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Ausstellung
Gerhard Richters Räume

Gerhard Richter wurde in der DDR zum Wandmaler ausgebildet. Im Rückgriff auf dieses biografische Detail des Künstlers zeigt eine Ausstellung in der Fondation Beyeler in der Schweiz jetzt Richters Serien, Zyklen und Reihen als Großformate. Jeder Saal hat eine eigene Atmosphäre, einen eigenen Farbton, ein Thema.

Von Christian Gampert |
    Gerhard Richter vor einem Gemälde aus der Serie "Strips" in einer Ausstellung im Kunstmuseum Winterthur, Januar 2014
    Gerhard Richter vor einem Gemälde aus der Serie "Strips", das jetzt auch in der Ausstellung der Fondation Beyeler zu sehen ist. (picture alliance / dpa)
    So hat man Gerhard Richter noch nicht gesehen. Keine Retrospektive, keine thematische Ausstellung. Sondern: In jedem Raum werden großformatige abstrakte Arbeiten mit meist kleineren gegenständlichen Werken konfrontiert, verschiedene Werkphasen werden spielerisch zueinander in Bezug gesetzt, Farbtönungen und Serien werden wie Leitmotive durchgespielt.
    Die Anfangssequenz erzählt mit den höchst privaten Mutter-Kind-Bildern aus den 1990er-Jahren, als Reflex auf die religiöse Malerei, vom Anfang des Lebens. Dann öffnet sich die Ausstellung in den großen Saal, wo eine Serie von sechs abstrakten, schrundigen Großformaten von 2006, die dem Komponisten John Cage gewidmet sind, das Musikalische dieses Werks betont und die Zeit der Reife feiert. Gegenüber hängen sechs rote Rhomben, in der Mitte steht eine erst vor Kurzem gefertigte Glasskulptur, ein durchsichtiger Tunnel. Das Ganze ist ein Klangraum der Farben, ein wunderbares großes Bühnenbild.
    Über verschiedene Stationen geht es dann zurück ins Grau und hin zum Tod, zu jenem Zyklus, der der RAF und den Stammheimer Selbstmorden gewidmet ist. Danach kommen noch die spiegelnden dunklen Diptychen, in denen der Besucher sich selber sehen kann, und ein gläsernes Kartenhaus, das Caspar David Friedrichs Eisschollen zitiert.
    Das ist, auf einer narrativen Ebene, der Leitfaden der Ausstellung: von der Wiege bis zur Bahre. Formal ist sie natürlich noch einmal anders gestaltet. Da geht es darum zu zeigen, dass Richter alles nebeneinander denken kann, dass das Abstrakte und das Figurative, das sich sonst so arg bekämpft, bei ihm relativ friedlich koexistieren können.
    Vor allem aber greift das Konzept der Ausstellung auf die Biografie Richters zurück, der in seinen frühen Jahren, in der DDR, zum Wandmaler ausgebildet wurde. Und wie Wandmalereien wirken die Reihungen wilder Großformate in den wunderbaren, von Renzo Piano entworfenen Räumen der Fondation Beyeler, die sich nach draußen in den Park öffnet, wo sich Richters Farben nochmals wiederholen.
    Kurator Hans Ulrich Obrist: "Das Grundkonzept war, eine Ausstellung zu machen von Gerhard Richters Serien, von seinen Räumen. Es gibt ja schon seit den 1950er-Jahren, ganz bei den Anfängen, wo er Wandmalerei studiert hat und dann in den 1960er-Jahren seine Raumentwürfe. Also diese Idee von Architektur und Raum hat von Anfang an eine Rolle gespielt. Es gab aber noch nie eine Ausstellung, die sich dem gewidmet hat. Den Zyklen, den Reihen, den Serien."
    Weit verstreute Bilder werden so wieder zusammengebracht – die Verkündigung nach Tizian, Richters Tizian-Übermalung, Verwischung, Verdunkelung und ist nach langer Zeit wieder als Zyklus zu sehen. Frühe, nach Fotos gemalte, in der Poptradition stehende Werke wie die "Acht Lernschwestern" von 1966 kann man ebenso wieder betrachten wie die sich vom Betrachter wegdrehende "Betty", die in der Unschärfe verschwimmende Kerze oder verschiedene Seestücke und Himmelsbilder mit ihrer milchigen, wattigen blauen Leere.
    Vor allem aber ist diese Ausstellung virtuos komponiert: Jeder Saal hat eine eigene Atmosphäre, einen eigenen Farbton, ein Thema – und ein winziger Hinweis, ein Tupfer bringt gleich das nächste Motiv ins Spiel. Noch in der kleinen – oder vielmehr – großen Kapelle, die der Kurator für Richters Tafeln mit den 4.900 kräftigen, grellen Popfarben eingerichtet hat und die mitten im Museum wie leuchtende abstrakte Kirchenfenster wirken, noch da ist ein kleines graues Bild platziert.
    Gleich nach der einem neugeborenen Kind gewidmeten Eröffnung springt man ins Alterswerk, in die Strips, die flirrenden, acht Meter langen, digital hergestellten Streifenbilder, die wiederum den vertikalen Farbquerschnitt eines früheren Werks ins Quasi-Unendliche verlängern. Dann jene späten Bilder, auf denen Lackfarben ineinanderfließen. Und natürlich die Farbwucherungen der seriellen abstrakten Großformate.
    Das Denken in Serien hat natürlich auch ökonomische Gründe: Es ist auch Fabrikation, zumal die Einzelwerke sehr hoch gehandelt werden. Aber: Der jetzt 82-jährige Gerhard Richter erfindet sich ständig neu, und obgleich auch er nicht unsterblich ist, so zeigt diese Ausstellung: Als Künstler steht er noch mitten im Leben.