Im Basler Musée Tinguely kann seit neuestem Pizza bestellt werden…
"Pizza Gorgonzola!"
Der ungeduldige Stammgast, der hier so lautstark durchs Museum krakeelt, ist die Künstlerin Anca Munteanu Rimnic, die uns per Lautsprecher die halbe Speisekarte vorliest.
"Pasta Gorgonzola!"
Man könnte also durchaus Appetit entwickeln – und darum geht es ja in dieser Ausstellung, in der man das Schmecken lernen soll. Schon in den allegorischen Stillleben des Barock werden Früchte so lebensecht dargeboten, dass dem Betrachter das Wasser im Munde zusammenläuft. In den Stillleben der Moderne ist das anders. Auf einem Video von Sam Taylor-Johnson von 1991 verfaulen Äpfel und Birnen innerhalb von vier Minuten, und im "Großen Schimmelbild" von Dieter Roth sieht man hinter Glas verweste organische Stoffe.
Eine Ausstellung über den Geschmackssinn ist eine Spielwiese, auf der man fast alles machen kann. Eine Pyramide aus Orangen wird peu à peu vom konsumierenden Publikum abgetragen – die Pyramide, das Totenhaus, als Lebens(mittel)spender.
Kunst zum Anknabbern
An einer Museumswand wurden von Elizabeth Willing kleine Lebkuchen angebracht, die angeknabbert werden dürfen – die weiße Wand verändert dadurch ihr Aussehen. Immerhin wird man nicht, wie im Märchen, von einer kannibalistischen Hexe hineingelockt ins Pfefferkuchenhaus.
Kuratorin Annja Müller-Alsbach hat die Ausstellung in die Bereiche süß, sauer, bitter, salzig und umami, also herzhaft-würzig, eingeteilt – und sich noch eine kleine Hintertür offengelassen:
"Inspiriert von den vergangenen Sinnes-Ausstellungen, habe ich mir überlegt, dass der Geschmackssinn der niedrigste innerhalb der Hierarchie ist, weil er der körperlichste ist und direkt auch mit erotischem Lustempfinden zu tun hat. Darum hab ich das Kapitel 'Geschmack der Begierde' dazugesetzt."
Zunge als Tastorgan
Denn natürlich ist alles, was mit körperlicher Liebe zu tun hat, auch von Geschmacks-Empfindungen geprägt. Man kann jemanden eben riechen oder nicht. Oder schmecken. Aus einer Wand züngelt uns eine künstliche Zunge entgegen - das erotische Schmeck- und Tastorgan schlechthin. In einer Fotografie von Janine Antoni leckt eine Zunge Haut, Augenhöhle und Wimpern ihres Gegenüber – mehrere Sinne sind hier involviert.
Die Ausstellung präsentiert natürlich die Klassiker des Genres, also die Speiserest-Assemblagen von Daniel Spoerri oder Meret Oppenheims surreales Menü für den Schachliebhaber Marcel Duchamp. Immer nach dem Motto: Wenn alle Künste untergehn, die edle Kochkunst bleibt bestehn.
"... über andere Länder sprechen"
Aber: Viele der Dinge, die wir täglich schmecken, kommen von weit her. Zucker, Chili, Kolanüsse sind importierte Güter. Nahrungsmittelkonsum spiegelt auch Weltwirtschaft. Kuratorin Annja Müller-Alsbach hat sich deshalb gedacht,
"…dass das Thema, das politisch vielleicht Migration und Assimilation bedeuten würde, dass man das versucht, auf den Geschmack herunterzubrechen, um vom Geschmack ausgehend über andere Länder und Kontinente zu sprechen."
Deshalb erklärt uns die nigerianische Künstlerin Otobong Nkanga in einer Performance die spirituelle Bedeutung der Kolanuss in ihrer Heimat. Und ihr Landsmann Emeka Ogboh braut für eine wandhohe Installation schwarzes Bier, um die Präsenz der Afrikaner in Europa zu unterstreichen.
Moos-Wasser oder Erdbeer-Wasser?
Am schönsten sind die Arbeiten, die die Besucher auf ihren eigenen Geschmackssinn verweisen. Marisa Benjamim lässt uns Pflanzen und Blumen aus ihrem Kräutergarten essen. Und Claudia Vogel destilliert aus getrockneten Früchten wässrige Essenzen, bei deren Genuss man dann raten kann, was das ist: Moos-Wasser oder Erdbeer-Wasser. Und so ist diese schöne Ausstellung auch eine Wahrnehmungs-Schulung.