Das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln ist ein ethnologisches Museum. Die Sammlung umfasst 65.000 Objekte aus dem außereuropäischen Ausland, darunter Kunst, Alltagsgegenstände, Ritualobjekte, außerdem 100.000 historische Fotografien.
Im vergangenen Jahr kamen rund 150 kostbare Buchseiten hinzu. Das Museum erhielt zwei Schenkungen – und verfügte plötzlich über einen beachtlichen Bestand an Miniaturmalerei der Jainas.
"Und jetzt hatten wir die Chance, mit diesen Schenkungen endlich mal was zum Thema Jainismus zu machen und auch die Religion der Jainas bekannter zu machen", sagt Annabelle Springer, die Kuratorin der Ausstellung.
Jainismus - selbst unter Wissenschaftlern wenig bekannt
Noch nie zuvor gab es in Deutschland eine eigene Ausstellung über den Jainismus, eine alte indische Religion. Gezeigt werden vor allem jahrhundertealte Manuskriptseiten aus religiösen Texten der Jainas, die mit kostbaren Malereien illustriert wurden, den sogenannten Miniaturen.
"Wir wollen auch diese Kunstfertigkeit und auch diese Poesie vermitteln, die in dieser Malerei steckt", so Springer. "Das können wir aber nur schaffen, indem wir das in einen Kontext setzen. Wir sind ja kein reines Kunstmuseum, sondern ein ethnologisches Museum. Und deshalb haben wir versucht, dem einen Kontext zu geben, die Menschen einzuführen in die sehr komplexen Strukturen im Jainismus und sie bekannt zu machen mit den Geschichten, die hinter diesen Texten und Bildern stehen."
Dazu hat sich die Ausstellungsmacherin einen Experten an ihre Seite geholt: Patrick Krüger. Er ist Religionswissenschaftler, Indologe und Kunsthistoriker am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien der Ruhr-Universität Bochum (CERES). Sein Fachgebiet: der Jainismus. "Das ist eine Religion, mit der sich auch weltweit nur eine Handvoll Wissenschaftler beschäftigt", erzählt Krüger. "Vielmehr als dass der Jainismus gewissermaßen eine Schwesterreligion des Buddhismus ist, dass es eine Minderheitsreligion ist, die Themen Gewaltlosigkeit und Askese wichtig sind, vielmehr weiß man selbst in Fachkreisen nicht darüber."
Legenden und Mythen
Der Jainismus ist in Indien entstanden, zeitgleich mit dem Buddhismus, etwa im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Heute bekennen sich schätzungsweise sechs bis acht Millionen Menschen zu dieser Religion; die allermeisten von ihnen leben in Indien.
Der Jainismus ist eine Stifterreligion. Den Überlieferungen zufolge gab es 24 sogenannte Jinas, also religiöse Erneuerer und Wegbereiter. Der letzte von ihnen, Mahavira, wird als Stifter und Begründer der Jaina-Religion verehrt.
"Der ist zunehmend vergöttlicht, deifiziert worden und nimmt zumindest ansatzweise die Funktion einer verehrten Gottheit wahr", erklärt der Religionswissenschaftler.
Ob es die 24 Jinas mit Mahavira als letztem tatsächlich gegeben hat? Eher unwahrscheinlich, sagt Patrick Krüger:
"Es wird mit Sicherheit irgendjemanden gegeben haben, der am Anfang des Jainismus stand, der einen Orden gegründet hat, eine Asketen-Lehre entwickelt hat. Wir wissen aber religionsgeschichtlich, dass diese Gründer, diese Stifter häufig überhöht werden, dass in diesen Personen viele Strömungen, die schon vorher existiert haben, zusammenfließen. Ob es den Jina in der Form gegeben hat, ist äußerst fraglich."
Strenger Verhaltenskodex
Jedenfalls wird der letzte Jina als idealer Mönch und Asket vergöttert. Auf ihn sollen auch die zentralen Lehren des Jainismus zurückgehen. Jainas glauben - wie Hindus und Buddhisten auch -, dass die Seelen einem ewigen Kreislauf von Wiedergeburten unterworfen sind.
"Die Erlösungslehre der Jainas liegt jetzt darin, dass sie aus diesem Kreislauf austreten wollen", so Krüger. "Da ergibt sich folgendes Problem: Die Seele ist ja ewig. Und dieses Dilemma haben die Jainas damit gelöst, dass sie davon ausgehen, dass am Scheitelpunkt des Universums eine Ebene besteht, die der Aufenthaltsort der erlösten Seelen ist, die dort in einem Zustand von Glückseligkeit die Ewigkeit verbringen werden."
Dorthin kann man es nur durch Enthaltsamkeit und einen disziplinierten Lebenswandel schaffen. Für Mönche und Nonnen gehören dazu Ehelosigkeit und Besitzlosigkeit. Und auch für die Laiengemeinde gilt ein strenger Verhaltenskodex. Eines der wichtigsten Prinzipien heißt Ahimsa: Gewaltlosigkeit. Keinem Menschen, keinem Tier und keiner Pflanze darf Schaden zugefügt werden. Deshalb ernähren sich Anhänger der Jaina-Religion vegan. Das Prinzip der Gewaltlosigkeit werde sehr weit gefasst, erklärt der Jainismus-Experte:
"Das heißt, Gewalt ist nicht nur erreicht in dem Moment, in dem ich ein Lebewesen verletze oder töte, es ist auch erreicht, wenn ich jemanden erschrecke, schlecht über ihn spreche, negative Gefühle auslöse, all das läuft unter Ahimsa und ist eben zu vermeiden."
