Grenzen beschäftigen uns heute mehr als uns lieb ist. Da werden Außengrenzen gesichert, Grenzübergänge geschlossen, Zäune und Mauern errichtet. Man schottet sich ab im Nationalen. Und Menschen riskieren und verlieren zu Tausenden ihr Leben dabei, Grenzen zu überwinden, hin in ein sicheres, in ein menschenwürdiges Leben. Eine Ausstellung in Dortmund erkundet jetzt Grenzen. Zum einen als territoriale Ein- oder Ausgrenzung, aber auch als kulturelle oder soziale Trennlinien. 23 künstlerische Positionen aus 11 Ländern sieht man da, kuratiert unter anderem von Inke Arns, Direktorin des Hartware Medienkunstvereins Dortmund.
Sigrid Fischer: Guten Tag, Frau Arns. Ich begrüße sie nämlich jetzt – in Berlin allerdings, nicht in Dortmund.
Inke Arns: Hallo.
Fischer: Die ganz zentrale Fragestellung dieser Ausstellung ist ja: Wo beginnt Asien, wo endet Europa? Das ist ja schon auch wiederum eine Eingrenzung des Themas. Also, warum hat man nicht einfach gesagt: die Grenze an sich, geografisch unabhängig? Warum diese Eingrenzung?
Arns: Weil wir vor einer ganz bestimmten Aufgabe standen. Und zwar standen wir vor der Aufgabe, Künstlerinnen und Künstler aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu kuratieren in einer Ausstellung. Wir haben uns gefragt: Was vereint oder was bringt diese superheterogenen, sehr unterschiedlichen Länder zusammen? Und wir sind dann irgendwann auf die Idee gekommen - die natürlich nicht neu ist, ich weiß -, uns mit der Grenze und mit der Frage zu beschäftigen: Wo beginnt Asien, wo endet Europa? Weil das eine Fragestellung ist, die Sie so in allen Ländern wiederfinden. Und ich rede hier von Russland, Zentralasien, vom Kaukasus und natürlich auch von der Ukraine und von Belarus. Es ist ja unklar, wo Asien beginnt und wo Europa endet oder andersherum. Oder man findet manchmal auch das eine im anderen.
Es geht um die Grenzen in den Köpfen
Fischer: Ja, da wird es ja spannend. Die geografische Grenze, die kann man ja noch oft feststellen, wo die verläuft. Aber viele Grenzen verlaufen ja auch in den Köpfen, die kulturellen Grenzen. Wird das visualisiert und thematisiert auch in Arbeiten?
Arns: Absolut. Das ist genau das Thema der Ausstellung, die Grenzen in den Köpfen. Also eher die kulturellen Differenzen, auch Identitäten, die eben nicht unbedingt konkreten Grenzziehungen folgen, sagen wir es mal so.
Fischer: Ein Kopftuch kann ja schon eine Grenze sein, wie wir hier in Deutschland erleben zum Beispiel.
Arns: Absolut. Und da wollte ich direkt auch ein Beispiel bringen: Wir haben 23 Künstlerinnen und Künstler in der Ausstellung - davon sind vier aus Deutschland. Und Viron Erol Vert ist einer dieser Künstler aus Deutschland, türkischer Herkunft. Und der hat eine ganz wunderbare Arbeit gemacht: Der hat nämlich ein Kopftuch entworfen - es geht natürlich um die Kopftuchdebatte, die vor allem auch bei uns geführt wird, in Europa. Auf diesem Kopftuch sind verschiedenfarbige Frauenfrisuren abgedruckt. Das heißt, man kann den Kopf bedecken, wenn man möchte - wenn man muss vielleicht auch - und trotzdem Haar zeigen. Und auf diesem Kopftuch ist in verschiedenen Sprachen das Motto aufgedruckt: Alle Grenzen sind in uns.
Fischer: Wie Sie ja eben schon gesagt haben - und das steht auch, glaube ich, so in der Ankündigung in etwa. Es ist natürlich ein hochaktuelles Thema für Russland und die ehemaligen Sowjet-Republiken zum einen, aber eben auch natürlich für Deutschland und Europa. Kann man da schon unterschiedliche Perspektiven feststellen in den Arbeiten? Also ich meine jetzt geopolitisch oder auch eben kulturell, dass man sieht, eine Arbeit aus Zentralasien würde so vielleicht aus Deutschland nicht kommen können?
