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Ausstellung im Palazzo Ducale
Venedig, die Juden und Europa

In Venedig wurde 1516 das erste jüdische Ghetto der Geschichte errichtet. 500 Jahre nach der Gründung erzählt eine Ausstellung im Palazzo Ducale mit reichhaltigem historischen Material und mithilfe digitaler Technologien die Geschichte des abgelegenen Stadtviertels.

Von Henning Klüver |
    Der "Campo Ghetto Nuovo", Hauptplatz des Juden-Ghettos in Venedig, das 1516 als eigener Stadtteil eingerichtet wurde
    Der "Campo Ghetto Nuovo", Hauptplatz des Juden-Ghettos in Venedig, das 1516 als eigener Stadtteil eingerichtet wurde. (picture alliance / dpa)
    Es ist heute als Historiker nicht leicht, sich mit der Gründung des ersten jüdischen Ghettos der Geschichte auseinander zu setzen. Ein Viertel, in dem die Angehörigen einer religiösen und kulturellen Minderheit zwangsweise siedeln mussten und in dem sie einer Reihe von Restriktionen unterworfen waren.
    "Wenn wir aus dem 20. Jahrhundert heraus auf das Ghetto zurückschauen, sehen wir natürlich eine Linie, die auch der Name genommen hat, eine sehr negative Konnotation."
    Der Historiker Romedio Schmitz-Esser leitet das Deutsche Studienzentrum Venedig. Man müsse aber, gibt er zu bedenken, eine Einrichtung wie das Ghetto zunächst im Kontext des Jahrhunderts verstehen, in dem sie entstanden ist.
    "So schrecklich das klingt in unseren Ohren, ist dieser Abschluss auch ein Bekenntnis zum Zusammenleben, man gibt eben auch einen Ort, an dem man leben kann, und dadurch integriert man umgekehrt die jüdische Gemeinschaft in die venezianische Gesellschaft."
    Einrichtungsgegenstände aus fünf verschiedenen Synagogen
    Das ist auch die These der Ausstellung "Venedig, die Juden und Europa" im Dogenpalast. Donatella Calabi, die Stadtgeschichte an der technischen Universität Venedig unterrichtet, hat sie kuratiert.
    "Das Ghetto war ein Ort der Ausgrenzung, der aber zugleich kulturellen Austausch ermöglichte. In einer gewissen Weise wurde so die jüdische Minderheit angeregt, kulturelle und wirtschaftliche Kontakte mit dem Mittelmeerraum und ganz Europa aufzubauen. Wir möchten außerdem zeigen, dass die kosmopolitische Gesellschaft Venedigs sich ebenso im Inneren des Ghettos widerspiegelte.”
    Denn hier lebten Juden aus allen Himmelsrichtungen, aus unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen zusammen. Was in der Ausstellung etwa Einrichtungsgegenstände aus fünf verschiedenen Synagogen illustrieren. Präsentiert werden zudem prächtige Druckwerke, die die Bedeutung der hebräischen Sprache für das Verlagswesen der Stadt und damit für den kulturellen Austausch unterstreichen. Und Dokumente belegen, wie jüdische Kaufleute aus dem Ghetto besonders im 17. und 18. Jahrhundert etwa als Diplomaten im Dienst der Republik Venedig unterwegs waren.
    Der Ausstellung gelingt es, mit reichhaltigem historischen Material und mit Hilfe digitaler Technologien und Videoanimationen die Geschichte des Ghettos nachzuerzählen. Von der Gründung über die Ausweitung und die architektonische Gestaltung bis zu seiner Auflösung unter Napoleon und der anschließenden Integration der jüdischen Minderheit in die Gesellschaft Venedigs. Zum Teil großformatige Gemälde unter anderen von Giovanni Bellini oder Vittore Carpaccio, Francesco Hayez oder Marc Chagall zeigen Motive aus der Geschichte Venedigs oder belegen die oft karikaturhafte Darstellung der Juden in der christlichen Kunst.
    Und: "Er" darf natürlich nicht fehlen - der vielleicht berühmteste Jude von Venedig, selbst wenn er nie existiert hat.
    "Ich bin ein Jude. Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften – wie ein Christ?"
    Ausstellung blendet Holocaust nicht aus
    Shylock aus Shakespeares "Kaufmann von Venedig", hier in einer historischen Aufnahme von 1966 mit Fritz Kortner in der Rolle des Shylock. Shaul Bassi, Dozent für Anglistik an der Universität Venedig und Mitglied der jüdischen Gemeinde, findet in dem Stück eine pragmatische und zugleich ganz aktuelle Grundstimmung wieder:
    "Im Grunde lieben Juden und Christen einander nicht. Aber sie wissen, dass sie einander brauchen. Die Gegenwart zeigt, dass Zusammenleben nicht auf der Basis guter Gefühle funktioniert, sondern auf der des gegenseitigen Nutzens. Dabei stellt sich ein Problem: Denn wenn der Jude gestern, der Fremde heute und wer weiß welch Anhänger einer Minderheit morgen nicht mehr gebraucht wird, dann kann man ihn leicht ausgliedern."
    Die Ausstellung, die den Holocaust nicht ausblendet, ihn aber auch nicht in den Vordergrund stellt, schließt mit einem positiven Akzent. Am Ende steht ein großes Foto, das nach der Befreiung 1945 die Wiederaneignung des Ghettos durch die Jüdische Gemeinde zeigt. Selbst wenn heute nur noch wenige Juden im Viertel leben, ist das Ghetto 500 Jahre nach der Gründung mit Museum, Schule, Altersheim und mit den Synagogen nach wie vor ihr religiöses und kulturelles Zentrum.