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Ausstellung Radiophonic Spaces
"Zieht man die Kopfhörer auf, öffnen sich die inneren Bilder"

Nur hören, nichts sehen - was macht das mit uns? In der Ausstellung „Radiophonic Spaces“ kann sich der Besucher wie eine Sendersuchnadel zwischen 200 Werken der Radiogeschichte bewegen. Radiokunst boome, sagte Natalie Singer im Dlf, in unserer visuell überfrachteten Welt kehrten viele Menschen zum Auditiven zurück.

Nathalie Singer im Corsogespräch mit Thekla Jahn | 24.10.2018
    Radiophonic Spaces, Ausstellung im Museum Tinguely, Basel
    Der Hörparcours in der Ausstellung "Radiophonic Spaces" (© 2018 Museum Tinguely, Basel; Foto: Daniel Spehr )
    "Also, das Erste ist ein Schock, man kommt in das Museum und sieht eigentlich nichts. Man sieht die Sender und einen Sendemast und Archivstationen, und in dem Moment, wo man aber die Kopfhörer aufzieht, dann öffnen sich die inneren Bilder und die Hörräume und man merkt, dass Klang einen Raum einnimmt und Platz schafft, und manche Hörer haben schon gesagt, das Museum wirkt plötzlich größer, der Raum wird größer."
    So beschreibt die künstlerische Leiterin die Ausstellung "Radiophonic Spaces". Wer durch den akustischen Parcours schreitet, könne im Ätherrauschen unterschiedliche Stücke identifizieren, sie auf dem Handy vormerken und später in voller Länge hören - ergänzt durch Infos zu den historischen und technischen Bedingungen der Radioproduktionen.
    Werke der Radiokunst aus den vergangenen 100 Jahren sind zu hören, darunter Kaiser Wilhelms "Aufruf an das deutsche Volk" von 1918, Orson Welles "The War of the Worlds" von 1938, das Kriegsheimkehrer-Drama "Draußen vor der Tür" von Wolfgang Borchert 1947, Peter Leonhard Brauns "8.15, Operationssaal 3, Hüftplastik" von 1970 oder Milo Raus "Hate Radio" von 2013.
    Jedes Geräusch ist Musik und Klang
    Die insgesamt 200 Werke in der Ausstellung sind nach Themenblöcken sortiert: von "Plattengeschichten" und "Radio mobile" über "Remix und Neuinszenierungen" bis zu "Funkstille".
    "Die Funkstille, die im Radio unmöglich ist, war natürlich für Künstler auch immer ein Grund, die Funkstille zu nehmen, um auch Kritik an den Medien selbst zu führen oder sich wie John Cage natürlich, sich mit den Geräuschen und der Wahrnehmung an sich zu beschäftigen und zu sagen: Es gibt so was wie Stille nicht, jedes Geräusch ist Musik und Klang."
    Von Beginn an haben Radiomacher mit ihrem Medium und den technischen und akustischen Möglichkeiten experimentiert. Heute ist es nicht anders.
    "Man hat jetzt das digitale Zeitalter, man hat Internetplattformen, wir haben Podcasts, wir haben GPS-gesteuerte Hörspiele. Die Möglichkeiten des Experimentierens werden potenziert durch die Technologie. Das Experiment geht weiter, und unsere Ausstellung ist, glaube ich, auch eines dieser Experimente."
    Zwischen Virtualität und Realität
    Die verbesserte Technik bei der Radioproduktion vereinfacht allerdings auch die Manipulation von Originaltönen und damit letztlich Fake-Radio. Nathalie Singer:
    "Das gab es natürlich schon bei Orson Welles, einer der ersten gefakten Reportagen, das ging dann weiter mit "March Movie" des Österreichers Peter Klein oder "Prozedur 770" von Hermann Bohlen. Also auch schon mit Bandmaschinen wurden Fake-O-Ton-Hörspiele gemacht.
    Aber heute potenzieren sich natürlich die Möglichkeiten virtuelle Realitäten zu erschaffen, und wir beschäftigen uns jetzt auch mit immersiven Räumen, der Frage, wie mit binauralen Kopfhörersystemen oder sogar VR-Brillen neue radiophone Räume erschlossen werden können, die zwischen Virtualität und Realität changieren."
    Die Entwicklung der Radiokunst gehe weiter; von visuellen Medien, so Nathalie Singer, werde sie nicht verdrängt. Im Gegenteil:
    "Ich habe das Gefühl, dass sie boomt, dass die Leute sogar in dieser visuell überfrachteten Welt im Moment zum Auditiven sehr stark zurückgehen."
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    "Radiophonic Spaces", vom 23. Oktober 2018 bis zum 27. Januar 2019 im Museum Tinguely, Basel, und vom 1. November bis 10. Dezember 2018 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin.