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Ausstellung "Streamlines"
Von der Poesie und Politik der Ozeane

In den Hamburger Deichtorhallen ist derzeit eine für die Stadt ungewöhnliche Ausstellung zu sehen: 15 Projekte setzen sich in der Schau mit dem Titel "Streamlines" mit den negativen Auswirkungen des Seehandels auseinander, der Hamburg einst reich gemacht hat.

Von Carsten Probst |
    Bild aus Kaffe,Tee und Gewürzen "Anamnesis" von Otobong Nkanga
    Bild aus Kaffe,Tee und Gewürzen "Anamnesis" von Otobong Nkanga (dpa/picture alliance/Markus Scholz)
    Es gibt viele bewundernswerte, eindringliche Kunstwerke unter den 15 Positionen dieser Ausstellung. Kuratorin Koyo Kouoh vertraut ganz auf die Macht der starken, poetischen Bilder und Metaphern. Da ist dieser dunkelhäutige Mann irgendwo im Urwald, der sich mit einer riesigen Machete auf die nackte Brust schlägt und in die Kamera brüllt: Wenn die Feinde gegen ihn das Schwert richten, werde es ihn nicht verwunden. Wenn er jedoch sein Schwert gegen die Feinde richte, werde es sie durchdringen.
    Nach einigen Momenten versteht man, dass das keine Ethno-Folklore ist, sondern dass es um Öl geht, um ein nur allzu geläufiges Handelsgut also. Dieser Mann ist kein exotischer Buschkrieger, er ist ein Widerstandskämpfer im Niger-Delta gegen die Ausbeutung seines Volkes durch internationale Ölkartelle. In seiner Zwei-Kanal-Videoinstallation stellt der Filmemacher Mark Boulos den Rebellen beim Kriegstanz die brüllenden Aktienhändler an einer Börse im Jahr 2008 gegenüber, am Beginn der weltweiten Finanzkrise. Die Trader und die Krieger, sie übertönen sich gegenseitig und verkörpern genau jene Zweiteilung der Welt, die der Welthandel mit seinen globalisierten Handelswegen, seinen "Streamlines" erzeugt und immer wieder erneuert.
    Eigentümlicher maritimer Lokalpatriotismus
    Die Filmkünstlerin Ulrike Ottinger hingegen nimmt mit einer großen Rauminstallation die Geschichte der weltumspannenden Handels- und Reisewege in den Blick, lange bevor es den Begriff Globalisierung gab. In fast kindlicher Ästhetik beschwört sie Erinnerungen an die Welt auf den großen Schullandkarten aus dem Erdkundeunterricht, in die sie kleine Bilder-Fenster eingefügt hat. Eine gestickte rote Linie umschlingt diese alte Welt mit der Route von Adalbert von Chamissos Weltumsegelung im 19. Jahrhundert. Mit Seemannsliedern und vielen historischen Aufnahmen zielt Ottingers Installation auch auf den eigentümlichen maritimen Lokalpatriotismus, der die Stadt Hamburg seit eh und je umwölkt und bei dem die elenden Lebensbedingungen von Hafenarbeitern und die Ausbeutung ferner Länder eher zur Folklore als zur Politik gerechnet werden.
    Zwei Männer stehen in einem hellen Ausstellungsraum vor an der Wand hängenden Landkarten.
    Installation «Floating Food» von Ulrike Oettinger (dpa/picture alliance/Markus Scholz)
    Surreal-monströs wirken dagegen die Gebilde, die der Belgier Peter Buggenhout aus Alltagsdingen zusammensetzt. Sie wirken wie die Trümmer riesiger Maschinen, an denen man eigentlich nur noch die Gewalt ihrer Zerstörung erkennt. Gerade hier drängen sich Assoziationen mit Schiffswracks auf, mit "Gescheiterten Hoffnungen", wie ein berühmtes Gemälde Caspar David Friedrichs in der benachbarten Hamburger Kunsthalle heißt. Unnötig zu sagen, dass das Thema Flucht und Migration eine Hauptrolle spielt in dieser Ausstellung, bei Arbeiten wie des Franzosen Kader Attia, der Kleidungsstücke von Geflohenen und Gestrandeten auf dem Hallenboden verteilt und in Leuchtkästen die Steinbollwerke an Algeriens Küsten zeigt, die dort nach den Fluchtwellen der 80er-Jahre aufgetürmt wurden, um das Anlanden von Booten zu verhindern.
    Hamburg braucht solche Bilder
    So geht es weiter mit groß- und kleinformatigen Arbeiten, keine schwache ist darunter. Kuratorin Koyo Kouoh hat den Riesenraum der Hamburger Deichtorhalle angesichts des anklagenden Gestus vieler Arbeiten mit erstaunlich leichter Hand und vielen hintersinnigen Ortsbezügen geordnet. Vielleicht spürt man gerade deshalb umso mehr, dass diese Art der Auseinandersetzung für diesen Ort, für diese Stadt neu ist. Dass es nicht selbstverständlich ist, in Hamburg über das Elend zu reden, das jener Seehandel weltweit verursacht, dem diese Stadt schließlich ihren Wohlstand verdankt. Menschen, die ihr Leben riskieren, um auf dem Seeweg nach Europa zu gelangen, wo sie dann oft ein Elend ganz anderer Art erwartet, sind auch in Hamburg erst seit allerjüngster Zeit ein Thema.
    Kein Zweifel - Hamburg braucht solche Bilder, solche Ausstellungen, um sich einmal in einem anderen Licht zu sehen, als ewig im seichten Singsang von "Seefahrt ist Not". Und doch ist es vor allem eine edle Ausstellung geworden: edel in Präsentation und Gesinnung - ebenso, wie sich die Hamburger selbst gern sehen.