Religiöse Texte und Bildergeschichten
Im Jainismus gibt es zwei Hauptströmungen, man könnte auch von Konfessionen sprechen.
"Es gibt die weißgekleideten Shvetambaras, die weiß gekleideten Mönche, und die Digambaras, das sind die Luftbekleideten, und das heißt nichts anderes als die nacktgehenden Mönche."
Für die Laiengemeinde der weiß gekleideten Shvetambaras ist das sogenannte Kalpasutra ein wichtiger Text. Er schildert das Leben des letzten der 24 Jinas, des Religionsstifters Mahavira.
Vermutlich im neunten Jahrhundert fingen die Jainas an, diese Überlieferungen aufzuschreiben. Die Skripte sind lose gebündelte Seiten im Querformat, reichhaltig verziert, hergestellt vermutlich nicht von Jainas selbst, sondern von Auftragskünstlern in großen Werkstätten.
"Zu diesem Zeitpunkt hat schon eine Medienrevolution begonnen, plötzlich werden Handschriften in großer Zahl hergestellt und kopiert", weiß Patrick Krüger. "Diese Medienrevolution ist vermutlich aus der Begegnung der Jainas mit dem Islam entstanden. Die Muslime, die seit dem achten Jahrhundert von Nordwesten nach Indien eingedrungen sind und das nördliche Indien beherrscht haben, die verfügten bereits über eine ausgeprägte Manuskript-Kultur."
Die Miniaturen, mit denen die religiösen Texte der Jainas illustriert wurden, sind im westindischen Stil gemalt. Die Manuskriptblätter in der Kölner Ausstellung stammen aus der Zeit zwischen 1375 und 1620. Es sind übervolle und detailreiche Bildergeschichten, teilweise geschmückt mit Gold und Lapislazuli.
"Der große Respekt, den die Jainas den Miniaturen und den Manuskripten entgegenbringen, den wollten wir hier auch visuell zeigen, indem wir zum Beispiel auch die Eingangstexte zu den großen Themen in Goldmalerei gestaltet haben", sagt Brigitte Majlis, die die Ausstellung mitkonzipiert und die Texte geschrieben hat.
"Wir haben wirklich versucht, die Schönheit dieser Miniaturen durch das Ambiente zu spiegeln."
Lange Ohrläppchen und ein Brustjuwel
Die Miniaturen können in der Ausstellung mit Lupen betrachtet werden, manche sind auch stark vergrößert dargestellt. Auf vielen dieser Bilder ist Mahavira zu sehen, der legendäre Religionsstifter. Ein fast nackter Mönch im Lotussitz auf einem Thron – und manch ein Betrachter denkt wohl: Das muss ein Buddha sein.
Der Religionswissenschaftler Patrick Krüger: "Jetzt könnte man vermuten, die Jainas haben bei den Buddhisten abgekupfert. Tatsächlich ist es, wie wir heute wissen, genau andersherum gewesen. Diese Abbildungsweise eines sitzenden Asketen, eines Mönches, die kennen wir aus dem Buddhismus, die wurde aber von den Jainas schon vor der Schöpfung der ersten Buddha-Bildnisse eingeführt."
Einen Jina erkennt man übrigens daran, dass er immer ein Juwel auf der Brust trägt. Das hat sich vermutlich in den Werkstätten so ergeben – um ihn von Buddha-Darstellungen zu unterscheiden.
Auffällig sind auch die langen Ohrläppchen: "Das ist ein Bildelement, das verweist auf die königliche Herkunft", erklärt Krüger. "In der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends waren sehr schwere Ohrgehänge, sehr schwerer Ohrschmuck populär, gerade bei den Herrschern. Und dieser Ohrschmuck wurde abgelegt in dem Moment, wo der Jina zum Asketen wurde und all seinen Besitz hergegeben hat. Was blieb, sind die langen Ohrläppchen, die zeigten, dass hier zwar ein besitzloser Wanderasket gezeigt wurde, der aber aus einer königlichen Herkunft sich herleitete."
Prinzip der Gewaltlosigkeit
In der Kölner Ausstellung sind neben den Manuskriptseiten auch Textilien aus der gleichen Zeit zu sehen, die mit ihren Musterungen und figürlichen Darstellungen dem Jainismus zuzuordnen sind.
Gemeinsam mit überlebensgroßen Fotografien aus Jaina-Tempeln in Indien bietet die Schau einen guten Einblick in eine Religion, die hierzulande fast unbekannt ist – und auf das Interesse der Besucher stoße, wie Kuratorin Annabelle Springer sagt:
"Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sie neugierig sind, und dass sie beeindruckt sind vor allem vom Ahimsa-Prinzip, dem Prinzip der Gewaltlosigkeit. Dass eine Religionsgemeinschaft seit 2.500 Jahren dieses Prinzip aufgenommen hat in ihr Leben."
Die Ausstellung "Heilige und Asketen" ist noch bis Februar im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum zu sehen.