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Ausstellung in Warschau
1.000 Jahre jüdische Geschichte

Mit einer neu eröffneten Dauerausstellung zur tausendjährigen Geschichte der Juden will Polen den Wandel in der Erinnerungspolitik darstellen. Es geht dabei weniger um den Holocaust, als um das jüdische Leben in Polen. Ein Fokus liegt auf der Unterdrückung der Religion während des Kommunismus.

Von Martin Sander |
    "Das Museum, vor dem wir stehen, zeigt eindrucksvoll die Veränderungen in unserem Land 25 Jahre, nachdem wir die Freiheit wiedererlangt haben. Ohne diese polnische Freiheit hätte ein solches Museum nicht entstehen können. Wir mussten erst unsere Geschichte von Lügen reinigen, von den Verfälschungen, Manipulationen und Verdrehungen der kommunistischen Epoche."
    Bronisław Komorowski, der polnische Staatspräsident, spielte heute im Beisein seines israelischen Amtskollegen und vieler Würdenträger auf die Tabuisierung jüdischen Lebens im kommunistischen Polen an – und auf die Vertreibung von Zehntausenden Holocaustüberlebenden durch eine Parteikampagne 1968. Das Warschauer Polin-Museum mit seiner heute eröffneten Dauerausstellung zu 1000 Jahren jüdischer Geschichte in Polen verkörpert den Wandel in der Erinnerungspolitik. Direktor Dariusz Stola beschwört den untrennbaren Zusammenhang von polnischer und jüdischer Geschichte.
    "Man kann die Geschichte Polens ohne die Geschichte der Juden wirklich nicht verstehen. Sogar in der schlimmsten Zeit, als die Juden durch die Gettomauern vom Rest der Warschauer Bevölkerung getrennt wurden, kamen 80 Prozent der Lebensmittel ins Getto illegal durch polnisch-jüdische Schmugglergangs. Also auch in dieser Zeit größter Isolation können wir die Geschichte von Juden und Polen nicht getrennt verstehen."
    Direktor Dariusz Stola hat genau deswegen kein Museum des Holocaust schaffen wollen, sondern ein Museum des jüdischen Lebens. Es steht auf dem Terrain des ehemaligen Gettos, gegenüber dem Denkmal für die Getto-Aufständischen. 1970 fiel Bundeskanzler Willy Brandt dort auf die Knie. Bereits seit Frühjahr des vergangenen Jahres steht das Museumsgebäude für Besucher offen. Heute nun der eigentliche Akt: die große Dauerausstellung. Geordnet in acht Galerien auf mehreren Ebenen ist das jüdische Leben zu betrachten: Von der Ankunft erster Juden in Polen noch vor der ersten Jahrtausendwende bis heute. "Paradisus Judaeorum" lautet der Titel von Galerie 3. Denn im 16. und frühen 17. Jahrhundert konnte sich das jüdische Leben in Polen besonders gut entfalten, erklärt Dorota Keller-Zalewska, stellvertretende Museumsdirektorin:
    "Natürlich war das nicht nur ein Paradies. "Paradisus Judaeorum", also Paradies der Juden, damit möchten wir unterstreichen, dass es einen großen Aufwuchs der jüdischen Kultur gab, aber gleichzeitig gab es hier auch ganz viele Konflikte. Die katholische Kirche hat natürlich die Juden nicht unterstützt, ganz im Gegenteil."
    Holocaust-Überlebende wurden während des Kommunismus in Polen unterdrückt
    Wände, Böden und Decken der 4000 Quadratmeter Ausstellungsfläche sind mit Bildern, Bildschirmen, Dokumenten, Installationen, Originaltönen, rekonstruierten Möbeln dicht bestückt - bis hin zur nachgebauten Holzsynagoge. Der Besucher kann in das bunt inszenierte Geschehen regelrecht eintauchen. Galerie 6 verkörpert sogar eine komplette gepflasterte jüdische Straße. Sie zeigt symbolisch noch einmal ein blühendes jüdisches Leben mit vielen Facetten zwischen Assimilation und religiöser Tradition. Vor dem Zweiten Weltkrieg stellten Juden ein Drittel der Bevölkerung von Warschau, ein Zehntel in ganz Polen. Die jüdische Straße biegt ab und wird unversehens zum dunklen Korridor, der die Getto-Wirklichkeit dokumentiert, den Holocaust.
    In der letzten Galerie wird das schwierige Leben der Überlebenden im kommunistischen Polen beleuchtet. Unterdrückung von Religion und Tradition, Antisemitismus, auch und gerade in der Partei. Heute, 25 Jahre nach der Wende, sei das polnisch-jüdische Verhältnis gründlich aufgearbeitet, sagt Museumsdirektor Dariusz Stola:
    "Wir haben öffentlich über die schwierigsten Seiten dieser Geschichte debattiert, über die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit, zum Beispiel über das Pogrom von Kielce 1946. Das waren die größten Historikerdebatten in Polen überhaupt. Und: Das ist etwas ganz Außerordentliches. Nirgendwo sonst hat es derart emotional geführte, intensive Diskussionen gegeben – obwohl auch in vielen anderen Ländern Anlass dazu bestanden hätte."
    Diskutiert wird weiter – unter Wissenschaftlern, in den polnischen Medien und gerade auch im Polin-Museum der Geschichte der polnischen Juden. Denn neben der Dauerausstellung bilden auch Debatten, Zeitzeugengespräche und Bildungsveranstaltungen einen Arbeitsschwerpunkt dieses Museums.