Filippo Tommaso Marinetti ist die zentrale Figur beim Auftakt der Ausstellung über künstlerische Aktivitäten in Italien zwischen den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Der Dichter, Intellektuelle und Journalist hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg die futuristische Bewegung gegründet. Kraft, Geschwindigkeit, Farben- und Formenwirbel waren die Kennzeichen der Futuristen. Das an Schwitters erinnernde Gedicht "Post Zang Tumb Tuum" von Marinetti gibt der Ausstellung ihren Titel. Er sah im aufkommenden Faschismus eine revolutionäre Bewegung gegen Kirche und Monarchie, zog sich jedoch später enttäuscht zurück.
Mit hunderten Kunstwerken und Dokumenten
Zwischen der Aufbruchsstimmung etwa in der großen Mailänder Schau zum Futurismus 1919 und Marinettis Tod 1944 schlägt die Ausstellung einen weiten, beeindruckenden Bogen mit hunderten Kunstwerken und Dokumenten. Mit Künstlern wie Umberto Boccioni bis Emilio Vedova, Felice Casorati bis Giorgio de Chirico. Wobei Kurator und Kritiker Germano Celant, einst Biennale-Direktor in Venedig und seit 25 Jahren künstlerischer Leiter der Fondazione Prada, auf ein formales Grundprinzip setzt.
"Ich möchte zeigen, dass Kunst ein historisches Dokument ist und nicht nur ästhetischen oder ökonomischen Wert hat, sondern Informationen vermittelt. Was teilte man damals mit? Wie kommunizierten die Künstler?"
Celant hat dafür eine überzeugende Methodik gefunden. Ausgangspunkt sind Fotografien von Ausstellungssälen der Zeit, von Ateliers oder mit Kunstwerken ausgestatten Privaträumen. Die jeweiligen schwarz-weiß Fotografien wurden zur Originalgröße aufgeblasen, dass man den dargestellten Raum wie eine Kulisse vor sich sieht oder ihn teilweise sogar als dreidimensionale Installationen betreten kann. In diese Kulissen werden nun die Originale der auf dem Foto abgebildeten Gemälde gehängt oder der abgebildeten Skulpturen gestellt, soweit man ihrer habhaft werden konnte.
Insgesamt sind 24 solcher Rekonstruktionen entstanden, die zusammen mit weiteren Themenräumen fast die gesamte Ausstellungsfläche der von Rem Koolhaas für die Prada-Stiftung umgebauten Fabrikanlage am südlichen Stadtrand von Mailand ausfüllen.
"Es geht also um Kontextualisierung und Dokumentation. Das richtet sich gegen einen Idealismus in der heutigen Ausstellungspraxis, wo die angebliche Reinheit des Werkes auf weißer Wand in einem gleichsam grenzenlosen Raum herausgestellt wird."
Politisierung von Kunst und Architektur
Germano Celant lässt mit seinem historischen Blow Up der Ausstellungspraxis von damals eine Zeit mit ihren unterschiedlichen künstlerischen Strömungen von Avantgardisten und Traditionalisten entstehen. Das System verherrlichende Bilder in der Schau zur Zehn-Jahres-Feier des Marsches auf Rom 1932. Oder die abstrakten Skulpturen eines Fausto Melotti in Mailand 1936. Ein lebendiger Pluralismus von Formen und Inhalten, der etwa zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland bereits im Keim erstickt worden war.
Zugleich zeigte sich im Laufe der Jahre auch in Italien parallel zur Ästhetisierung der Politik eine Politisierung der Kunst und Architektur dort, wo sie Massenwirkung haben sollte. Mit Plakaten, die den Duce vergöttlichen. Oder mit monumentalen öffentlichen Gebäuden, während rationalistische Formansätze zurückgedrängt werden. Großflächig kommt die Freskenkunst an Gebäuden zum Einsatz, durch die zum Beispiel ein Mario Sironi die Welt der Arbeit oder des Landlebens verherrlicht. Die Daten der Zeitgeschichte liefern zwei große Infotafeln. Doch enthält sich die Ausstellung jeder Bewertung von Stilen und Inhalten. Das lehnte der Kurator als "moralistisch" ab.
"Urteilen gehört nicht zu meinen Aufgaben. Ich bin Kunsthistoriker. Ich dokumentiere die Zeit des Faschismus, ich urteile nicht über sie."
Gewiss ist es wohltuend, dass hier der aufgeklärte und kritische Besucher gefordert wird. Aber sollte man gerade in einer Zeit, in der rückwärtsgewandtes Gedankengut in Italien wie anderswo wieder an Boden gewinnt, nicht dennoch eine Einordnung, eine Stellungnahme erwarten?
Die Ausstellung liefert hierfür gleichsam einen Epilog. Nach dem Sturz Mussolinis 1943 zeigen Karikaturen und Druckgrafiken oder malerische Arbeiten von Künstlern des Widerstands wie Afro Basaldella etwa die Gräuel des faschistischen Terrors und der deutschen Besatzungstruppen. Doch bleibt die dokumentarische Basis dieser künstlerischen Arbeiten einer politischen Opposition notwendig dünn gegenüber der gewaltigen Selbstdarstellung des Regimes.
Die Ausstellung "Post Zang Tumb Tuum – Art Life Politics Italia 1918 -1943" ist bis zum 25. Juni in der Fondazione Prada, Mailand, zu sehen. Dazu ist in englischer Sprache ein sehr informatives, über 600 Seiten dickes Katalogbuch erschienen.