"Alles was es braucht, um einen Unterdrücker zu karikieren, ist, ihn exakt so zu portraitieren, wie er ist." Davon war der Kölner Ethnologe Julius Lips überzeugt. In seinem 1937 erschienen Buch "Der Wilde schlägt zurück" ließ er keinen Zweifel daran, dass die afrikanischen Künstler sich mit ihren Darstellungen der Europäer an ihren Unterdrückern rächen wollten. Die Lage ist derweil differenzierter, das legen die rund dreißig Objekte, Skulpturen und Zeichnungen der Ausstellung "Spektral-Weiß" im Berliner Hau der Kulturen der Welt nahe. Kuratorin Anne Brus:
"Wir haben zum Beispiel hier vorne ein Maske der Makonde aus Tansania oder Mosambik, und auf dieser Maske ist eine zweite Maske angebracht, auf der eine deutsche Pickelhaube angebracht ist, die zertrümmert ist. Was das für eine besondere Trophäe ist, können wir nicht sagen, und genau so wie sehr viele Objekte, die wir hier zeigen, sind diese Objekte höchst enigmatisch. Wir haben sehr wenig Kontext zu diesen Objekten, wir können oft fast nichts darüber sagen, außer dass sie visuell sehr beeindruckend sind."
Viele Interpretationsmöglichkeiten
Wie im Titel "Spektral-Weiß" anklingt, spielt die Ausstellung mit der Mehrdeutigkeit der Perspektiven auf die Europäer und auch unseres heutigen Blicks auf die Werke. Eine Skulptur des Nigerianers Thomas Onajeje Odulate etwa zeigt ein penibel ausstaffiertes Ehepaar mit weißem Hund an der Leine spazierend - eine Satire auf den gestrengen Schick der britischen Kolonialisten? Der Sohn des 1950 verstorbenen Künstlers, William Onajeje Odulate, ist zur Ausstellungseröffnung angereist und erinnert sich gut an die Intention seines Vaters.
"Mein Vater hat gearbeitet, um unsere Familie zu ernähren. Für Politik hat er sich nicht interessiert. Seine Figuren verhöhnten die britischen Kolonialherren nicht. Er hat sie einfach so abgebildet, wie er sie gesehen hat, Soldaten und Beamte. Dies hier zum Beispiel ist ein Kolonialoffizier. Die Anbetung von unseren traditionellen Göttern war unter den Briten gesetzlich verboten, und diese Figur zeigt einen britischen Offizier während einer Gerichtsverhandlung."
Andere Werke der Schau zeigen unverhohlen den kritischen Blick auf die Unterdrücker: Der"hentakoi", eine aus Holz geschnitzte Schreckensfigur von den nikobarischen Inseln bei Indien, zeigt den britischen Kolonialherren als bedrohlich-clowneske Marionette mit gerecktem Arm und aufgerissenem Mund, in den der Künstler Schweinezähne appliziert hat.
"Man findet Darstellungen, die auf uns satirisch wirken, es aber nicht wirklich sind. Man findet auf der anderen Seite natürlich auch grobe Satire und Parodie des Europäers. Wenn man diese Objekte auch in Zusammenhang mit Ritualen sieht, nicht unbedingt sakralen, sondern mit säkularen Ritualen, in denen der Europäer auch verhöhnt, in seiner Körpersprache nachgemacht und parodiert wird, dann könnte man zumindest vermuten, dass viele dieser Objekte auch Formen von Satire sind - wenn wir zum Beispiel Figuren haben, die so stramm stehen, dass sie fast nach hinten überkippen, oder groteske Gesichter, riesige Schreibgeräte."
Abbilder kolonialer Realität
Die Uneindeutigkeit vieler Werke ist ein besonderer Reiz der Ausstellung. Wie mögen die Kolonialisten samt ihrer exotischen Ausstattung und Rituale auf die indigene Bevölkerung gewirkt haben? Auffällig bei vielen Figuren sind die zahlreichen Details der Kleidung, der Augenmerk auf Knöpfe, Gürtel, Hutformen, aber auch Waffen, Bücher, Stifte und andere Dinge, die die europäische Bürokratie zu verkörpern scheinen. Wie die Figuren des Nigerianers Ondulate, sind die meisten der Objekte gezielt für Europäer hergestellt worden und schließlich in europäische Museums- und Privatsammlungen gekommen. Wie authentisch ist also der afrikanische Blick auf ihre europäischen Kunden?
"Es ist tatsächlich so, dass in der Forschung diese Objekte lange nicht als authentisch galten, sie galten als degeneriert. Und da ist auch etwas, das sich bis heute durchzieht. Diese Objekte befinden sich kaum in ethnologischen Sammlungen und sind auch auf dem Markt nicht besonders wertvoll. Das heißt, dieser Kanon einer vermeintlich primitiven Kunst, der schon um 1900 herum konstruiert wurde, spielt immer noch eine ganz große Rolle. Und es geht eben genau darum, diese Strukturen in der Wissenschaft und in den musealen Sammlungen zu hinterfragen."
Die Ausstellung "Spektral-Weiß" zeigt keine künstlerischen Meisterwerke sondern führt vielmehr vor Augen, wie Gebrauchskünstler der kolonialen Gebiete sich die Gegenwart angeeignet haben, und wie der Handel mit ihren Werken Teil der kolonialen Realität wurde.