Die Berliner Ausstellung über die Gebrüder Humboldt möchte nicht heroisieren, aber auch nicht alles umwerfen, was in den letzten Jahren über die fraglos bedeutenden Errungenschaften der beiden Forscher veröffentlicht wurde. Die Kunsthistorikerin und Kolonialismusforscherin Bénédicte Savoy, die die Ausstellung zusammen mit David Blankenstein kuratiert hat, sagte, sie wolle einen vielleicht etwas kühleren Blick auf die Brüder werfen lassen und sie in ihren historischen Bedingungen sehen.
Raphael Gross, der Präsident des Deutschen Historischen Museums, sekundierte mit der Anmerkung, dass die Humboldt-Brüder mit ihrem positiven Forschergeist gerade noch vor jener historischen Linie lägen, bevor vieles von diesen Forschungen dann "ins Unheimliche zu kippen begann". Was in dieser Ausstellung an verschiedenen Lebens- und Forschungsstationen und auch politischen Rahmenbedingungen zu sehen ist, birgt in der Tat aus heutiger Sicht zahlreiche Ambivalenzen, die eben nur dadurch entschärft werden, dass das alles im zeitlichen Kontext vor 200 bis 250 Jahren gesehen werden muss.
Großbürgerliches, exklusives Bildungsideal
Dazu gehört der Bildungsbegriff vor allem von Wilhelm, aber auch von Alexander von Humboldt, der Bildung als Vervollkommnung des Menschen nach griechischem Ideal fasst, also nach einem betont großbürgerlichen, ganz und gar exklusiven Bildungsideal strebte. Oder die Schädelfunde Alexander von Humboldts, die ganz eindeutig auf Raubgrabungen beruhten, auch wenn sie natürlich ein Forschungsinteresse verfolgten. Ebenso die Mineraliengrabungen, die auch der Forschung nach ausbeutbaren Bodenschätzen dienten. Und die Aneignung des Fremden, der anderen Kulturen, die sich immer mit einer Suche nach einer universellen Menschheitslehre verband, nach einer Kosmologie - einhergehend mit einem gewissen Apparat der Klassifizierungen und Einordnungen.
In ihrer Zeit waren die Gebrüder Humboldt mit ihrem Grundansatz dennoch liberale Geister, beeinflusst von den Ideen der Aufklärung und mit einer ungewöhnlichen Spannbreite an Fähigkeiten. Und weil Alexander dann lange in Paris geforscht hat und viel zur Vermittlung zwischen Berlin und Paris beitrug, wurde er in Preußen nicht zuletzt auch als Spion denunziert.
Die viel beschworene Aktualität der Humboldt-Brüder entpuppt sich in dieser Ausstellung vornehmlich als besonders gute Rezipierbarkeit. Beide haben, wie man heute sagen würde, ganzheitlich gedacht: Sie haben den Zusammenhang von Klima und Kultur gesehen, die Bedeutung von klassenübergreifendem Zugang zu Bildung für den Staat erkannt, sie haben an der Gründung großer Museen und der Berliner Universität mitgewirkt. Und sie verfolgten eine sehr sinnliche Form von Wissenschaft mit exquisiten Zeichnungen und ästhetischer Ausrichtung, auch mit Geräuschen und sogar Gerüchen - was man in dieser Ausstellung mit fünf "Geruchsstationen" versucht hat, ein wenig einzufangen. Gerade bei Alexander von Humboldt bündeln sich diese ganz universellen Einsichten, die für unser heutiges Weltbild natürlich entscheidend sind.
Ausstellung thematisiert auch Kolonialismus
Das Thema Kolonialismus, für dessen Erforschung Bénédicte Savoy zuletzt öffentlich bekannt wurde, wird in der Ausstellung eher im Hintergrund abgehandelt - aber durchaus wirksam. Savoy weist darauf hin, dass es in der aktuellen Kolonialismus- und Restitutionsdebatte vor allem um den afrikanischen Kontinent gehe, der für die Humboldts damals noch gar nicht in Reichweite war. Aber auch in Südamerika gab es kolonialistische Strukturen, deren sich insbesondere Alexander von Humboldt, wie aus seinen schriftlichen Notizen hervorgeht, durchaus bewusst war.