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Ausstellung in Marseille
Über Relevanz von Übersetzungen - gerade in Krisenzeiten

Die Bedeutung und die Geschichte der Übersetzung ist das Thema der Ausstellung „Après Babel, traduire“ – also „Nach Babel, übersetzen“, die derzeit in Marseille zu sehen ist. Die Schau verdeutlicht nicht nur die philosophische Dimensions des Themas, sondern auch ihre politische Relevanz in der aktuellen Krisenzeit.

Von Kathrin Hondl |
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    Das Museum MUCEM in Marseille während der Eröffnungsfeier zum Kullturhauptstadtjahr 2013 (picture alliance / dpa / Guillaume Horcajuelo)
    Alles beginnt natürlich mit der babylonischen Sprachverwirrung. Und mit den vielfältigen Darstellungen dieser biblischen Geschichte in der Kunstgeschichte: Der Turmbau zu Babel erscheint mal düster und unheilschwanger wie bei Pieter Bruegel dem Jüngeren, mal optimistisch in rosa Licht getaucht bei Abel Grimmer.
    Und in der Mitte des Raums erhebt sich eine moderne, besonders optimistische Babel-Version: Ein Modell jenes Turms, den der russische Künstler Vladimir Tatlin 1917 entwarf - als Monument der dritten Internationale und Sinnbild einer neuen Gesellschaft, ja einer neuen Welt, die sich revolutionär verstand, aber bekanntlich totalitär entwickelte.
    Differenzen denken
    "Wir dürfen nicht glauben, dass wir so ohne weiteres eine gemeinsame Welt haben können", sagt die Kuratorin der Ausstellung, die Philosophin und Philologin Barbara Cassin:
    "An der Museumswand ist ein Zitat von Hannah Arendt zu lesen: "Gäbe es nur eine Sprache, so wären wir vielleicht des Wesens der Dinge sicher." Dank der babylonischen Sprachverwirrung bleibt uns diese Sicherheit versagt – also müssen wir übersetzen, in den aktuellen Krisenzeiten mehr und besser denn je.
    Übersetzen bedeutet, über Differenzen, über Unterschiede nachzudenken, sie nicht für selbstverständlich und unverrückbar zu halten, sondern an ihnen zu arbeiten und sie zu sehen, sowohl von innen als auch von aussen. Sie von aussen zu sehen ist sehr wichtig: Zu wissen, dass man selbst eine Sprache unter anderen spricht und nicht den Logos, wie es die Vorstellung der alten Griechen war. Wen man meint, selbst den Logos, die Sprache zu sprechen und nicht eine Sprache unter anderen, dann beginnt man zu denken, dass alle anderen Barbaren sind, die nur Blablabla sagen und die es nicht wert sind, dass man sie versteht."
    Ausstellung zeigt 200 Werke und Dokumente
    Um diese Sprachpolitik anschaulich zu machen, hat Barbara Cassin antike griechische Vasen neben einem Bild installiert, auf dem in fetten Buchstaben "Blah Blah Blah" steht. Ein paar Meter weiter demonstriert der französische Politiker Jean-Pierre Raffarin in einem Fernsehnachrichten-Ausschnitt vom März 2005, dass die vermeintliche Weltsprache Globish keine überzeugende Alternative ist:
    "The yes needs the no to win against the no" - Jean-Pierre Raffarin -
    Auch die Geschichte des Übersetzens und berühmter Übersetzungen ist Thema der mit rund 200 Werken und Dokumenten reich bestückten Ausstellung. Ein Touchscreen zeigt auf einer Weltkarte die Wege, die Übersetzungen im Laufe der Zeit zurücklegten: Wie auf dem U-Bahn-Plan einer Grossstadt sieht man da die Routen und Haltestellen grundlegender Texte von Aristoteles und Euklid bis zu Marx und den Tim und Struppi-Comics.
    Das Phänomen unübersetzbarer Wörter
    Ein eigener Abschnitt ist dem "Wort Gottes" gewidmet. Manuskripte und Originalausgaben veranschaulichen die unterschiedliche Übersetzungspraxis in den drei monotheistischen Religionen: Von der von Anfang an mehrsprachigen jüdischen Tradition über die lateinischen Bibelübersetzungen des Hieronymus, des Schutzheiligen der Übersetzer, bis zum Koran, dessen Offenbarungssprache Arabisch Gläubigen bis heute als unübersetzbar gilt.
    Eine gewisse Unübersetzbarkeit sieht Barbara Cassin auch in der Philosophie:
    "Es ist nicht dasselbe, ob man "mind", "Geist" oder "Esprit" sagt. Ob man die Phänomenologie des Geistes, als Phänomenologie of the mind oder of the spirit übersetzt. Ich interessiere mich für Wörter, die universell scheinen, es aber nicht sind."
    Schau verdeutlicht Relevanz der Übersetzung
    Die Ausstellung im Mucem ist ein Glücksfall. Denn ihr gelingt das Kunststück, die philosophische und politische Relevanz des Themas ‚Übersetzen’ auch für literarisch oder sprachphilosophisch vielleicht weniger geschulte Besucher anschaulich zu machen. Etwa wenn in einem Raum Regen dargestellt wird: Je nach Sprache fallen da ganz unterschiedliche Dinge vom Himmel – Schnüre im Französischen, auf Englisch Katzen und Hunde, Steine in Wolof oder Messer auf Portugiesisch.
    Und was regnet es noch mal auf Deutsch, fragt man sich da. Bindfäden? Oder schüttet es einfach nur? Übersetzen, auch daran erinnert die Ausstellung im Mucem, ist eine große Kunst, die wir keinesfalls dem Google-Translator überlassen sollten.
    "Après Babel, traduire" im Mucem "Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers", Marseille. 14.12.16 – 20.3.17