Ich sitze auf einem Stuhl in einer kleinen Kabine, direkt vor mir ein großer Bildschirm. Ich habe den Eindruck, als würde ich halluzinieren. Das Bild verschwimmt, ich blinzle, ein langer Gang, unscharf, ich wanke.
Mindcontrolling und Musikvideo
Und dann: Ein wunderschöner Sonnenaufgang am Meer.
"Jeremy Shaw beschäftigt sich allgemein mit Bewusstseinserweiterung. Das funktioniert nicht nur über Drogen, sondern auch über exzessiven Tanz oder Meditation, also wann immer wir unser Bewusstsein verändern und einen 'altered state' erreichen."
Kuratorin Milena Mercer über die Videoinstallation "Introduction to the Memory Personality" von Künstler Jeremy Shaw.
"Er kombiniert Methoden des Mindcontrolling mit einer Form von Musikvideo, er kombiniert Darstellung von wissenschaftlicher Forschung über den Drogenkonsum, was man in diesem pulsierenden Gehirn sieht, mit einer trippigen Ästhetik, die an psychische Erfahrungen angelehnt ist."
Wehrmachtssoldaten auf Crystal Meth
Der Besucher als Versuchskaninchen, der selbst einen anderen Zustand, einen anderen Bewusstseinszustand erreicht. Manchmal genügt dafür: Kunst. So wie in der Ausstellung "Altered States" im Kunstpalais Erlangen:
"Die Ausstellung beschäftigt sich mit Substanzen, die nicht primär der Nahrungsaufnahme dienen, sondern die wir aus anderen Gründen zu uns nehmen."
Künstler Rodney Graham ahmt den Fahrradtrip nach, den LSD-Entdecker Albert Hofmann einst nach seiner ersten Erfahrung mit der Droge machte. Das wirkt friedlich und natürlich. Ganz anders dagegen die Fotografien von Daniel García Andújar, der Aufnahmen aus dem Darknet von Koks, Hasch und Heroin veröffentlicht, der illegalen Parallelwelt zu Amazon und Ebay. Hier sind Drogen einfach: Ware, Geschäft, Bitcoins.
"Dass Substanzen migrieren von einer Kategorie in die andere. Also zur Zeit des Zweiten Weltkriegs hat die komplette Wehrmacht eigentlich Pervitin genommen - das kennen wir heute unter dem Namen 'Crystal Meth', was natürlich verboten ist. Wurde damals als Allheilmittel gefeiert."
Legal - illegal - egal?
Wo verläuft die Grenze zwischen Droge und Medizin, zwischen legal und illegal? Diese Frage taucht immer wieder auf, zum Beispiel in Carsten Höllers "Pill Clock". Alle 15 Sekunden fällt eine rot-weiße Pille von der Decke in den Ausstellungsraum und die Besucher sollen diese schlucken. Vertrauen, der Kontext macht eine Substanz erst zu dem, was sie ist.
"Und deswegen fragen wir ja auch, wie sinnvoll diese Kategorisierung ist, weil mit der Kategorisierung immer eine Verfügbarkeit verknüpft ist und auch ein großes Politikum. Heute diese Bewegung, Marihuana neu zu denken, weil es medizinisch in vielen Bereichen sinnvoll sein kann, was zum Beispiel Epilepsie angeht. Es wird aber noch sehr restriktiv behandelt, weil wir es unter dem Betäubungsmittelgesetz denken."
Und dann sind solche Substanzen ja nicht nur Kopf-, sondern auch Körpersache, wie die Videoarbeit der Kanadierin Cassils zeigt. In 23 Wochen legt sie 23 Pfund Muskelmasse zu - und greift dabei auch zu Steroiden, was unter Bodybuilder*innen ja fast schon normal ist.
Die Ausstellung lässt sich als eine Aufforderung zu aufgeklärtem Konsum und für das Beiseitelegen traditioneller Einteilungen - gut, schlecht, legal, illegal - verstehen. Die Dosis macht das Gift - dieser Gedanke kommt mir bei den Kunstwerken immer wieder.
Und als in Shaws simuliertem Trip dann der Stroboskopeffekt beginnt, wird es wirklich anstrengend. Aber einfach aufhören? Das ist ja das Problem.
Die Ausstellung "Altered States. Substanzen in der zeitgenössischen Kunst" läuft noch bis zum 21. Mai im Kunstpalais Erlangen.