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Ausstellung in der Schirn
Surreale Riesengewächse

Diese Plastiken müssen der Alptraum der Kuratoren gewesen sein: groß, tonnenschwer und schwierig zu transportieren. Die Frankfurter Schirn hat trotzdem sechs Monster-Plastiken von Bruno Gironcoli ins Museum gewuchtet - dort kann man sein exzentrisches Spätwerk voller Wunschmaschinen sehen.

Von Christian Gampert |
    Objekte von Bruno Gironcoli in einer Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt
    Objekte von Bruno Gironcoli in einer Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt (Hans Christian Krass)
    Da stehen sie: riesige, ausladende, rätselhafte Mischwesen aus technoiden und organischen Formen - an der Oberfläche golden oder silbern schimmernd. Der ersten Gironcoli-Arbeit begegnen wir schon außen in der Rotunde der Schirn, eine Art Igel, der zwei lange Arme mit doldenartigen Händen ausfährt. Das ist die einzige gegossene Skulptur. Alle anderen sind aus Eisen, Holz und Kunststoff - Modelle, Prototypen aus einer absurden, surreal vor sich hin wuchernden Traumwelt, die uns immer wieder figurative Angebote macht, sich aber auch gern auf ganz glatte, abstrakte Formen zurückzieht.
    Künstlerischer Messie-Haushalt
    Bevor man in die große, helle Ausstellungs-Halle mit dem seit Jahren erstmals wieder freigelegten Bogenfenster kommt, muss man an einer Foto-Wand vorbei. Sie bietet einen Blick in Gironcolis Atelier, und das heißt: in einen künstlerischen Messie-Haushalt, ein ziemlich ungeordnetes Innenleben. Einzelteile stehen da herum wie in einem Prothesenladen, mehrere Werke sind gleichzeitig in Arbeit, ein Chaos wie vor der Erschaffung der Welt.
    Einige der Groß-Skulpturen, die dort entstanden, sind nun in Frankfurt zu sehen – sie sind die Essenz einer künstlerischen Biographie, die in den 1960-er Jahren mit Malerei und kleinen Drahtplastiken begann und nach einer Phase in Paris, einem intensiven Flirt mit dem Existentialismus, in Wien dann in einem exzentrischen Haupt- und Spätwerk kulminierte.
    Finanzielle Unabhängigkeit durch Professur
    "Man kann das deshalb so genau benennen, weil er 1977 eine Professur erhalten hat, an der Wiener Akademie für Bildende Kunst, und verbunden mit dieser Professur waren sehr großzügige Atelier-Räumlichkeiten." Die so erreichte finanzielle Unabhängigkeit, sagt Kuratorin Martina Weinhart, versetzte Bruno Gironcoli in eine luxuriöse Lage. Er konnte völlig jenseits des Kunstmarktes Dinge produzieren, die tief aus dem Unbewussten zu stammen scheinen, die nicht schön sein mussten, die in ihrer Befremdlichkeit einfach für sich standen – und von denen man nicht weiß, ob er sie überhaupt ausstellen wollte.
    Er tat es immer wieder, aber die tonnenschweren Gebilde brachten jeden Ausstellungs-Kurator schon beim Transport zur Verzweiflung. Wenn sie dann standen, ließ Gironcoli auch schon mal die Seitenwand des Saals aufbrechen, weil er seine Skulptur just an dieser Stelle noch weiterbauen wollte.
    In Frankfurt muss der Aufwand so ähnlich gewesen sein: Alle waren froh, als die sechs Monster-Plastiken endlich an ihrem Ort waren. Wer sich nun mit diesen hybriden Wesen konfrontiert, wird unwillkürlich von einem Assoziations-Sturm heimgesucht - der einem selbst unheimlich ist. Dass diese im Grunde doch ziemlich hässlichen technischen Gewächse, diese mit Baumarktfarbe angestrichenen hölzernen oder mit Polyester modellierten surrealen Missgeburten, eine solche Fülle an Einfällen im Betrachter freisetzen (und zwar offenbar bei jedem Betrachter), ist eine nicht zu unterschätzende Leistung dieses Bildhauers, dem das Objekt vielleicht wichtig, der Gedanke aber noch wichtiger war.
    Vorgetäuschte Bewegung der Plastiken
    In seinen Wunschmaschinen - der von Deleuze und Guattari ersonnene Begriff scheint hier ganz passend - schickt uns Gironcoli auf eine Reise, in der Kipferl und Schalltrichter, Stoßdämpfer, Drohnen und lesende Babys, Ornamente und geometrische Formen, Spinnenarme, Löffel, Spiegel und dann wieder Weintrauben, Minimal Art und Jugendstil, der Albtraum und auch der Kitsch eine Rolle spielen. Es geht wild durcheinander. Man sieht, dass Gironcoli irgendwann Giacometti gut fand, wegen der Reduktion und länglichen Form. Aber Giacomettis rissige Körper kommen nicht vor, hier ist alles glatt. "Murphy", Becketts lächerlich-tragische Romanfigur, die in einer schaukelnden Bewegung die Ewigkeit suchte, ist als vervielfältigter Kleinkindkörper präsent. Auch Gironcolis Skulpturen täuschen Bewegung vor, und doch ist alles starr. Und alles ist ambivalent: Die Arbeiten sind von imperialer Größe, doch die Materialien sind arm.
    "Broschen" nannte Gironcoli selbst diese Wesen. Sie halten zusammen, was sonst auseinanderflöge. Das Innenleben eines Monomanen.