"Ich will nicht: Endlich aufstehen. Auf zwei Beine. Denn ich bin richtiggehend unaufgerichtet. Ergehe mich in Liegsamkeit. Ich faule ein wenig. Nicht zwei Beine! Keine Revolutionen!" - ein Auszug aus einem Gedicht aus der Perspektive von eigenwilligem, zivil ungehorsamem Moos, von der Botanik-Künstlerin Urszula Zajączkowska. Jeder Flyer der Ausstellung "Floraphilia – Revolution der Pflanzen" enthält ein anderes Gedicht. Und in der Temporary Gallery in Köln sind etliche echte Pflanzen ausgestellt. Künstlich beleuchtet, weil der Raum keine Fenster hat.
Altäre für die Pflanzen
"Die Pflanzen als Wesen, als unser Kollege! Moose und Flechten, das sind unsere neuen Helden. Wenn wir selbst Pflanzen haben, pflegen, sie beobachten, dann ist dieses Verhältnis zur Natur auch viel tiefer. Und wir sind emotional engagiert."
Meint Kuratorin Aneta Rostkowska. Sie hat den Pflanzen regelrechte Altäre gebaut. Die Ausstellungsarchitektur ist inspiriert von einer App: die Künstlerin Verena Friedrich hatte Folgen der Serie "The Office" gefiltert, nach Szenen, in denen Büropflanzen zu sehen sind. Und so werden Gummibaum und Ficus zu Hauptdarstellern und Menschen zu lächerlichen Nebenfiguren. Und das ist die Revolution der Pflanzen:
"Diese übliche Hierarchie, die wir in sehr vielen philosophischen Systemen finden - zum Beispiel bei Hegel: die Pflanze ist dieses niedrigste Wesen" - , umzudrehen. Und die Pflanze als eine Lehrerin zu behandeln."
Von Natur aus pluralistisch
Aber, aber! Echte Kommunikation mit Pflanzen, wie soll das gehen? Und: Dem Gras beim Wachsen zuhören, ist das nicht etwas simpel, ist das nicht einfach nur Selbstbespiegelung des Menschen?
"Ja, aber sie verhalten sich auf eine gewisse Weise. Sie reagieren auf ihre Umwelt. Es gibt auch Forschung, die zeigt, dass sie auch ein gewisses Gedächtnis haben. Also ich glaube, wenn wir uns richtig mit Pflanzen beschäftigen, dann können wir über Kommunikation sprechen. Aber das ist natürlich nicht wie eine Kommunikation zwischen Menschen, das ist eine andere Art."
Pflanzen sind "von Natur aus" pluralistisch , schwarmkreativ und schwarmintelligent, meint Aneta Rostkowska. Sie sind auch: Unkraut, das gegen menschliche Ordnungen, Architekturen, Grenzen aufbegehrt. Eine drei Meter hohe, schwarze Distel steht in der Ausstellung, in dem Fall eine Nachbildung. Sie ist Revolutionsführerin: Hätte man sie gelassen, wäre zum Beispiel die deutsch-deutsche Mauer früher zu Fall gekommen.
Politisierung der Natur durchs rechte Lager
Eine schöne Revolution. Und auch eine komplexe, denn Öko-Denken, das kann auch kippen und dann wird es schwierig. Ein riesiger Kranz aus kanadischem "Goldregen" schwebt an der Decke hängend im Raum; da könnte man interpretieren: Ewiger Kreislauf, Werden und Vergehen. Zurück zur wahrhaft urwüchsigen Natur! Doch so etwas würden auch Bio-Nazis für ihr Weltbild instrumentalisieren. Meint Aneta Rostkowska:
"Diese rechte Politisierung der Natur, wo Natur ein Zufluchtsort ist, aber auch ein Ort, der unsere Identität bestimmt, ja? Dann gibt es so etwas wie einen 'deutschen Wald', was eigentlich eine Fiktion ist. Wenn wir analysieren, wie Pflanzen wandern, dann kann man sehen, dass Pflanzen, die da wachsen, die kommen aus aller Welt, die haben sich verbreitet. Und diese Idee von einer 'heimischen' Identität, das ist eigentlich eine Fiktion. Und da müssen wir sehr aufpassen, weil in anderen Bereichen von politischen Szenen ist das Lokale auch sehr wichtig."
Was der Pflanze aber egal ist. Sie gedeiht, wo die Bedingungen für sie gut sind. "Floraphilia – die Revolution der Pflanzen" arbeitet verblüffende Pointen heraus: Das typisch deutsche, bürgerliche Fensterbrett ist bei genauem Hinsehen oft ein globaler Garten. Oder provokanter ausgedrückt ein kolonialer Garten? Allemal so deutsch wie Ananas und Banane. Das ist für Aneta Rostkowska das revolutionäre Potenzial der Pflanze: Sie erfreut uns und führt uns dadurch hinters Licht. Die Pflanze hat die Fäden in der Hand.