen denken ist uns egal", sagt Felix Sattler, Kurator des Tieranatomischen Theaters der Berliner Humboldt-Universität. "Und es gibt auch Museumsleute, die sagen, das darf man nicht mehr machen, es gibt sogar eine Kuratorin aus dem Ethnologischen, also mittlerweile heißt es Museum für Weltkulturen in Wien, die sagt, sie hat selber Angst vor diesen Sammlungen, sie fühlt sich unwohl und hat sich auch mit einem Schamanen dazu beraten, also es ist eine sehr kontroverse und sehr vielfältige Diskussion."
    Tal Adlers Installation ist Teil einer Ausstellung mit dem wenig radiophonen Titel: "The Dead, as far as (…) can remember". Statt des Pieptons stehen im Titel eckige Klammern – eine bewusste Leerstelle, die zeigen soll, wie sehr beim Thema Kolonialismus die Erinnerung im Auge des Betrachters liegt. Die Deutungshoheit bei der Debatte um Umgang mit kolonialen Objekten und Human Remains hätten auch heute noch vor allem die Museen und Kuratoren inne, sagt Sattler: "In der Ausstellung ging es darum, mit Partnern zu arbeiten, die sonst nicht so laut zu hören sind und die hier zu Wort kommen sollen."
    Wissenschaft in der Verantwortung
    Das ist etwa der Verein Berlin Postkolonial, der konsequent die Perspektiven von Nachfahren der ehemals kolonisierten Völker in den Mittelpunkt stellt. Verklärenden Erinnerungsbildern des Plantagenbesitzers Karl Vieweg aus seiner Zeit in Deutsch-Ostafrika werden die Schilderungen des jungen Ostafrikaners Mdachi bin Sharifu gegenüber gestellt. Ein Deutscher wird in einer Sänfte von uniformierten Afrikanern getragen. "Wir schleppten alle Lasten auf unseren Köpfen. Wir schleppten auch die Deutschen selbst", lautet der verbitterte Kommentar Sharifus. Das Tieranatomische Theater, ein 200 Jahre altes Lehrgebäude der Universität, in dem früher Tiere seziert und Präparationsvorlesungen gehalten wurden, könnte als Ort nicht besser geeignet sein für diese Ausstellung.
    Denn es geht auch um die Verantwortung von Wissenschaft, die mit ihren Forschungen jahrzehntelang Rassismus und Kolonialismus legitimierte. In unmittelbarer Nachbarschaft arbeitete der Anatom und Anthropologe Felix von Luschan, der sich für seine Forschungen Tausende von Schädeln aus der ganzen Welt schicken ließ. "Das ist der Ausgangspunkt", sagt Felix Sattler. "Und dann gibt es natürlich heute an den Nachfolgeeinrichtungen, also dem Afrikawissenschaftlichen Seminar, an den Kulturwissenschaften und auch bei CARMAH gibt es vielfältige Forschungsprojekte, die sich sehr kritisch mit der eigenen Forschungsgeschichte auseinandersetzen, und die vertreten wir auch im Rahmenprogramm die Positionen, und klammern das sozusagen. Wir sagen die Uni ist ein Ausgangspunkt, wir zeigen aber auch, was die Uni heute tut."
    Notwendige Perspektivwechsel
    In der Ausstellung selber geht es vor allem um Perspektivwechsel. Besonders eindrücklich zeigt dies ein Raum, in dem es um eine persönliche Suche geht, die Suche eines Enkels nach dem Schädel seines Großvaters. Mangi Meli, der Anführer der Wachagga in Moshi, Tansania, hat sich gegen die Deutschen gestellt und wurde als Verschwörer und Verbrecher hingerichtet. Sein Kopf, erzählt man sich, sei nach Deutschland verschifft worden.
    Mangi Melis Enkel Isaria Anael Meli sucht seit 50 Jahren in deutschen Archiven und Sammlungen nach dem Haupt seines Großvaters. Bislang ohne Erfolg. Doch die Suche selber ist zu einem Narrativ geworden. Der Schauspieler und Regisseur Konradin Kunze hat die Geschichte dieser Suche gemeinsam mit tansanischen Künstlern in einem Theaterstück und einem Animationsfilm verarbeitet, der in die halb zerborstene Schale eines Tontopfes projiziert wird. Denn in Melis Heimat ist es üblich, die Häupter der Verstorbenen in Tontöpfen zu beerdigen. Eine Leerstelle, die schmerzt. Doch wer hat am Ende der Geschichte die Deutungshoheit? Die Antwort auf diese Frage scheint in der Ausstellung Mangi Meli selbst zu geben. Sein fast lebensgroßes Porträt hängt an der Wand: Kraftstrotzend, jugendlich, steht er da, herablassend blickt er seinem Fotografen ins Gesicht. Der Blick eines Unterworfenen ist das nicht.