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Ausstellung
"Gestatten, Kästner!"

Das Literaturhaus München zeigt die erste große Ausstellung über den Schriftsteller Erich Kästner seit der endgültigen Erschließung seines Nachlasses. Kuratorin Karolina Kühn entdeckte bei der Vorbereitung viel Unbekanntes und Überraschendes, sagte sie im DLF. Im Zentrum der Schau: die Figur des Doppelgängers und die Frage nach der eigenen Identität.

Karolina Kühn im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Undatiertes Archivbild eines nachdenklichen Erich Kästners. Er war ein deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist, der vor allem für seine Kinderbücher (z. B. "Emil und die Detektive", "Das doppelte Lottchen")bekannt wurde.
    Der Schriftsteller Erich Kästner (picture alliance / dpa )
    Beatrix Novy: "Kästner gehört dem Stammbaum der unvernebelten Deutschen an." Das Kompliment schrieb Friedrich Dürrenmatt über seinen Kollegen Erich Kästner, und auch, dass einer wie er es in Deutschland gar nicht leicht hatte: Weil ein Land, das zwischen E- und U-Kultur so sorgfältig unterscheidet, den Verfasser freizügiger Lyrik, munterer Kinderbücher und gut verfilmbarer Unterhaltungsromane nicht so gut zusammenbringen konnte mit dem politischen Autor und Zeitkritiker, der Kästner ja auch war. So gilt Kästner immer noch vielen heute als literarischer Leichtfuß, der er nun mal nicht war.
    Das Literaturhaus München zeigt jetzt die erste große Ausstellung seit der endgütigen Erschließung von Kästners Nachlass, der liegt in Marbach, also sicher noch viel bisher Unbekanntes, und genau danach habe ich die Kuratorin der Ausstellung, Karolina Kühn, gefragt.
    Karolina Kühn: Ja, wir haben immer wieder Seiten entdeckt, die uns überrascht haben und die wir in dieser Ausstellung zeigen möchten. Im Zentrum steht dabei die Figur des Doppelgängers, eine Spiegelmotivik, und auch die Frage nach der eigenen Identität.
    Novy: Das heißt, es ist ein sehr literarischer oder literaturwissenschaftlicher Zugang, den Sie da haben. Erklären Sie doch das mal mit dem Doppelgänger-Motiv. Das ist ja tatsächlich etwas, was man jetzt mit Kästner ad hoc nicht in Verbindung bringt.
    Kästner entschied sich gegen die Emigration
    Kühn: Ja. Das beginnt ganz früh in den Leipziger Jahren, wo ja Kästners Anfänge als Journalist liegen. Er hat in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht, teilweise unter Pseudonym, teilweise unter seinem eigenen Namen, und während er die Lyrik dann später auch noch in Buchform veröffentlicht hat, sind viele seiner Erzählungen und Rezensionen aus dieser Zeit weniger bekannt. Und wenn man sich diese Artikel ansieht - manche davon wurden auch gerade vom Atrium-Verlag neu veröffentlicht -, dann merkt man, dass Kästner sich mit unterschiedlichen Themen auseinandergesetzt hat, zum Beispiel mit dem Thema Arbeitslosigkeit, mit dem Thema Selbstmord, aber die Figur des Doppelgängers taucht auch auf. Wenn ich jetzt einmal ein Beispiel herauswähle, dann ist das die Figur des Charlie Chaplin, die ihn beschäftigt hat. Er hat Rezensionen zu seinen Filmen geschrieben, aber beispielsweise auch einen Artikel, der heißt, "Der Ball der Chaplin-Kopisten", und da geht es um eine Anekdote, dass Chaplin bei einem Kostümfest war, bei dem es darum ging, möglichst gut Charlie Chaplin darzustellen. Und er selbst, also das Original, hat nur den dritten Platz gemacht. Also ein humorvoller Text, der zugleich schon mit Doppelgänger-Figuren spielt, und ganz besonders deutlich wird das Motiv zur Zeit des Nationalsozialismus. Das ist auch ein bisschen der Angelpunkt unserer Ausstellung. Anders als viele seiner Schriftsteller-Kollegen entschied sich Kästner gegen die Emigration. Er ist da geblieben …
    Novy: Und da wurde das Spiel mit Identitäten und Pseudonymen zur Notwendigkeit. Er war ja ein wahrer Moralist, der es ernst meinte, und man sieht ihn ja eigentlich auch immer sehr als zwiespältigen Menschen. Da war einmal die gelebte Libertinage der Weimarer Republik, dann aber wieder sein sehr konventionelles Frauenbild. Er war ein Zerrissener, könnte man sagen. Vielleicht haben Sie das auch noch mehr entdeckt, vielleicht in diesen "Briefen an mich selber". Auch das ist ja ein Teil der Ausstellung. Was sind das für Briefe?
