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Ausstellung "Keine Zeit"
Kein Video länger als drei Minuten

In der Ausstellung "Keine Zeit" im Künstlerhaus Dortmund werden Videos mit einer maximal Länge von drei Minuten präsentiert. Dadurch soll die Schau in weniger als einer Stunde durchlaufen werden können. Der rote Faden der 20 Videoarbeiten: Die Künstler waren alle offenbar zeitlich knapp.

Von Peter Backof |
    Heidi, bitte, langsamer ist mehr! Akustisch wirklich überschattet wird die Ausstellung "Keine Zeit" von dem brachialen Techno der Berliner Künstlerin mit dem plakativen Namen Heidi Hörsturz.
    Danke, Heidi. Darf ich mal kurz, bitte? - Sie scheint hektische Tage zu haben und packt in ihre wandgroße Collagen- Projektion: Alles, die gesamte Geschichte der Menschheit, heruntergebrochen auf drei Minuten! Doch, das kann man schon so deuten. Die nackte, üppige Frau im Zentrum des Wimmelbilds hat eins zu eins die Maße der Venus von Willendorf, dieses berühmte Fruchtbarkeitsidol aus der Steinzeit. Umschwurbelt ist sie von einem trashigen, digitalen Liniengeschwirr. So eine Art Zeittunnel ins Jetzt.
    "Eigentlich beschäftigen sich fast alle Arbeiten mit Ungenügsamkeiten, eigenen Lebensumständen. Ist natürlich schwierig, eine Generationsfrage daraus zu machen", meint Kurator Cornelius Grau.
    Dafür ist die Auswahl – mit 20 Videoarbeiten – nicht repräsentativ genug. Dennoch der gefühlte rote Faden: Wie die "Person #8" von Karin Felbermayr – ein anderes Video – sind Videokünstler um die 30 aktuell offenbar zeitlich knapp - und geworfen in ein Diagramm aus Statistikbalken: Wie bin ich? Was will die Gesellschaft von mir? Wie könnte alles sein? Die "Person #8" findet in dieser Videoperformance einfach keine Pose, keine Ruhe. Eine Sisyphosarbeit: Alle drei Minuten wiederholt sich der Video-Loop. Nie wird Person #8 die richtige Haltung finden.
    Und im Hintergrund dröhnt weiterhin Heidi Hörsturz. Das darf und soll so sein, sagt Cornelius Grau:
    "Das sehe ich an klassischen Videokunstausstellungen als Problem an, wenn so Video-Zellen für sich sind. Ich habe die Ausstellung eher als Ganzes durchrhythmisiert."
    Thematisch überhaupt nicht festgelegt ging der Schau "Keine Zeit" eine Ausschreibung voraus: Videos an das Künstlerhaus Dortmund zu schicken, die nicht länger als drei Minuten sein sollten und deren Inhalt man im Nu erfassen kann.
    Ganz unterschiedliche Videos wurden eingereicht
    Und das hat dann auch formale Konsequenzen: Manche Videos haben Street Art-Ästhetik, wirken wie Wand- Tattoos, die man im Vorbeilaufen mitnimmt. Andere sind wie Gif-Dateien, diese sich immer wiederholenden, animierten Foto-Clips, die man auf Facebook und Co. mal eben teilt, um ein schnelles "Gefällt mir" zu ernten - oder einfach nur ein Lebenszeichen in die Welt zu senden.
    Zum Beispiel die Prinzessin im Brautkleid, die auf einem Schimmel Dressur reitet. Ein Video von Simone Häckel. Da wird auf keinen Märchenprinzen gewartet. Die Reiterin hat - so wie die Besucher beim Gucken - einfach Spaß daran, das Pferd ein Blumenbeet - sprich Märchenwelten - gründlich zertrampeln zu lassen.
    "Die Zielvorgabe war es, eine möglichst vielfältige Videokunstausstellung zu konzipieren, in der der Besucher nicht länger als eine Stunde braucht, um wirklich alles gesehen und erfasst zu haben."
    Ironie am Rande: Die beteiligten 20 Künstler mussten nicht persönlich anreisen, um zu reüssieren oder ihre Kunst zu repräsentieren. Datenmengen von der Größe dreiminütiger Clips gehen problemlos über die Datenautobahn, auch einspurig. Wie überhaupt hier der manchmal etwas überfrachtete Begriff Videokunst vom Sockel geholt wird. Fazit: "Keine Zeit" ist kein Must Go - das eine oder andere Video wird einem vielleicht demnächst im sozialen Netzwerk begegnen – es ist aber auch keine Zeitverschwendung, sich das in Dortmund anzusehen.