In der Schlosskapelle im Residenzschloss Dresden, die vor wenigen Jahren aufwendig wiederaufgebaut wurde, finden meist Konzerte oder Vorträge statt – als Ort für eine Ausstellung über Jacob Böhme aber ist sie eine besonders pointierte Wahl. Denn nach der Torgauer Schlosskapelle war die Dresdner 1553 erst der zweite protestantische Kirchenbau in Sachsen überhaupt. Und Jacob Böhme lag mit der protestantischen Kirche nahezu sein ganzes Leben lang buchstäblich über Kreuz.
Die Historikerin Lucinda Martin: "Böhme verstand sich als guter Lutheraner. Er ging jeden Sonntag in die Kirche, aber er meinte als Christ durfte er durchaus Kritik üben, und vor allem waren für ihn Kritikpunkte, dass die Kirche sich an Krieg beteiligt und dass es zu viel Polemik in der Kirche gibt. Zu viele Pastoren würden theologische Streitigkeiten ausführen, statt sich um ihre Gemeinden zu kümmern."
Erst Schuhmacher, dann Philosoph
Auch jenseits von Böhmes bemerkenswerter Begabung als philosophischer Autodidakt ergibt sich aus seiner für seine Zeit unkonventionellen Denkweise ein höchst spannungsvoller Lebenslauf. Schon seine erste Schrift, "Aurora", die Böhme gar nicht zur Veröffentlichung vorgesehen hatte, wird von seinen Anhängern handschriftlich kopiert und verbreitet. Schon sie bringt ihm einen Prozess wegen Häresie und anschließendes Schreibverbot ein. Böhme hält sich zunächst daran, dann aber fließt es förmlich aus ihm heraus, wie er selbst sagt.
Kuratorin Claudia Brink: "Im Vorfeld des dreißigjährigen Krieges, 1617/18 oder so, als sich die Lage zuspitzte, hat er also wieder zur Feder gegriffen und sie dann auch nicht mehr aus der Hand gelegt. Hat dann (…) über dreißig Werke geschrieben in sechs Jahren, bis zu seinem Tod 1624, was natürlich eine beachtliche Leistung ist, (…) und hat also eine Art Eingebung gehabt, um 1600 war es, er blickt in ein Zinngefäß, dort reflektierte das Licht, und in einem mystischen Moment hat er irgendwie die geheimste Natur verstanden."
Ein Netzwerk von Unterstützern versorgt den Schuhmacher, der sich anmaßt, ein Gelehrter, gar ein Prophet sein zu wollen, mit Literatur und finanzieller Hilfe, während die evangelische Kirche ihn zeitlebens als ihren Gegner betrachtet. Ein christliches Begräbnis wird ihm nach seinem Tod in Görlitz verweigert. Seine Grabstätte auf dem Nikolaikirchhof wurde von seinen Gegnern mehrfach geschändet.
Böhme betrieb Naturstudien
Auf engem Raum entfaltet diese Ausstellung die Kernelemente der komplexen Lehre Böhmes anhand seiner wichtigsten Schriften, die hier allesamt im Original zu sehen sind.
"Böhme stellt sich vor, in einer Urzeit war alles (…) Geist, auch der erste Mensch (…) war ein spirituelles Wesen, und erst mit dem Sündenfall kam die Materie", sagt Lucinda Martin und verweist darauf, dass für Böhme als Folge dieses Sündenfalles Gott überhaupt erst erscheint, nämlich in der Natur, die man nur studieren müsse, um Gott und sich selbst zu erkennen.
Kein Wunder also, dass die Begeisterung für Böhme während der Romantik, etwa bei Novalis oder bei den Malern Philipp Otto Runge oder William Blake, besonders groß war. Und sie reicht bis in die Moderne, bis zu Hans Arp und Wassili Kandinsky, was in dieser wahrhaft interdisziplinären Ausstellung höchst anschaulich dokumentiert wird. Böhme selbst betrieb in seiner Lehre Naturstudien und konnte sich in seiner Annahme, dass alles Leben um das ewige Licht Gottes kreise, durch das damals noch junge heliozentrische Weltbild Keplers bestätigt fühlen.
Die Institution der Kirche aber erscheint in der Konsequenz dieser Lehre geradezu überflüssig. Denn der Mensch, der eine Beziehung zum paradiesischen Ursprung in sich trage, ist nach Böhmes Auffassung frei und daher eigenverantwortlich in seinen Entscheidungen, denn sein eigenes Gewissen zeige ihm ganz von allein die Unterscheidung von Hell und Dunkel, Licht und Finsternis, Gut und Böse auf, ganz ohne theologische Unterweisungen. Das klingt, obgleich vor fast vierhundert Jahren geschrieben, überaus aktuell, um nicht zu sagen: pluralistisch – und macht jedenfalls diese Ausstellung zu einem der originellsten Beiträge zum Lutherjahr 2017.