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Ausstellung
Deutsch-britische Kunst nach 1945

Die Kunst nach dem 2. Weltkrieg wird bis heute überschattet vom Aufbruch der 60er-Jahre. Unter dem Titel "Die frühen Jahre" gewährt das Sprengel Museum Hannover jetzt einen neuen Blick auf die Skulptur und das bildnerische Schaffen in Westdeutschland und Großbritannien in den 50er-Jahren.

Von Rainer B. Schossig |
    Der Veranstaltungsraum im Erweiterungsbau des Sprengel Museums in Hannover
    Das Sprengel Museum Hannover zeigt in der Ausstellung "Die frühen Jahre" bis zum 28. September deutsch-britische Nachkriegskunst. (dpa / pa / Hollemann)
    Der Stammvater europäischer Epik Homer erzählt vom Trojanischen Krieg, von der Zerstörung Trojas und von der Heimkehr des Odysseus - Kriegs-, Trümmer- und Heimkehrerliteratur -, wir haben keinen Grund, uns dieser Bezeichnung zu schämen." So schrieb Heinrich Böll 1952 in seinem Essay "Bekenntnis zur Trümmerliteratur". Und ein solches Bekenntnis war notwendig, denn eigentlich waren jene "frühen Jahre" der Bundesrepublik keineswegs geprägt vom Nachdenken über ein in jeder Beziehung zertrümmertes, am Boden liegendes Land.
    Die Rückkehr zur lange verfemten Avantgarde- bzw. West-Kunst hatte eine Kehrseite: das Verdrängen der nationalsozialistischen Kriegsverbrechen und des Völkermords. Man deklarierte Aufbruch und Autonomie der Kunst, aber merkwürdig: Die neuen Werke wirken matt und retrospektiv.
    Gleich an der Schwelle zur Ausstellung Die frühen Jahre drei Schlüsselbilder der Epoche: Ein blickloser, skelettierter Wehrmachtssoldat liegt verkrümmt in einer Schneewüste, ein türkisblaues Mosaik des Grauens, gemalt von Josef Scharl; kontrastierend dazu ein wackliger Küchenherd, die vulkanrote Platte voll einfacher Töpfe und Schüsseln, eine Art Altar karger häuslicher Geborgenheit - ein überraschend realistisches Werk Emil Schumachers. Im Zentrum aber ein Programmbild von Werner Heldt: Der Blick geht aus dem Fenster auf Berliner Brandmauern, Trümmer und kahles Astwerk; vorn ein Fenstersims mit leerem Krug, daneben ein toter Vogel. Damit ist der Grundton der deutschen Kunst nach 1945 angeschlagen.
    Konsequent wird gleich im ersten Raum der britische Künstler der 50er-Jahre vorgestellt: Henry Moore. Der Londoner Bildhauer trat schon auf der documenta 1959 prominent auf; wie ein Symbol der deutschen Spaltung und Westbindung thronte später seine Skulptur "Two Large Forms" am Bonner Kanzleramt. Moore suchte nach einer bedrohten menschlichen Gestalt, diese "humanity of form" war prägend, gerade für deutsche Nachkriegskünstler. Die Hannoversche Schau wartet mit beeindruckenden 17 Moore-Skulpturen auf; insbesondere die kleinen, erstaunlich fein gearbeiteten Maquetten beweisen seine handwerklichen Qualitäten.
    Die Zeit war aus den Fugen
    Die abstrakt experimentierenden, offenen Werke Barbara Hepworths wirken noch immer klassisch elegant und distanziert. Die heute kaum noch bekannten Bildhauer Kenneth Armitage und Lynn Chadwick erscheinen daneben wie Seelenverwandte der Deutschen: Ihre spitzbeinigen Aliens und Fledermaus-Raumschiffe ähneln den schrundigen, kratzbürstigen Erfindungen Bernhard Heiligers.
    Geschickt hat die Kuratorin Carina Plath die Präsentation von Skulptur und Malerei sowie von Engländern und Westdeutschen ineinander verschachtelt. Dies erlaubt beim Durchwandern der Schau immer wieder Querbezüge. Die Zeit war aus den Fugen, die Welt schien bevölkert von Krüppeln, Aktivisten und Schlafwandlern. Entwurzelte Deutsche wie Wols und Ernst Wilhelm Nay hatten sichtlich Mühe, sich aus der erdig-düsteren Farbigkeit der Exil- und Hungerzeit zu verabschieden. Erst Karl Hartungs heiter gekurvte Plastiken, Karl Otto Götz' scheinbar sorglose skripturale Mal-Gestik und die im doppelten Sinne gegenstandslosen Raumskulpturen Norbert Krickes nähern sich den Mustern des Westens an. Zugleich aber wenden sie sich ab von der Figürlichkeit, die mit zunehmend schärferem Ost-West-Konflikt als Sozialistischer Realismus diskreditiert wird. Es hat den Anschein, als hielte nur noch der Figuren-Klassiker Karl Hofer die gute, alte spätexpressionistische Stellung. Vorwiegend werden freie Bewegungen formuliert - in einem posthumanen Feld, das allenfalls als abstrakter Spiel-Raum existenzieller Geworfenheit begriffen werden kann.
    Zugleich - und dies ist das Aufschlussreiche dieser deutsch-britischen Vergleichsschau - scheint die Auseinandersetzung zwischen Abstraktion und Figuration nicht so antagonistisch, wie man meinen könnte. Viele Deutsche sind unentschiedenen, suchen sichtlich nach einem dritten Weg zwischen den Haupt-Strömungen. In halbherziger Abstraktion lebt die Figur weiter, gleichsam als letzter Garant einer versunkenen Welt. Auch die Briten schwanken zwischen modernistischen und humanistischen Gesten. Am Schluss des Rundgangs sind Künstler versammelt, die schon auf kommende Stile hinweisen: Der englische Früh-Popartist Eduardo Paolozzi, der Schamane und Mythologe der sozialen Plastik Joseph Beuys oder der große deutsch-englische Einzelgänger Gustav Metzger, der jüngst auf der documenta erst wiederentdeckt wurde.
    Eine schöne, aber düstere und sehr melancholische Ausstellung.