Auch fast 130 Jahre nach seinem Tod zieht Vincent van Gogh noch immer die Massen in die Museen. Deutsche Häuser planen deshalb für den Herbst gleich zwei Ausstellungen mit seinen Werken: Im Museum Barberini in Potsdam werden seine Stillleben gezeigt. Das Frankfurter Städel widmet sich dem Umstand, dass sich vor allem deutsche Kunshändler und Sammler schon bald nach der Jahrhundertwende für den damals noch weitgehend unbekannten Niederländer engagierten.
Einen nationalen Ansatz hat auch die Tate Britain für ihre Van Gogh-Ausstellung gewählt: Die Monate, die van Gogh bei verschiedenen Aufenthalten zwischen 1873 - als gerade einmal 20jähriger Kunsthandelsangestellter - und 1876 - als Hilfslehrer - verbrachte, stellen den einen Bezugspunkt dar; die Rezeption des später berühmten Malers durch Sammlerinnen und Sammler, aber auch durch nacheifernde Künstlerinnen und Künstler bildet die zweite kunsthistorische Klammer.
Wunsch nach Bekanntheit
Für beide Teile der Ausstellung - Van Goghs eigener Aufenthalt und sein Einfluss auf die britische Kunst - haben die Kuratorinnen und Kuratoren großartige Werke zusammengetragen: das späte Selbstbildnis aus der National Gallery of Arts in Washington zum Beispiel. Die betörende "Sternennacht über der Rhône" aus dem Musée d'Orsay oder die große Darstellung eines alten Baumstamms vor gelbgrünem Himmel in der Provence. Entstanden ist auf diese Weise eine umfassende Retrospektive mit Werken aus allen Schaffensphasen des Malers. Ausführlich wird auch auf van Goghs kaum bekanntes druckgrafisches Werk eingegangen, mit dem er - entgegen allen Legenden - durchaus ein breites Publikum erreichen und bekannt werden wollte. Hier dienten ihm tatsächlich sozialkritische Darstellungen aus der britischen Zeitschrift "The Studio" als Inspiration.
Behauptungen statt Belege
Die Londoner Ausstellung leidet aber unter einer zwangsläufigen Beliebigkeit: Weil aus van Goghs Londoner Jahren so gut wie keine Arbeiten überliefert sind, werden Behauptungen aufgestellt: Weil er in Londoner Museen Landschaften und Darstellungen von Menschen auf Wegen sah, malte auch van Gogh später Landschaften und Menschen auf Wegen. Um das zu belegen, hängen entsprechende Werke aus dem Frühwerk völlig unvermittelt neben einigen seiner letzten Gemälde. Beide entstanden in ganz unterschiedlichen biografischen Situationen aus ganz unterschiedlichen Anlässen. Dass hier London einen Einfluss gehabt hätte, wird nicht nur nicht belegt - es gäbe dafür auch gar keine Anhaltspunkte. Völlig beliebig wird die Hängung, wo Werke nur deshalb zusammenkommen, weil sie einmal britischen Sammlerinnen oder Sammlern gehört haben.
Ähnlich in den letzten Räumen der Ausstellung, für die die Londoner National Gallery sogar ihre Fassung der berühmten "Sonnenblumen" von 1888 ausgeliehen hat: Schrecklich schlechte Varianten von britischen Malern haben nichts als das Motiv gemein mit dem angeblichen Vorbild. Deutlich wird dadurch aber wenigstens die große malerische Qualität, die sich van Gogh inzwischen angeeignet hatte.
Die Ausstellung endet versöhnlich: mit einer Hommage eines wirklich großen britischen Künstlers. Francis Bacon malte verschiedene raumhohe Interpretationen des Van Gogh-Gemäldes "Der Maler auf dem Weg zur Arbeit". Sie hängen, fast ehrfurchtsvoll beleuchtet, in einem abgedunkelten Raum. In einer Vitrine daneben liegt eine Reproduktion des Van Gogh-Originals, das einst im Kaiser-Friedrich-Museum in Magdeburg hing. Seit dem Krieg gilt es als verschollen.