Rom, Staatsoper, 1964. Premiere hatte eine Neuinszenierung von Gioachino Rossinis Oper "Otello". Carlo Franci dirigierte und für die Regie war Sandro Sequi verantwortlich. Namen, die heute weitgehend unbekannt sind. Doch die Inszenierung ging nicht nur in die römische, sondern auch in die italienische Operngeschichte ein. Noch nie zuvor kam in Italien eine Oper auf die Bühne, die komplett von einem zeitgenössischen italienischen Künstler gestaltet worden war. Die Bühnenbilder und Kostüme schuf Giorgio De Chirico. Der Maler war der Hauptvertreter der sogenannten Pittura metafisica, der metaphysischen Malerei, und somit einer der wichtigsten Vorläufer des Surrealismus. Rossinis "Otello" wurde von De Chirico in ein farbenfrohes, surrealistisches Kunstwerk verwandelt. Mit den für diesen Künstler typischen Gesichtern, die keine Nasen, Augen und Münder zeigen.
Mit Giorgio De Chirico, der schon zu Lebzeiten ein international bekannter Malerstar war, bewies das Opernhaus Rom großen Mut: Denn man hatte den Rossiniklassiker einem zeitgenössischen und in seinen Sujets oftmals nur schwer zu begreifenden Künstler anvertraut.
Die Inszenierung wurde ein großer Erfolg. Und das Opernhaus Rom kam so in den Besitz von Werken De Chiricos, für die viele Museen weltweit viel Geld ausgeben würden. Es versteht sich von selbst, dass in der Ausstellung mit dem Titel "Artisti all’opera" im römischen Palazzo Braschi, die das Schaffen moderner und zeitgenössischer Künstler an der Staatsoper zeigt, auch De Chirico vertreten ist. Francesco Reggiani ist Direktor des historischen Archivs der römischen Staatsoper und somit Chef der hauseigenen Kunstschätze:
"In der Ausstellung zeigen wir den Bühnenvorhang des ersten Aktes von Rossinis ‚Otello’, den De Chirico persönlich malte. Ein Riesenbild, etwa 18 Mal 10 Meter groß! De Chirico war begeistert vom Genre Oper."
Schon immer gegenüber der Avantgarde aufgeschlossen
Die Ausstellung zeigt, dass das "Teatro Costanzi", wie Roms Opernhaus in Erinnerung an seinen Erbauer, den Bauunternehmer Domenico Costanzi, genannt wird, immer schon der Avantgarde gegenüber aufgeschlossen war. Costanzi ließ das Theater zwischen 1874 und 1880 errichten und schenkte es der Stadt Rom. Italiens einziges Opernhaus mit einer von Anbeginn engen Beziehung zu bildenden Künstlern, weiß Theaterhistoriker Francesco Reggiani:
"Die Scala, über 100 Jahre älter als unser Opernhaus, war der Tempel der romantischen Oper, der Grand Opera, das San Carlo in Neapel, Italiens ältestes noch aktives Opernhaus, war vor allem eine Bühne für Opern des späten 18. Jahrhunderts. Roms Oper besaß anfangs keine eigene Identität. Dieses riesige Haus war anfangs nur ein leerer Kasten."
Doch mit der Uraufführung von Pietro Mascagnis "Cavalleria rusticana" 1890 änderte sich einiges für das Teatro Costanzi.
Francesco Reggiani: "Das Opernhaus bekam so seine eigene kulturelle Identität: hier wurde die veristische Oper geboren, also eine moderne Form des Opernschaffens. Auf Mascagni folgte Puccini. Mascagni war sogar künstlerischer Direktor unseres Haus und förderte diesen modernen Musikkurs. Daraus ergab sich auch das Interesse unseres Haus an den bildenden Künstlern."
"Von Anfang suchte man die Nähe zu zeitgenössischen bildenden Künstlern"
Roms neues Bürgertum, das in der Folge der italienischen Staatseinigung Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden war, gab sich fortschrittsgläubig, antiklerikal und den modernen Künsten gegenüber aufgeschlossen. Und Carlo Fuortes, der Intendant der römischen Staatsoper ergänzt:
"Um ein Publikum für dieses neue Theater zu finden, entwickelte man eine damals neue Form von Spektakel. Von Anfang an war dieses Haus, im Unterschied zu anderen großen italienischen Opernhäusern, international ausgerichtet. Hier fanden, um nur ein Beispiel zu nennen, zum ersten Mal in Italien Aufführungen mit modernem Tanz statt. Die Ballets Russes! Und von Anfang suchte man die Nähe zu zeitgenössischen bildenden Künstlern."
Picasso etwa wurde schon als junger Künstler an das Teatro Costanzi gerufen – in einer Zeit, in der sein Schaffen von einem Großteil der norditalienischen Bourgeoisie als viel zu modern abgelehnt wurde. Roms aufstrebendes Bürgertum hingegen war der Moderne gegenüber so sehr aufgeschlossen, dass man den spanisch-französischen Mal-Youngster mit den Bühnenbildern von Manuel de Fallas Ballett "El sombrero de tres picos" beauftragte: wilde, und für ihre Zeit ungewohnt farbenfrohe Bilder schuf Picasso, die bei Konservativen für einen Skandal sorgten, aber vom Stammpublikum des Teatro Costanzi bejubelt wurden.
Der radikal-kommunistische Maler Renato Guttoso schuf abstrakte Bühnenbilder für eine "Carmen", die noch heute als die schönsten gelten, die man sich für Bizets Meisterwerk denken kann: mit riesigen Blumen und Kakteen, mit Totenköpfen und großflächigen Farbkompositionen. Der Künstler Giacomo Manzù, einer der wichtigsten Bildhauer des italienischen 20. Jahrhunderts, stattete Strawinskys "Oedipus Rex" mit erschreckenden Bühnenbildern aus, dunkel und monumental.
Entwicklung der italienischen Kunst im 20. Jahrhundert
Die Ausstellung im Palazzo Braschi zeigt, wie sehr die Produktionen des Opernhauses Rom die Entwicklung der italienischen Kunst im 20. Jahrhundert wieder spiegeln.
Die Bestände des römischen Opernhauses an Bühnenbildern, Bühnenvorhängen und Kostümen wichtiger Künstler seien so bedeutend, meint der angesehene italienische Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi, das man es eigentlich mit einer Art Museum der modernen und auch zeitgenössischen Kunst zu tun habe.
Sgarbi verweist in diesem Zusammenhang auf Alban Bergs "Lulu", eine Aufsehen erregende Neuinszenierung vom Mai dieses Jahres: der südafrikanische Grafiker William Kentridge schuf nicht einfach nur statische Bühnenbilder: Der Zuschauer hatte den Eindruck Bilder vor sich zu haben, die dreidimensional und beweglich waren. Düstere Bilder, grau- und schwarz waren die dominierenden Farben.
Carlo Fuortes ist seit 2013 Intendant der römischen Staatsoper. Seitdem knüpft er bewusst an die glorreiche Tradition von Oper und bildender Kunst an – und beendete damit eine viel zu lange dauernde Ära künstlerischer Langeweile, die dafür gesorgt hatte, das Roms Opernhaus immer unbedeutender geworden war. Fuortes Traum: ein hauseigenes Museum, in dem die bedeutendsten Bestände aus dem historischen Archiv gezeigt werden. Doch dieser Traum wird wahrscheinlich nicht erfüllt werden: Dafür fehlt im chronisch unterfinanzierten italienischen Opernbetrieb das nötige Geld.