Etwas irritiert. Etwas ist merkwürdig an dieser Ausstellung. Es dauert einen Moment, bis die Besucherin merkt – sie wird beobachtet. Männliche Augenpaare starren von im Raum verteilten Bildschirmen auf die Besucherinnen und Besucher, sie blinzeln und zwinkern, blicken auf Schaufensterpuppen, die einen Burkini tragen oder einen Tschador, auf eine Skulptur ganz aus üppigem weiblichem Frauenhaar. Die weibliche Kopfbedeckung im Islam, im Christentum und im Judentum – sie sagt in erster Linie etwas aus über den männlichen Blick – meint Cilly Kugelmann, die Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin:
"Die Frauen müssen den Männern dazu verhelfen, ihre eigenen physischen Bedürfnisse zu kontrollieren, in dem sie ihre weiblichen Reize möglichst verstecken. Das ist für mich das Geheimnis dieser Kultur der Verhüllung."
…die älter ist als die meisten glauben. Etwa 3000 Jahre zählen die mittelassyrischen Gesetze, die festlegten, dass sich Witwen und Ehefrauen verschleiern sollten - erläutert die Kuratorin der Ausstellung Miriam Goldmann.
Sklavinnen waren nackt
"Das war ein Privileg. Den anderen Frauen, den Sklavinnen und Prostituierten, war es explizit verboten, das zu tun. Mit dieser Kopfbedeckung ging einher der Schutz des gesellschaftlichen Status, es war ein Privileg, sie waren durch ihre Familien geschützt, die anderen Frauen waren es eben nicht."
Im heutigen Irak liegen also die Anfänge dieses Brauchs, den Juden, Christen und Muslime übernahmen, obwohl die Verhüllung der Frau weder in der Bibel noch im Koran als religiöses Gesetz verankert ist.
Strandfotos zeigen die Ähnlichkeiten – zu sehen sind Nonnen in Ordenstracht, die nackten Füße vorsichtig und züchtig ins Meer getaucht, orthodoxe Jüdinnen mit Kopftuch im Meer und Musliminnen mit Schleier. Und doch gäbe es in punkto Kopfbedeckung einen wichtigen Unterschied zwischen Islam und Judentum, sagt Miriam Goldmann. "Dass es eben für das Judentum nicht politisch aufgeladen ist. Dass Jüdinnen sich bedecken, das spielt in der Gesellschaft eben keine Rolle. Die säkulare Gesellschaft guckt mit einem ganz anderen Blick auf das muslimische Kopftuch."
Kopftuch ist nicht gleich Kopftuch – die Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin gibt Nachhilfe. Niquab, Burka, Tschador, türkischer und arabischer Stil. Dazu die jüdische Haube, das Kopftuch – jiddisch: Tichel – der Filzhut und die Perücke. Total angesagt: der Fascinator. Cilly Kugelmann hat es sich nicht nehmen lassen, diesen mit einer Schleife geschmückten Reif zu tragen. Er macht mich zum Osterei, sagt die Programmdirektorin des Jüdischen Museums selbstironisch:
Glamourös und züchtig
"Es ist mehr eine symbolische Bedeckung. Aber von einigen, auch orthodoxen Rabbinern durchaus für koscher erklärt, während andere Rabbiner da skeptischer sind, weil sie meinen, es bedeckt nicht genug Haar."
Religiöse Frauen wollen nicht in Sack und Asche gehen, muslimische und jüdische Modedesignerinnen haben Erfolg mit dem Konzept der "modest fashion", der sittsamen Mode. Ein Video zeigt glamouröse Auftritte von der letzten "Modest Fashion Week" in Istanbul.
"Und das interessante an diesen Entwicklungen ist diese Symbiose, die gefunden wird zwischen der Einhaltung der Gebote und modischen Accessoires, das man das zusammenbringt und so immer auch ein Teil der Gesellschaft bleibt, in der man sein eigenes religiöses Leben auslebt."
Die israelische Fotografin Sigal Adelmann zeigt Schwarz-Weiß-Fotos von Frauen – dieselbe Frau, einmal bedeckt, einmal unbedeckt.
"Um den Betrachtern zu zeigen, es sind dieselben Frauen. Ich wollte fragen und zeigen, religiös oder nicht religiös, können wir nicht zwei Identitäten haben? Weil, ich fühle, dass ich zwei Identitäten habe."
Sigal Adelmann erzählt, dass sie sich erst mit 28 entschloss, als orthodoxe Jüdin zu leben. Seit ihrer Hochzeit trägt sie in der Öffentlichkeit eine Perücke.
Cherchez la femme – Perücke, Burka, Ordenstracht – die Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin urteilt und verurteilt nicht. Sie wirbt für gelebte religiöse Toleranz. Deutschland könne sich an Kanada ein Beispiel nehmen, wo verhüllte Frauen Polizistinnen sein können, sagt Cilly Kugelmann.
"Ich denke, diese Großzügigkeit macht die Gesellschaft nicht schlechter und nicht unangenehmer, sondern im Gegenteil. Es lebt sich etwas gelassener."