Maja Ellmenreich: Es braucht keine Tageswanderung, um in Berlins Mitte einen regelrechten Denkmal-Parcours zu durchlaufen. Fängt man Unter den Linden an, nahe der Museumsinsel, und läuft Richtung Brandenburger Tor, dann erinnert gleich zur Rechten in der "Neuen Wache" eine Käthe-Kollwitz-Skulptur an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Schräg gegenüber, im Boden des Bebelplatzes, schaut man durch eine Glasplatte in einen leeren Bücherraum – das Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung im Mai 1933. Überquert man dann die Straße noch mal, dann kann man auf dem Mittelstreifen Friedrich den Großen bestaunen – hoch zu Ross und sicher umzäunt: das berühmte Reiterstandbild von Christian Daniel Rauch.
Diese Denkmaldichte setzt sich fort in der Hauptstadt: Erinnerungsorte, Gedenkstätten, Denkmäler. Öffnet man erst einmal den Blick dafür, sieht man sie an jeder sprichwörtlichen Ecke. Berliner Denkmäler, die nicht mehr zu sehen sind, "entsorgte Denkmäler" zeigt eine neue große Dauerstellung in der Zitadelle Spandau. "Enthüllt – Berlin und seine Denkmäler" heißt die kulturhistorische Schau, die heute mit einem Festakt eröffnet wird und in deren wissenschaftlichem Beirat der Historiker Andreas Nachama ist, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors.
Herr Nachama, bekanntestes Ausstellungsstück ist vielleicht der riesige Granitkopf eines Lenin-Denkmals, das nach dem Mauerfall zerlegt und verbuddelt worden war. Ist das ein klassisches Beispiel für ein entsorgtes Berliner Denkmal, an dessen Geschichte man nicht mehr erinnert werden möchte?
Andreas Nachama: Ich würde schon sagen, das ist ein sehr gutes Beispiel, wobei einem in dieser großen hohen Halle dieses ehemaligen Magazins einer Festung dieser Kopf gar nicht so groß erscheint. Das ist ganz merkwürdig, er liegt da auf der Seite. Ich stand vor ihm heute und dachte mir, ja, warum hat man vor so einem Denkmal eigentlich eine so große Sorge gehabt, dass man es vergraben musste. Aber so ist das mit gefallenen Denkmalen.
Ellmenreich: Welche Erklärung haben Sie dafür, dass man so eine Angst hat?
Nachama: Das ist ja etwas, was politisch motivierter Kunst - und als solches muss man ja die meisten Denkmale einschätzen - eben anhaftet. Sie werden in bestimmten politischen Situationen errichtet, um das jeweilige Regime oder die jeweilige Staatsform als stabilisierende Wirkung auszustrahlen. Und ist dann auf einmal Berlin nicht mehr preußische Haupt- und Residenzstadt, oder ist dann Berlin nicht mehr Hauptstadt der DDR, dann passt das denjenigen, die das vorher ja gar nicht zu verantworten hatten, nicht mehr in den Kram und dann werden die Denkmäler eben gestürzt, und das sieht man in Osteuropa noch viel deutlicher als bei uns, aber man sieht es eben auch bei uns.
"Interessante historische Dokumente"
Ellmenreich: Sind entsorgte Denkmäler, wenn ich Sie richtig verstehe, immer historische Zeugnisse in doppelter Hinsicht? Sie geben zum einen Auskunft über die Zeit ihrer Entstehung und sie geben zum anderen auch immer Auskunft über diese spätere Auseinandersetzung mit der Entstehungszeit, die ich jetzt einfach mal als unsouverän beschreiben würde?
Nachama: Ja. Das sind ganz interessante historische Dokumente. Deshalb beschäftige ich mich ja als Zeithistoriker auch damit. Und sie geben einen Einblick in unser Denken, aber sie geben natürlich auch einen Einblick in das Denken vergangener Zeiten. Und es gibt natürlich Denkmale dieser Art, die gar nicht beseitigt werden können. Ich denke zum Beispiel an die Pyramiden. Die sind so groß, die bleiben dann immer für alle Zeiten stehen und können sogar aus dem Weltraum gesehen werden. Man sieht: Das ist etwas, das bleibt.
Ellmenreich: Materialisierte Macht von früher?
Nachama: Ja, materialisierte Macht. Günter Kunert, ein Autor, der in der DDR gelebt hat und mit Biermann zusammen aus der DDR weggegangen ist, hat das mal in einem Poem gesagt. Die abgeschlagenen Köpfe der Statuen beweisen nicht das Vergessen. Gelöschte Inschriften sind unbesieglich, und da sehen sie sozusagen die Macht drin.
Ellmenreich: Aus einem Denkmal von damals kann eigentlich, so machen wir es heutzutage vielleicht eher, später ein Mahnmal werden?
Nachama: Ja, ein Mahnmal und ein historisches Dokument. Wenn man sich die ganzen Kurfürsten, die Friedrichs und Friedrich Wilhelms anguckt, wenn man sieht, wie mit ihnen umgegangen worden ist, da ist eine Nase abgeschlagen, da eine Hand, dann sagt das natürlich auch viel über die Zeit nach ihnen, vielleicht sogar mehr, als man sich das gemeinhin klarmacht.
"Interessant, Denkmälern auf Augenhöhe zu begegnen"
Ellmenreich: Die Ausstellung, die heute Abend eröffnet wird, die umspannt ja einen Zeitraum vom 18. Jahrhundert bis zum Mauerfall. Welche Epoche war da besonders ergiebig für diese neue Ausstellung? Denkmäler welcher Zeit hat man später gerne aus der Öffentlichkeit entsorgt?
Nachama: Ich glaube, das 19. Jahrhundert ist das ganz große. Die große Zahl der Denkmale, die da weggerissen wurden, stammt aus dieser Zeit, und da ist ganz interessant, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, weil ja viele ihrer Sockel beraubt sind, und dadurch steht man auf einmal Kopf vor Kopf.
Ellmenreich: Wie hat sich unser Umgang mit Denkmälern früherer Zeiten denn vielleicht verändert? Ist es überhaupt noch denkbar, dass heute auch Denkmäler aus dem öffentlichen Raum entfernt werden?
Nachama: In einem System ist das, glaube ich, nicht denkbar. Aber in dem Augenblick, wo es wieder zu einer radikalen Veränderung kommt - und Historiker wissen, dass alles immer irgendwann sich verändert -, dann kann das durchaus kommen, dass Denkmäler wieder abgeräumt werden. Wer hätte das in Osteuropa vor 50 Jahren für möglich gehalten, dass die ganzen Lenins spurlos verschwinden.
Ellmenreich: "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler" – über die neue Ausstellung in der Zitadelle Spandau in Berlin sprach ich mit dem Historiker Andreas Nachama, dem Direktor der Stiftung Topographie des Terrors.
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