Archiv

Ausstellung „Rebecca Horn. Körperphantasien“
Leibeserkundungen

In jungen Jahren war Rebecca Horn gezwungen, sich mit ihrem eigenen Körper zu beschäftigen – während eines Aufenthaltes im Sanatorium. Das hat ihre Kunst geprägt. Das „Museum Tinguely“ in Basel zeigt nun mechanische Körperteile und -erweiterungen der mittlerweile 75-jährigen Künstlerin.

Von Christian Gampert |
Rebecca Horn, Weisser Körperfächer, 1973 (Filmstill)
Verhüllen und feiern: Rebecca Horn, Weisser Körperfächer, 1973 (Filmstill) (© 2019: Rebecca Horn/ProLitteris, Zürich)
Die riesigen Flügel, die sich Rebecca Horn 1972 in ihrer Performance "Weißer Körperfächer" umschnallte, haben mehrere Funktionen: Sie können den Leib verhüllen und unsichtbar machen, sie können ihn aber auch feiern und inszenieren. Die weißen Tücher in abgespreizter Stellung machen aus der Trägerin ein geflügeltes Wesen: die Frau als majestätisches Flugobjekt mit weiten Schwingen, das sich dann wieder ganz schmal zusammenfalten kann. Diese Aktion, in Zeichnung, Foto, Video und mit den originalen Tüchern dokumentiert, ist der Ausgangspunkt der Basler Ausstellung, die die lebenslangen Körpererkundungen der Rebecca Horn nachvollzieht. Thematisch, nicht chronologisch.
Das weiße Vogelwesen transformiert sich später, 1981, in eine "Pfauenmaschine", die, von einer Mechanik angetrieben, zu einem Haufen Federn zusammensinkt – um sich dann in Zeitlupe als stolzer balzender Vogel zu erheben.
Rebecca Horn, Die Pfauenmaschine, 1981 (Installation, Museum Ludwig, Köln)
Rebecca Horn, Die Pfauenmaschine, 1981 (Installation, Museum Ludwig, Köln) (© 2019: Rebecca Horn/ProLitteris, Zürich)
Der "Hängende Fächer", eine Installation mit sich aufspreizenden Zauberstäben aus Aluminium, übersetzt dieses Konzept dann endgültig ins Industriezeitalter.
Aber: Sich verpuppen und sich zeigen, das sind wiederkehrende Motive.
"Das ist auf jeden Fall im Kontext ihrer Zeit damals, der 70er Jahre, beginnende Body-Art, Performance-Art. Sie hat dabei aber einen sehr eigenständigen Ansatz entwickelt, da sie aus ihrer persönlichen Geschichte heraus, einer langen Zeit, die sie im Sanatorium war und sich mit ihrem Körper auseinandergesetzt hat, ihre Arbeiten entwickelt"
Das sagt Kuratorin Sandra Beate Reimann. Es ist ein Ansatz irgendwo zwischen Surrealismus, Fluxus und Joseph Beuys.
In der Ausstellung wird der Leib nun von innen nach außen gestülpt. In einer Performance von 1970 ist eine männliche Gestalt umgeben von einem System aus Schläuchen, Blutbahnen, die von einer Pumpe bewegt werden. Im Museum bleiben davon heute immerhin Fotos und die Schlauch-Skulptur übrig. Schließlich ergreift der Körper Besitz von einem ganzen Saal: Das Röhrensystem "El Rio de la Luna" schlängelt sich adernartig durch den zentralen Raum der Schau, vorbei an schwarzen Kästen, den sogenannten Herzkammern, auf denen sich kleine Quecksilber-Pfützen bilden.
Absurditäten des Menschseins
Die Arbeiten beeindrucken durch ihre Reduktion aufs Wesentliche, ihre nahezu klassische Klarheit, ihre Bescheidenheit. Trotz des manchmal großen technischen Aufwands wird hier eher leise an die absurden Bedingungen des Menschlichen, des Menschseins erinnert. Und doch, trotz aller Melancholie, scheinen die Installationen manchmal zu tanzen, zu schweben – nicht nur, wenn ein heimatloser auf- und zuklappender Koffer wie ein Schmetterling an einer haushohen Stange nach oben schwebt.
"Tanz hat Rebecca Horn sehr fasziniert, auch in ihrem Film 'Der Eintänzer' gibt es viele Szenen aus einer Ballettschule. Das Interesse am Tanz ist für Horn so wichtig, weil dort ein Zusammenhang ist von einerseits einer Kontrolle von Bewegung, zum anderen ein Ausdruck von Gefühl durch Bewegung."
Stahl gegen Federn
Natürlich spielt immer auch der Gegensatz männlich-weiblich eine Rolle, hart gegen weich, Stahl gegen Federn. Aber Rebecca Horn versucht, das aufzulösen. Mit Körpererweiterungen, spinnenartig verlängerten Fingern tastet sie sich vor in eine feindliche Welt. Sie benutzt den Körper selbst als Schreib- und Zeichengerät, ein bisschen wie ihre amerikanische Kollegin Carolee Schneemann, aber eingezwängt in eine Kopf-Maske. In der Groß-Installation "Les Amants", die Liebenden, vermischen sich Asche und ein Pigment in einer mechanischen Malmaschine, die flüchtige und manchmal dichte Lebens-Spuren an die Museumswand spritzt. Und in "La Lune Rebelle" kommunizieren von der Decke hängende klackende Schreibmaschinen miteinander – ein Geräusch inmitten von Sprachlosigkeit.
Man könnte nun diverse kunsthistorische Kategorien bemühen. Wichtiger ist: In diesen Arbeiten ist viel Humor zu spüren, aber auch eine gewisse Einsamkeit und Verzweiflung. Verabschieden wir uns mit dem Seufzer der an der Wand hängenden Geige, die diese wunderbar lakonische Ausstellung beschließt.