Rilke, "Herbsttag 2": "Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben" - hallt nur noch so ganz entfernt am Ereignishorizont. In digitalen Zeiten: Freundschaftsanfragen, Gruppen, Treffs und Allianzen aller Orten. Nie scheint es leichter gewesen zu sein, Freunde zu finden. Ist schon allein die Anzahl der "Freunde" eine Art Währung? Wer hat mehr Reichweite und Strahlkraft, wer ist beliebter? Wobei: So naiv ist freilich kaum jemand, Sozialkontakte mit echten oder gar besten Freunden gleichzusetzen - trotz wachsender Schnittmenge.
Sind echte Freunde vielleicht immer noch die, die man auch ohne WhatsApp und Facebook mögen würde? Tatsächlich gibt es weltweit noch keine umfassende Darstellung und Kulturgeschichte der Freundschaft. Das Museum für Kommunikation in Frankfurt macht mal einen Anfang, genau an dieser epochalen Schwelle zwischen Postkarte und PN. "Like you! - Freundschaft digital und analog.
Sinnliche Statistik
Bin ich normal, wenn ich nur zwei beste Freunde habe und diese noch dazu ständig per "PN" vertröste: "Treffen morgen geht nicht, nächste Woche aber bestimmt!"? - Statistik, ganz sinnlich aufbereitet - und zum Mitmachen - verspricht der erste Blick in die Ausstellung "Like You!" im Museum für Kommunikation Frankfurt. Umfragen und Erhebungen - Quelle ist dabei meistens das "Allensbach Institut" - sind auf Tische drapiert und durch das Stecken von Holzdübeln oder das Kleben von Farbpunkten nehmen Besucher ganz analog teil.
Stefan Nies: "Seit wann kennen Sie Ihren besten Freund oder ihre beste Freundin? 5 Jahre, 10 Jahre, 20 Jahre und so weiter - das machen wir gerade hier diesem Entdeckertisch. Aber das Interessante ist eben, dass auch Jugendliche sagen: Ja, so einen richtig besten Freund, beste Freundin? Da habe ich auch nur einen oder zwei. "
Martina Padberg: "Also: Wir spielen nicht das Digitale gegen das Analoge aus. Die Digitalisierung ist Realität und wir müssen alle gucken, wie wir in dieser veränderten Realität zu Rande kommen. Und darum ist unsere Frage eigentlich: Was verändert sich durch die Digitalisierung in unseren Freundschaftsbeziehungen? Verändert sich überhaupt was? Oder ist es nur eine schnellere Taktung, in der alles miteinander sich austauscht und vernetzt?
Sprechblasen
Fragen, die Stefan Nies und Martina Padberg, Kuratoren von "Like You! Freundschaft digital und analog", beantworten wollen. Mit über 300 Objekten, vom mittelalterlichen Freundschafts-Diadem bis zum Gruppenselfie. Geschickt gemacht: Durchgängig gibt es ein Sprechblasen Design wie bei einem Handydialog.
Stefan Nies: "Wir haben eben mit sehr vielen verschiedenen Experten gesprochen, von Soziologen über Philosophen bis hin auch zu Medizinern. Und die lassen wir eben durch Sprechblasen sprechen."
So ist immer klar, wer spricht; und Meinungen können sich auch mal widersprechen. Verflacht eine Freundschaft, wenn man sie vermehrt digital pflegt? Gerade darüber streiten sich die Geister. Insgesamt ist es eine kleine Kulturgeschichte der Freundschaft, mit Fokus auf das digital-analog-hybride Jetzt.
Stefan Nies: "Wir zeigen das auch an einem Film, wo eben eine Mädchenclique zusammen sitzt. Und einerseits zücken sie natürlich ständig ihre Smartphones und schicken irgendwelche Nachrichten ab. Aber auf der anderen Seite spielen sie dann auch mal gemeinsam dort Karten."
Freundschaft - ein Sehnsuchtsbegriff
Manche Mobbing-, Shaming- und Revenge-Attacken hinter sich, sollte doch klar sein: Kontakte sind nicht gleich Freunde! Aber oft ist die Abgrenzung gar nicht möglich und gemobbt wurde auch schon vor dem Handy. So reiben sich die drei Ausstellungskapitel - Freundschaften finden, pflegen und verlieren - an einem gefühlten Ideal, das seit der Antike beschworen wird: Freundschaft entsteht aus reiner Zuneigung und Vertrauen auf Augenhöhe. Ein Sehnsuchtsbegriff, da selten in aller Erhabenheit erreicht. Wieder an einem Entdeckertisch kann man anhand gezielter Fragen seinen eigenen Freundeskreis gegenchecken: War ich jetzt ein Freund oder nur gerade gut genug, diese 100 Euro zu verleihen? Funfact am Rande: Frauen wurden jahrhundertelang überhaupt nicht für freundschaftsfähig gehalten, zumindest nicht in der Gelehrtenwelt. Aha!
"Do you believe that men and women can be just friends?" - "Yes!" - "Yeah, of course."
Während ein US- Student in seinem Umfrage-Video eine andere Frage aufwirft: Können Frauen und Männer befreundet sein oder kippt es dann früher oder später um, in Liebe? Besonders amüsant: Wenn sie – nach der Liebe - zu ihm sagt: "Können wir doch nur Freunde sein?" - dann schlucken Männer schwer, ein Ergebnis dieser Umfrage. Und überhaupt sagt womöglich die Quantität digitaler Kontakte über ihre Qualität nichts aus: Ein "Like You"-Daumen ist noch lange kein Freundschaftsbeweis.
Freundschaft braucht die analoge Begegnung
Martina Padberg: "Interessanterweise haben wir in der Vorbereitung dieser Ausstellung erfahren, dass die britische Regierung ja jetzt ein Einsamkeitsministerium eingerichtet hat. Weil sie wahrnehmen, dass so viele Menschen, vor allem im Alter, unter Einsamkeit leiden. Also Freundschaft braucht auf jeden Fall analoge Begegnung. Der Mensch reagiert auf einen anderen Menschen auch durch die Körperlichkeit. Wenn man das zu stark ins Digitale verlagert, dann glaube ich, dass es zu wirklich tief wurzelnden Beziehungen nicht mehr so gut kommen kann."
Kommunizierte Texte allein und oft auch ein Foto, reichen nicht aus, um Freunde zu haben. Ergebnisse, zu denen die Kuratoren kommen. Und mit diesem gesellschaftlichen Ausblick schließt "Like You!: Agenturen, bei denen man sich Freunde für einen Abend ausleihen kann, die dann empathisch auf einen einreden. Oder gar Roboter-Freunde, in denen künstlich intelligente Sprach- und Berührungsprogramme ablaufen: das sind im Moment doch noch eher Horrorvorstellungen. Gefühl und Begriff von echten oder besten Freunden: Das könnte etwas sein, das sich jeder digital-technischen Innovation noch sehr lange entzieht.
Like You! Freundschaft digital und analog bis zum 01. September im Museum für Kommunikation Frankfurt https://www.freundschaft-ausstellung.de/