Basquiats Bilder sind Explosionen! Zuerst in Form und Farbe: leuchtendes Rot, Gelb, Grün, Blau, oder auch Pink und Türkis - ganz egal, Hauptsache kräftig! Genau wie die Striche und Formen: Schädel und Fratzen, Ziffern und Buchstaben, wild und expressiv auf die Leinwand geschmissen. Und doch keine unbedachten Kritzeleien, auch wenn es auf den ersten Blick hier und da so wirken mag. Aber spätestens auf den zweiten Blick ist klar: Basquiats Bilder platzen auch inhaltlich aus allen Nähten. Sie strotzen nur so vor Verweisen und Referenzen, kaum ein Betrachter und nicht mal ausgewiesene Basquiat-Experten sind in der Lage, sie alle zu entschlüsseln.
"Er war brilliant, er hatte einen erstaunlichen Verstand. Und es ist traurig, dass das so lange übersehen wurde. Aber es ist auch unglaublich arbeitsintensiv, all diese Verweise zu entziffern. Dass zum Beispiel ein Dreieck in einem Bild über den Beat-Schriftsteller William Burroughs das alchemistische Symbol für Wasser sein könnte - weil Burroughs seine Frau erschossen hat, beim Versuch, ein Glas Wasser auf ihrem Kopf zu treffen!"
Malen inmitten von Büchern, Musik, Videos
Mehrere Jahre hat Kuratorin Eleanor Nairne gemeinsam mit ihrem Kollegen Dieter Buchhart für die Ausstellung recherchiert - das Ergebnis kann sich sehen lassen: Wer will, kann in Frankfurt ganz tief eintauchen in das irre Hirn des Multitasking-Künstlers Basquiat. Er war ein wissbegieriger Autodidakt, der alles in sich aufsog und in seiner Kunst verarbeitete. Das New York der 80er mit seiner lebendigen Club-Szene vibriert in seinen Bildern, aber darüber hinaus auch fast die komplette Menschheitsgeschichte: Anatomie und Mythologie, die Kunstgeschichte von der Antike bis Picasso und immer wieder Referenzen an die "black culture", an die Kultur der Schwarzen in den USA.
Ein Video zeigt den tanzenden Basquiat in seinem Atelier - dort malte er wie ein Besessener, umgeben von Schallplatten, Büchern, Videos. Normalerweise arbeitete er vor dem Fernseher und er brauchte "Quellenmaterial" um sich herum, an dem er sich "abarbeiten" konnte, wie er es selbst formulierte. Basquiat hörte Jazz, Blues und Hiphop - aber auch Johann Sebastian Bach. Der Künstler kannte keine Hierarchien, er unterschied nicht zwischen "high" und "low", für ihn war jedes kulturelle Erzeugnis Ausdruck des Menschseins und damit würdig, in seinen eigenen Arbeiten gesampelt zu werden.
Den vielleicht schönsten Beweis dafür, dass alles mit allem kombinierbar ist, liefert in Frankfurt eine Tonaufnahme, entstanden Anfang der 80er-Jahre: Basquiat "rappt" die Schöpfungsgeschichte. Auch das macht diese Ausstellung so hörens- und sehenswert: Sie zeigt eben nicht nur den schrillen, großformatigen Basquiat auf Leinwand. Sondern daneben viele unbekanntere Schnipsel seines Werks, etwa Notizbuch-Einträge, die er wie Gedichte arrangierte und die sein Gespür für Text und Rhythmus belegen.
Ausstellung räumt mit Klischees auf
Und: Die Ausstellung räumt mit dem ein oder anderen Klischee auf, das heute von Basquiat kursiert. Auch wenn er ein Faible für die afroamerikanische Kultur hatte, war er noch lange kein Vorkämpfer der Gleichberechtigung und eben nicht der politische Künstler, den manch einer gerne in ihm sehen würde. Kuratorin Eleanor Nairne:
"Zwar war Basquiats gesamtes Werk eine Form des Protests, es ging ihm immer auch um Fragen der Ungleichheit. Aber er war nie didaktisch, hat nie durchs Megafon politisiert. Und manchmal, wenn gewisse Gruppen heute versuchen, Basquiat-Werke oder seine Slogans für einen bestimmten politischen Zweck zu nutzen, dann funktioniert das gar nicht so gut. Denn Basquiats Arbeiten sind immer mehrdeutig. Eindeutige Aussagen hat er ganz bewusst vermieden."
Und noch ein Klischee kann man nach dem Besuch dieser Ausstellung getrost abhaken: Auch wenn der junge Basquiat einst seine Tags an New Yorker Hauswände sprühte, greift die Bezeichnung "Graffiti-Künstler" in jeglicher Hinsicht zu kurz. Dafür ist sein Werk viel zu interdisziplinär - und viel zu universell.