Dina Netz: Frank Wedekind, am 24. Juli 1864 in Hannover geboren, verbrachte seine Jugend in der Schweiz, wechselte zum Jurastudium nach München. Das brach er ab, arbeitete als Journalist in der Werbeabteilung von Maggi, als Zirkussekretär, Sänger, Schauspieler. Er gehörte zu den Mitbegründern der Satirezeitschrift "Simplicissimus" und war einer der meistgespielten Dramatiker seiner Zeit. Den größten Teil seines Lebens hat Frank Wedekind in München verbracht, wo er auch begraben ist, und das dortige Theatermuseum ehrt Frank Wedekind jetzt aus Anlass seines 150. Geburtstags mit einer Ausstellung. "Wedekinds Welt" heißt sie. Ich habe den Kurator Manfred Mittermeier gefragt: Wedekind hat viel mehr Dramen geschrieben, überhaupt allerlei anderes gemacht, wovon ich gerade nur einen Teil aufgezählt habe. Trotzdem ist er heute vor allem als der Dichter von "Lulu" und "Frühlings Erwachen" bekannt. Wie kommt das eigentlich?
Manfred Mittermeier: Ich glaube, dass diese beiden Stücke auf ihre Art einen ganz wichtigen Themenkomplex jeweils berührt haben. "Frühlings Erwachen" handelt davon, wie alle irrationalen, mit dem Körper verbundenen, mit Sexualität verbundenen Bestrebungen des Menschen von der Gesellschaft in Dienst genommen, reguliert und dabei auch zum Teil vernichtet werden. Das heißt, das ist etwas, was wir immer wieder erkennen, und das hat das Stück ja auch zum Schuldrama gemacht, weil es auch um eine Generation geht, die das dann gerade in der Schule auch miterlebt.
Und "Lulu", das ist einer der ganz großen Mythen des 20. Jahrhunderts, was die Darstellung von Weiblichkeit betrifft, der sich sehr verändert hat, der auch weitergewirkt hat. Das geht ja nicht nur von Wedekind aus, sondern vom Film, von Louise Brooks - die ist richtig zu einer Ikone geworden - und natürlich auch von der Oper von Alban Berg, und damit hat er zwei ganz zentrale Stücke des 20. Jahrhunderts geschrieben. Die anderen 20 sind auf ihre Art auch immer wieder sehr spannend und sie zeigen, dass diese Themen dann weitergeführt werden. Aber sie sind auf den Bühnen nie so heimisch geworden.
"Als Schauspieler hat er eine ganz neue Ästhetik gefunden"
Netz: Herr Mittermeier, Sie sagen es schon: 20 andere Dramen. Außerdem war Wedekind auch noch Lyriker, Satiriker, Schauspieler, Sänger, Werbetexter, wie Sie es auf Ihrer Homepage schreiben. Welchen Wedekind zeigen Sie denn in der Ausstellung?
Mittermeier: In der Ausstellung dominiert natürlich der Theaterautor Wedekind. Aber der ist von den anderen ja nicht zu trennen. Wer sehr früh schon lernt, wie man seine Texte effizient platziert, sodass sie bei den Menschen im Kopf haften bleiben, wer seine Texte auch verkaufen kann, der schreibt natürlich auch ganz anders. Ein Sänger, der auf den Punkt, auf die Pointe zu bringen versteht, was er transportieren möchte, der schreibt dann auch andere Texte im Bereich des Theaters. Und als Schauspieler hat er eine ganz neue Ästhetik gefunden, die nicht vom traditionellen Illusionstheater herkommt, sondern vom Zirkus, also von der Show, wenn man so will, zum Teil mit grellen Techniken, die bis hin zum Comic gehen, der bei unserer Ausstellung ja auch eine Rolle spielt. Da wirkt alles auch dann irgendwie wieder zusammen.
Netz: Wie zeigen Sie ihn denn? Schriftsteller produzieren vor allem Texte. Das ergibt jetzt nicht immer die anschaulichste Ausstellung. Ich habe gerade das Stichwort Zirkus gehört?
Mittermeier: Ja genau. Der Zirkus ist eine zentrale Metaphorik, die wir verwenden. Da kann man natürlich sehr viel fürs Auge gestalten. Ein Theaterautor schreibt naturgemäß dann auch für die körperliche Performance. Das heißt, auch das spielt eine Rolle. Ich habe angedeutet, der Film und andere Medien haben sich Wedekinds angenommen. Auch das zeigen wir natürlich. Und es gibt in der Wedekind-Forschung ein fast ein bisschen unsinnlich klingendes Wort wie die Groteskmontage, aber daraus hat etwa unser Gestalter dann eine Idee gewonnen, wie man verschiedene Elemente aus Wedekinds Biografie auf groteske Weise zueinander mit viel Humor, mit viel Ironie und auch mit viel Frechheit - wir versuchen ja, auch diese Frechheit Wedekinds ein bisschen herüberzubringen - zusammenfügt zu ganz neuen erhellenden Darstellungsformen zum Beispiel für seine Biografie.
"Er hat eine sehr ungewöhnliche Familiengeschichte gehabt"
Netz: Das müssen Sie jetzt aber mal erklären, wie man sich das vorstellen muss.
Mittermeier: Das sind Bilder, die aus Wedekinds Leben stammen, zum Teil aus seiner Familiengeschichte - er hat eine sehr ungewöhnliche Familiengeschichte gehabt -, aber natürlich auch aus seiner Karriere von den "Elf Scharfrichtern" und so weiter, und die werden zusammengefügt als Collagen und dann mit sehr pointiert ausgewählten Sprechblasen versehen und unterhalb von diesen Bildern, von diesen Montagen sieht man dann in den Vitrinen auch die sachbezogene Information mit vielen Bildern und mit vielen Dokumenten, sodass man auch die Lebensgeschichte Wedekinds nachvollziehen kann.
Netz: In der Ausstellungsankündigung heißt es, dass Sie nicht nur Wedekinds Werk, sondern auch seine Wirkungsgeschichte nachzeichnen wollen. Wie machen Sie das denn?
Wedekind: Das bezieht sich vor allem auf die inhaltliche Wirkungsgeschichte, die ich angesprochen habe, dass man auf Film Bezug nimmt, auf Comic Bezug nimmt, auf die Musik Bezug nimmt bis hin zu einer ganz neuen CD zum Beispiel von den Tiger Lillies, wo ein Lied zu hören ist, das "Mirror" heißt, und der Spiegel ist wiederum ein zentrales Symbol unserer Ausstellung. Das heißt, wir versuchen, alle diese Fäden dann auch wieder zusammenzubinden. Es geht weniger um Theaterhistorie. Wir zeigen natürlich Bilder von verschiedenen Aufführungen, aber es ist in erster Linie: wie wirkt der Raum, der fantastische Raum, den Wedekind in seinem Kopf entworfen hat, wie wirkt der in den verschiedensten Medien bis heute weiter.
Netz: Manfred Mittermeier, Kurator der Ausstellung "Wedekinds Welt" im Münchner Theatermuseum.
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