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Ausstellung "Die innere Haut"
Scham mit Charme

Die Ausstellung "Die innere Haut - Kunst und Scham" im Museum Marta Herford stellt Fragen zum Schamgefühl unserer Gesellschaft. Mit sinnlichen und berührenden, aber auch humorvollen Arbeiten untersucht die Ausstellung, inwiefern es heute eines besonderen Rüstzeugs bedarf oder das Teilen von Intimitäten ein Gefühl von Gemeinschaft erzeugen kann.

Von Andi Hörmann |
    In der Ausstellung "Die innere Haut - Kunst und Scham", die beiden Fotografien "Jamie" und "Julie" des New Yorker Fotografen Bruce Gilden aus dem Jahr 2014
    Die Bilder "Jamie" und "Julie" des New Yorker Fotografen Bruce Gilden aus dem Jahr 2014 sind in der Ausstellung "Die innere Haut - Kunst und Scham" im Museum Marta Herford zu sehen (Andi Hörmann/Deutschlandfunk)
    "Das Museum ist auf jeden Fall auch eine Art Schutzraum, in dem eben Dinge ausprobiert werden können, Tabus auch gebrochen werden können, die sonst eben anderswo gelten", sagt Friederike Fast.
    Die Anarchie der Ängste: Möglich im Museum. Grenzenlose Kunst. Die Entblößung ist erlaubt!
    "Ja, ich bin Friederike Fast. Ist das jetzt ein Akustik-Test? Ja, ne? Ähm …"
    Mikrofon vor der Nase, eine akustische Seelenschau - unangenehm bis beklemmend. Der Humor hilft.
    "Ich bin Friederike Fast, Kuratorin im Hause, und habe die Ausstellung entwickelt."
    Mit dem Titel: "Die innere Haut - Kunst und Scham". Aber was bitte ist die "innere Haut"?
    "An der Haut kann man ja ablesen, wenn man sich schämt. Zum Beispiel bekommt man eine Gänsehaut, oder man fängt an zu schwitzen. Und die Ursache für diese sehr körperliche Reaktion liegt natürlich im Inneren", sagt Fast.
    Ein Panoptikum der Scham in der Kunst
    In den Tiefen der menschlichen Psyche wird die Haut zur Leinwand der Seele. Von innen nach außen. Die Scham wird sichtbar: Erröten, Zittern, Schweißperlen - alles eine Frage von Persönlichkeit und Perspektive, von Schamgrenze, Schamgefühl und Schamlosigkeit. 100 Werke von 50 internationalen Künstlern und Künstlerinnen liefern im Museum "Marta Herford" ein Panoptikum der Scham in der Kunst. Installationen, Malerei, Video, Performance und Skulpturen. Gleich am Eingang hängt ein Dürer: Adam und Eva. Klar, der Sündenfall.
    "Scham entsteht eigentlich aus dem Bedürfnis der Zugehörigkeit und reguliert eben auch unser Miteinander. Und da steckt eigentlich auch ein großes Potential drin, also auch Mitgefühl zu entwickeln - Empathie", sagt Fast.
    Überlebensgroße Porträt-Fotographien von zwei Jugendlichen mit eiternden Akne-Pickeln - unsicher und verletzlich, aber auch mit einer leisen Ahnung von Selbstwertgefühl blicken sie in die Kamera.
    "Man sagt ja, dass Scham ein Gefühl ist, dass man mit sich selbst ausmacht", sagt Clemens Krauss. "Ich glaube, es kennt jeder Momente, dass er mal …"
    …ins Stocken gerät, den Faden verliert, dass einem die Worte fehlen? Das Mikrofon kennt keine Scham. Peinlich? Nein, kein Grund zu kapitulieren!
    "Ich sage den Satz noch mal. Ich würde sagen: Es gehört auch zum Reifeprozess eines jeden Menschen dazu, dass man dieses Gefühl auch aushält und weiß, dass es oftmals nicht so vernichtend ist, wie es sich anfühlt."
    Die Arbeit des Berliner Künstlers Clemens Krauss liegt auf dem Museumsboden: Eine menschliche Hülle aus Silikon und Echthaar, eine hyperrealistische Nachbildung des Künstlers als 13-jähriger. "Selbstportrait als Kind" ist die Selbstdarstellung als Gratwanderung zwischen Intimität und Identität.
    "Es geht um den Wunsch, gesehen zu werden, und gleichzeitig die große Angst, sich zu zeigen", sagt Krauss.
    Wie leben wir mit unserer Scham?
    "Wie geht man mit Normen um? Wie geht man mit den Blicken der anderen um, mit den Erwartungen der anderen um? Und wie geht man aber auch mit seinen eigenen Zwängen um?", fragt Ulrike Lienbacher.
    Von der Wiener Künstlerin hängen fragil transparente Zeichnungen in der Ausstellung: Unfertige Momentaufnahmen des Schamgefühls. Fingerspitzen berühren sich, rot glühend, und formen eine Raute. Die Merkel-Geste oder doch das Symbol einer Vagina? Die Fantasie des Betrachters kippt von der Harmlosigkeit in das Anzügliche und wird zum Katalysator der Scham.
    "Man wird ertappt: Etwas, was man sich im ersten Moment nicht eingestehen will. Aber es ist auf einmal da", sagt Lienbacher.
    Ein Versteckspiel der menschlichen Psyche im ewigen Spiel um das Enthüllen und Verschleiern unserer Ängste. In der Ausstellung "Die innere Haut" im Marta Herford wird Scham in der zeitgenössischen Kunst kaleidoskopartig bunt durchleuchtet. Voyeurismus, Fetischismus, Ästhetik: Die Scham hat viele Gesichter - im Privaten, in der Politik. Wie positionieren wir uns zu ihr in der Gesellschaft, wie leben wir mit unserer Scham? Fremdschäden inklusive - eine voll funktionsfähige Toilette mitten in der Ausstellung. Hm.
    Die Ausstellung "Die innere Haut - Kunst und Scham" ist vom 04.03. bis 04.06.2017 im Museum Marta Herford zu sehen.