"Die Augen zu schließen und die Sekunde des Bewusstseins, wenn das jetzt das letzte Mal wäre, dass die Augen nicht mehr aufgehen oder das, das jetzt endgültig wär, das war für mich noch mal ein Moment des Nachdenkens."
Auf dem Rücken liegend, die Hände auf einer weißen Sargdecke gefaltet, die Augen geschlossen, dazu hell ausgeleuchtet. Ein wenig mulmig war es Hannelore Gerhards zumute, als sie sich für das Fotokunstprojekt "Im letzten Hemd" aufbahren ließ. 53 Menschen nahmen teil und mussten sich der Frage stellen: Wie wäre ich auf meiner letzten Reise gerne bekleidet?
"Ich hab mich dann entschieden, was mir wirklich am Herzen liegt, was mir wichtig ist, all meine Lieben, meine Familie um mich zu haben und hab das dann auch mit einer Quilt-Decke, die mir die Töchter mal mit Fotografien genäht haben, ausgedrückt; einige Familienfotos."
Vom Anzug über Karneval bis hin zu Bananenblättern
Der eine wählt ein schlichtes weißes Gewand, der andere einen feinen Anzug. Einer trägt seine Karnevalskappe, einer Torwart-Handschuhe, ein dritter einen Blaumann; eine junge Frau liegt nackt eingewickelt in grüne Bananenblätter - so ist es üblich in Costa Rica.
Menschen in unterschiedlichsten Ausstattungen zeigen die Bilder des Fotografen Thomas Balzer bei der Eröffnung der Ausstellung am 13. Oktober im Lichthof der Rheinischen Musikschule. Eine der Teilnehmerinnen besteht sogar auf ihrem eigenen Bettzeug anstelle der Sargdecke. Und großen Wert legt sie darauf, ohne Schuhe im Sarg zu liegen. "Dass man wirklich darüber nachdenkt, zum einen: Was hat eine Bedeutung für mich; vielleicht aber auch wie mit den Schuhen: Was engt mich im Leben ein, was will ich dann nicht mehr haben, dass man das dann auch ausdrücken kann."
"Bei einem Bestatter kann man sich in der Regel so ein paar Sachen aussuchen: die Blumen, den Sarg, das Sterbetalar und Ähnliches. Dass wir hier sehr bewusst Menschen in dieser Situation die Gelegenheit geben dann auch mal an den Kleiderschrank des Verstorbenen zu gehen, statt jetzt irgendein Hemd mit betenden Händen auszuwählen, vielleicht zu gucken: Was hat der denn gerne getragen?"
Angehörige unterwerfen sich gesellschaftlichen Konventionen
David Roth vom Bestattungsunternehmen Pütz/Roth ist Initiator der Ausstellung. In der täglichen Praxis erlebt er immer wieder, dass die Angehörigen sich gesellschaftlichen Konventionen unterwerfen, statt der Persönlichkeit des Verstorbenen gerecht zu werden.
"Da geht es um nen schönen Sarg, dass man sich vor den anderen nicht schämen mag. Da geht es mehr um die Form. Da versuchen wir, die Menschen ein bisschen von zu befreien."
Zur Standardbekleidung gehört natürlich das Totenhemd, meist industriell gefertigte Massenware. Klaus Reichert, Kurator der Ausstellung. "Das sind solche Leibchen, die die Bestatter für teuer Geld verkaufen, die man im Grunde gar nicht braucht. Viele Leute glauben, man muss diese seidenen Dinger da anziehen oder sich anziehen lassen. Man muss es nicht, man kann das selber entscheiden." In früheren Zeiten war das Totenhemd eines der intimsten Kleidungsstücke.
"Irgendwann mal muss das letzte Hemd angezogen werden"
Klaus Reichert: "In Bayern gibt es kleine Dörfer, wo das noch üblich ist, die dieses Totenhemd früher sogar noch selbst gemacht haben, heute kaufen - und dann auf die Hemden, die sie im Schrank haben oben drauflegen. Und jedes Mal, wenn sie ein frisches Hemd anziehen, gucken sie auf das eigene Totenhemd. Und damit verbunden ist dieses Memento mori: Bedenke, dass du sterblich bist. Sich öfter mal daran zu erinnern, dass unsere Zeit nicht unbegrenzt ist und dass wir nicht Hunderte Hemden verbrauchen können, ohne dass irgendwann mal das letzte Hemd angezogen werden muss."
David Roth: "Historisch ist es so, gerade weil wir in Generationen zusammenlebten, weil wir mehr in der Natur waren, überall das Werden und Vergehen viel deutlicher als heute mitbekamen, dass Tod ein ständiger Begleiter war. Es gab diese Kunst des guten Sterbens, die "Ars moriendi", da hat man sich Gedanken gemacht, wie man vorbereitet gehen mag."
Die Fotokunstausstellung "Im letzten Hemd" will die Menschen ermuntern, sich mit dem Thema Sterben und Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. Das muss keineswegs immer eine todernste Angelegenheit sein, wie David Roth im Umgang mit den Teilnehmern erlebte.
"Trotz der Ernsthaftigkeit einen augenzwinkernden Blick entwickeln"
"Wir haben auch ganz viel mit diesen Menschen – trotz des Themas – lachen können."
Klaus Reichert: "Das ist so ein Umgang damit, den ich unheimlich wichtig finde, dass die Leute auch trotz der Schwierigkeit der Aufgabe und der Ernsthaftigkeit des Themas auch so einen augenzwinkernden Blick entwickeln können. Das ist was, was es leichter macht, darüber zu sprechen – was gut ist!"
David Roth: "Wir sprechen auch manchmal davon, dass die Trauer die vergessene Schwester des Glücks ist, dass diese Sachen sich gegenseitig Wert geben; gerade über dieses Wissen der Begrenztheit, der Endlichkeit, die wir heute nicht mehr haben."
Termine:
25.10.2017 19:00 Uhr Finissage
im Lichthof der Rheinischen Musikschule, Lotharstraße 14-18, Köln
29.10. - 04.11.2017
im Bestattungshaus Klemmer-Roth, Karolingerring 26, Köln
25.10.2017 19:00 Uhr Finissage
im Lichthof der Rheinischen Musikschule, Lotharstraße 14-18, Köln
29.10. - 04.11.2017
im Bestattungshaus Klemmer-Roth, Karolingerring 26, Köln