    Kühn: In dieser schwierigen Zeit zwischen 33 und 45 ist er ja viele Kompromisse eingegangen, hat sehr unterhaltsame Texte auf der einen Seite geschrieben wie die "Drei Männer im Schnee". Die sind ja auch heute noch sehr bekannt. Und auf der anderen Seite hat er im Verborgenen an ganz anderen Texten mit teilweise sehr düsterer Motivik gearbeitet. Da gibt es verschiedene Fragmente und Skizzen, die wir zeigen, unter anderem auch die "Briefe an mich selber". Das titelgebende Zitat der Ausstellung stammt aus diesen Briefen. Da erkundet er quasi sein Innerstes, stellt eine zunehmende Entfremdung fest und dann beschreibt er - und da stammt dieses Zitat her -, "Gestatten, Kästner, sagt der Spiegelmensch. Mein rechtes Auge lächelt aus seiner linken Augenhöhle." Das stammt aus diesen "Briefen an mich selber" von 1940, also in einer Zeit, wo Kästner verboten war, wo er, nachdem er unter Pseudonym noch veröffentlichen konnte, dann schließlich tatsächlich für die Schublade geschrieben hat.
    Den großen Roman über das Thema Nationalsozialismus schrieb er nie
    Novy: Er wollte ja immer noch mal die große Form erreichen, also den großen Roman. Erhalten ist ja sein "Fabian" beziehungsweise der "Gang vor die Hunde", wie der Roman eigentlich heißt. Haben Sie da Ansätze von, haben Sie Skripte in der Ausstellung, Versuche zu einem Roman?
    Kühn: Ein Text oder ein großes Roman-Projekt, das Kästner vorhatte in den Nachkriegsjahren in München, war sein großer Roman über das Thema Nationalsozialismus. Er hat ja oft gesagt, er ist geblieben, um Chronist zu sein, und hat auch Tagebuch geführt und wollte dieses Tagebuch umwandeln in einen großen Roman. Daran ist er aber gescheitert, denn er hat wohl kein Ordnungsprinzip gefunden.
    Novy: Wie bauen Sie das alles in der Ausstellung auf?
    Kühn: Er war ja ein Großstädter, der gelebt hat in Dresden, in Leipzig, in Berlin und München, und so haben wir uns entschieden, erst mal einen großen abstrakten Stadtraum mit Projektionen aufzubauen. Dadurch entsteht sozusagen ein Gewimmel von Bildern, eine Gleichzeitigkeit aus Verkehrstrubel, aus Nachtleben, aus politischen Ereignissen auch. Auch Kästner selbst findet sich in dieser Großstadt wieder. Er war ja einer der Autoren, die zuerst in allen Medien vertreten waren. Und diese abstrakte Stadt ist in einzelne Stationen aufgebaut und jeweils auf dieser Rückseite der einzelnen Stationen, die aus Projektionen bestehen, finden sich dann die Exponate. Da zeigen wir jeweils sowohl den Großstädter, den Erfolgsautor, die bekannten Seiten als auch die gerade erwähnten unbekannteren nachdenklichen Seiten in einer zweiten Vitrine. Und dann kann man auch noch in diese Stationen hineinschauen und sich überraschen lassen.
    Novy: Der ganze Kästner soll es sein - das war die Kuratorin Karolina Kühn über die Ausstellung "Gestatten, Kästner!" in München, noch bis Februar im Literaturhaus zu sehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.