Grüne Pfeile auf nassem Asphalt markieren den Weg über einen tristen Berliner Hinterhof zur Ausstellung "Von Monet bis Kandinsky". Der Untertitel "Visions Alive" verheißt zum Leben erweckte 100 Jahre alte Künstlerträume. In der Eingangshalle steht man vor großen Tafeln mit den Lebensdaten der Künstler-Superstars: Monet, Renoir, Degas, van Gogh und ein paar andere. Dabei scheint die Kuratoren ein gewisses morbides Interesse motiviert zu haben: Über Monets Beerdigung erfährt der Besucher, dass der Maler testamentarisch jeglichen Blumenschmuck untersagte und dass Malewitsch in einem von ihm selbst entworfenen Sarg in Kreuzform beigesetzt wurde. Ihre Werke warten im nächsten Raum. Der ist pechrabenschwarz.
Klavierakkorde von allen Seiten in Dolby-Surround. Und dann blinken auf allen vier Wänden bunte Punkte auf, sausen hin und her, bis sie sich zu einem pointillistischen Landschaftsbild von Paul Signac gruppieren, und noch einem Bild und noch einem Bild.
"Das Flirrende bei Signac, was hier tatsächlich aufgelöst wird und in Tausend kleine Teile zerspringt. Da wird nicht was pädagogisch erklärt, dass sich bei Signac die Konturen auflösen, sondern hier sehe ich, dass sich die Konturen auflösen", sagt Ines Schilgen vom Ausstellungsteam.
"Man muss bedenken, das sind 1.500 Bilder innerhalb von 60 Minuten, vom Ende 19. Jahrhundert bis Anfang 20. Jahrhundert", sagt Projektleiterin Ksenia Mozhayskaya.
Nackte Brüste und schlackernde Spielzeuge
Nach fünf Minuten wechselt die Musik und mit einem Mal recken sich die üppigen Busen Pariser Halbweltschönheiten den Besuchern entgegen - ursprünglich von Auguste Renoir in Öl gemalt. Näher immer näher zoomt die digitale Kamera auf die lächelnden Nackten im Takt gefühliger Filmmusik.
"Traue niemandem, den der Anblick einer schönen weiblichen Brust nicht außer Fassung bringt."
Erscheint als Künstler-Zitat auf einer der Videoleinwände. Als nächstes erscheinen Henri Rousseaus naive Dschungelwelten als Videoprojektionen. Sachte wiegen sich seine tropischen Blumen im Wind. Bei Rousseaus "Kind mit Hampelmann" schlackert das Spielzeug wie durch Zauberhand mit Armen und Beinen.
"Die Künstler, die hier ausgestellt werden, gehörten zu ihrer Zeit zur Avantgarde. Die Ausstellung hier wird mit Mitteln gezeigt, die heute Mainstream wären, mit Digital, Video, Dolby Surround."
Kontext? Fehlanzeige.
Der Eindruck ist überwältigend, überwältigend anders als ein Besuch im Museum.
"Wenn man das Bild sieht, gegenüber dem Bild steht, dann ist man selber frei, das Bild zu interpretieren und Eindrücke zu bekommen. Hier wird es durch bestimmte Medien unterstützt, verstärkt durch die Dramaturgie in dieser Animation drin. Man bekommt das ein bisschen serviert."
Und zwar den multimedial aufgewärmten und aufwendig garnierten Kunstkanon der Moderne. Kontext? Fehlanzeige. Die traumatische Erfahrung des ersten Weltkriegs zum Beispiel, wird nirgends erwähnt. Auch Bezüge zur Musik der Zeit fehlen. Kein Takt der Zeitgenossen Debussy oder gar Schönberg ist zu hören, stattdessen seichte Begleitmusik.
Kunst als einfach konsumierbares Produkt
Die verantwortliche Firma "Artplay media" aus Moskau hat sich weltweit auf die digitale Präsentation berühmter Kunst spezialisiert. Die nächste Ausstellung über Michelangelo wird bereits auf der Homepage von "Artplay" angepriesen. Der Name ist Programm: "play". Im Grunde bietet das Unternehmen Kunst als einfach konsumierbares Produkt an, für Zuschauer, die sich wie Kinder vor dem Bildschirm oder der Playstation bespielen lassen. Im Museum müssen sich die Besucher zur Kunst aufmachen, selbst entscheiden, wie lange sie vor einem Bild verweilen. Hier stehen oder sitzen sie im Raum und die Projektion zieht an ihnen vorbei.
Wieder draußen auf der Straße parkt eine Touristin aus Süddeutschland gerade ihr Fahrrad. "Lohnt sich die Ausstellung?", fragt sie. Mir fallen die alten Radio-Eriwan-Witze ein. Frage an Radio Eriwan: Kann große Kunst zu Kitsch werden? Im Prinzip nein, es sei denn man kann sie groß genug auf vier Wände projizieren mit der richtigen Musik aus Dolby-Surround-Boxen.