Arns: Na ja, mir fällt eine Arbeit ein von einer kasachischen Künstlerin, Saule Dyussenbina aus Almaty, das ist die ehemalige Hauptstadt von Kasachstan – die hat Tapeten entworfen, also Designs für Tapeten. Und diese Designs sehen erst mal unglaublich schön aus, sehr europäisch. Wenn Sie aber nähertreten, dann sehen Sie, dass die Motive doch sehr anders sind: Das sind nämlich Motive, die sich mit Kasachstan beschäftigen. Und das ist teilweise nicht ganz ohne. Wir sehen im Stile von Delfter Kacheln die neuen Architekturen, die in der neuen Hauptstadt von Kasachstan entstanden sind, in Astana. Das ist ja eine neue Stadt, die in der Wüste gewachsen ist innerhalb von zehn Jahren. Und alle diese Architekturen von weltberühmten Architekten, Foster und so weiter und so fort, finden Sie jetzt auf diesen Wandtapeten. Sie finden dann teilweise auch Tiere aus der Flora und Fauna Kasachstans. Und da ist es eben interessant zu wissen, eine spezielle Antilopenart wird ornamental dargestellt auf diesen Tapeten - und diese Antilopen sterben zu Tausenden, man weiß nicht genau warum. Es wird vermutet, dass das mit dem Austrocknen des Aralsees zu tun hat. Das heißt, auch hier ein Verweis auf eine ökologische Katastrophe – die aber sozusagen im schönen Design daherkommt. Und das ist eine ziemlich subversive Arbeit. Die kann man natürlich so eins zu eins direkt hier nicht verstehen, man muss so ein bisschen den Kontext kennen. Und dann versteht man, wie diese Arbeit funktioniert.
"Man findet immer das eine im anderen"
Fischer: Ich habe gelesen, präsentiert wird diese Ausstellung in einem eigens dafür entworfenen mobilen Display, das sich flexibel an die jeweiligen räumlichen Gegebenheiten anpasst. Wie stelle ich mir das vor?
Arns: Das war von Anfang an klar: Diese Ausstellung wird in zehn oder zwölf Ländern, meistens in den Hauptstädten, gezeigt und die Ausstellung muss mobil sein. Wir standen vor der Herausforderung: Wie können wir Kontrolle über die Präsentation dieser Ausstellung behalten ohne jeweils selbst immer vor Ort sein zu müssen? Deswegen hat mein Kollege Thibaut de Ruyter, der auch Architekt ist übrigens, diesen ziemlich guten Vorschlag gemacht, von wegen: Lass uns Kisten konstruieren – das sind also schwarze Kisten. Diese Kisten dienen als Transportkisten einerseits, aber wenn sie ausgeklappt werden und geöffnet werden, dann sind sie mit blauem Teppich ausgeschlagen. Und die Kisten können verschiedene Formen annehmen und dienen gleichzeitig als "display", als Hintergrund, als "backdrop" für die Ausstellung, sodass immer eine gewisse Einheitlichkeit in der Präsentation gegeben ist und sodass wir eben in sehr, sehr unterschiedliche Räume reingehen können, in bestehende Museumssammlungen oder in postindustrielle Räume oder was man sich so vorstellen kann.
Fischer: Ja, viele spannende Arbeiten sieht man offenbar. Man kann also vermutlich sagen: Die Kunst, die ist generell verbindend, nicht abgrenzend, oder?
Arns: Das war uns ganz wichtig. Vielleicht kann ich noch eine Geschichte erzählen von Viron Erol Vert. Wir hatten jetzt am Wochenende gerade eine Podiumsdiskussion mit verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern der Ausstellung und Viron Erol Vert hat eine Zugreise, eine Bahnreise, von Berlin nach Istanbul beschrieben. Und er hat beschrieben, wie sozusagen in jedem Bahnhof, als er über den Balkan fuhr, sich die Kulturen – oder das Verhältnis der Kulturen, vielleicht Europa-Asien, wie auch immer – immer ein bisschen weiter verschieben. Und das sind diese Abstufungen, das sind diese "gradients". Und das Schöne an dieser Vorstellung finde ich eben: Man findet eigentlich immer das eine im anderen und es geht eigentlich um das verbindende Element – und nicht um das abgrenzende.
Fischer: Tja, dann sollte ich diese letzte Frage jetzt vielleicht nicht mehr stellen: Wo beginnt denn nun Europa? Oder wo endet es? Haben Sie das herausgefunden?
Arns: (Lacht) Das bleibt offen. Diese Grenze existiert eigentlich nicht, es ist ja ein Kontinent.
Fischer: "Die Grenze" – ein Ausstellungsprojekt des Goethe-Instituts mit Partnern und auch Stationen in Moskau, Kiew, Minsk, Tiflis, Zentralasien und zur Zeit Dortmund – das ist die einzige deutsche Station. Und dort noch bis zum 8. April. Vielen Dank, Inke Arns.
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