Doris Schäfer-Noske: Über das Sparen an der Kultur haben wir schon oft berichtet, wenn Theater oder Orchester weniger Zuschüsse bekommen, Sparten gestrichen werden und Kulturschaffende ihre Arbeit verlieren. Heute soll es aber nun um das Sparen an sich gehen. Früher hatte jedes Kind seine Spardose im Zimmer. Heute ist es schon schwierig, das Geld aus so einer Dose auf das Sparbuch einzuzahlen, wenn mehr als 100 Euro drin sein sollten. Und wer hat in dieser Zeit niedriger Zinsen überhaupt noch ein Sparbuch?
Das Sparen ist in die Krise geraten, das private wie das der hochverschuldeten öffentlichen Haushalte. In Berlin findet nun heute und morgen eine kulturwissenschaftliche Tagung zum Thema Sparen statt. Anlass ist das 200. Gründungsjubiläum der Berliner Sparkasse als öffentliches Unternehmen mit gesellschaftlichem Auftrag. Und diese Tagung dient der Vorbereitung einer Ausstellung, die dann im kommenden Jahr in Berlin stattfinden wird - am Deutschen Historischen Museum. Kurator dieser Ausstellung ist der Historiker Robert Muschalla.
Herr Muschalla, was interessiert denn einen Historiker am Sparen?
Robert Muschalla: Einen Historiker interessiert am Sparen im Wesentlichen seine sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Dimension, denn das Sparen ist ja zum einen ein Instrument individueller Armutsvorsorge, zum anderen aber immer auch ein Instrument der Sozial- und Wirtschaftspolitik gewesen. Und diese Perspektive, die werden wir natürlich unter anderem auch im Rahmen der Ausstellung einnehmen.
"Sparen ist in Deutschland tief verwurzelt"
Schäfer-Noske: Sie haben gesagt, individuelle Armutsvorsorge. Ist das denn die menschliche Fortschreibung dieses tierischen Hortens, Vorräte anlegen für schlechte Zeiten?
Muschalla: Wir unterscheiden da schon zwischen dem, wenn man so möchte vormodernen Horten, bei dem man eine Parallele sehen kann zur Tierwelt, und dem modernen Sparen. Ein wesentlicher Unterschied ist natürlich, dass beim Sparen sich über lange Zeit zumindest (heute ist das anders zu diskutieren) der Wohlstand, das Ersparte vermehrt hat durch die Zinsen, die darauf gezahlt wurden.
Schäfer-Noske: Andererseits: Es unterscheidet uns ja auch von den Tieren, dass wir künftige Ausgaben absehen können, zum Beispiel, wenn wir uns jetzt ein Haus kaufen wollen. Ist das Sparen denn eine menschliche Tugend? Es zeugt ja auch von Disziplin, dass man auf ein Ziel hinarbeitet und nicht einfach alles für die momentanen Bedürfnisse ausgibt.
Muschalla: In Deutschland ist es fraglos in den letzten 200 Jahren immer als Tugend verhandelt worden. Es ist offensichtlich sehr, sehr tief verwurzelt. Das sieht man, wenn man sich das anschaut, was in deutschen Haushalten zurückgelegt wird, gespart wird. Diese Sparquote unterscheidet sich sehr von der Sparquote anderer, auch entwickelter westlicher Länder, und nicht unbedingt nur von der Höhe - wir bewegen uns immer auf einem relativ hohen Niveau in Deutschland; das tun andere Länder aber auch -, sondern durch die sehr, sehr geringe Volatilität. Und das ist ein Hinweis darauf, dass es hier nicht um ein ökonomisches Kalkül geht, sondern das zum kulturellen Wert geworden ist, und das ist auch in Deutschland von Anfang an eigentlich so angelegt gewesen.
Deutsche sparen weiterhin auf hohem Niveau
Schäfer-Noske: Ich habe es eingangs schon gesagt, dass ja das Sparen jetzt in die Krise geraten ist. Trotz "Geiz ist geil"-Kampagnen ist es eigentlich nichts, was heute ein gutes Image hat. Was hat sich da verändert?
Muschalla: Ich denke, da haben sich verschiedene Dinge verändert. Es hat sich natürlich einmal die ökonomische Situation maßgeblich verändert. Es wird weiterhin auf hohem Niveau in Deutschland gespart, das muss man sagen. Aber es ist überhaupt nicht mehr erträglich. Wir befinden uns in einer Niedrigzins-Phase, die historisch keinen Vergleich kennt, und das hat natürlich das Sparen auch in Verruf gebracht. Aber es ist wahrscheinlich auch der Aspekt, dass Sparen in einen Wertekanon gehört, der in Deutschland lange Zeit präsent war, der heute aber - vielleicht sogar hoffentlich - nicht mehr so en vogue ist.
Schäfer-Noske: Das müssen Sie jetzt mal näher erklären.
Muschalla: Ja, gerne. Die Aufrufe zum Sparen in der Frühphase des modernen Sparens, das hob an seit der Spätaufklärung. Die erste Sparkasse ist nicht zufällig in Deutschland gegründet worden, 1778 in Hamburg. Und die Aufrufe zum Sparen gingen immer einher mit Aufrufen zum Fleiß, zur Arbeitsamkeit, zur Disziplin, zur Genügsamkeit, und das sind natürlich Werte, die so heute nicht ungebrochen fortexistieren. Und damit ist vielleicht auch das Sparen in seiner Substanz, in seiner Grundlage, in seiner kulturellen Grundlage beschädigt.
Schäfer-Noske: Es ist ja auch praktisch für eine Regierung zum Beispiel, wenn die Bevölkerung spart.
Muschalla: Es ist in vielen Situationen sehr praktisch gewesen und wurde deswegen auch gerade in Krisensituationen (entsprechend heißt unsere Tagung heute "Sparen in der Krise") immer massiv ausgebaut mit Programmen. Man denkt da natürlich sofort an die Kriegsfinanzierung. Aber es war allgemein ein Mittel der Wirtschaftspolitik, ein Steuerungsinstrument mit vielen Funktionen. Das Sparen hat auf jeden Fall volkswirtschaftlich über lange Zeit eine hohe Relevanz gehabt.
Ein wenig wissenschaftlich erkundetes Gebiet
Schäfer-Noske: Welche Wissenschaftler außer den Volkswirtschaftlern und den Historikern interessieren sich denn überhaupt für die Disziplin des Sparens?
Muschalla: Das tun wenige. Es gibt einige Untersuchungen im Bereich der Wirtschaftspsychologie, die mir bekannt sind, erstaunlicherweise, während in den Kulturwissenschaften dieses in Deutschland Kulturgut Sparen überhaupt gar kein Thema zu sein scheint. Zum anderen ist es in Deutschland so, dass das in den allgemeinen Wertekanon so sehr eingegangen ist, dass das überhaupt nichts ist, was hinterfragt worden ist, auch von der Wissenschaft sehr lange nicht, und auch in den Geschichtswissenschaften war die Beschäftigung mit dem Thema sehr, sehr lange sehr randständig. Das muss man sagen.
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