MUSIK: Günter Raphael: Duo a-Moll für Bratsche und Violoncello op. 47 Nr. 4
Das Duo a-Moll für Bratsche und Violoncello hat Günter Raphael 1940 in Meiningen geschrieben. Er lebte dort seit 1934, weil er als sogenannter "Halbjude" nicht mehr Musiktheorie und Komposition am Leipziger Konservatorium lehren durfte. Der Dirigent Wilhelm Furtwängler bezeichnete Raphael damals als "eines der besten Talente der jüngeren deutschen Generation. Ein Musiker, der eine ungewöhnliche Beweglichkeit der Phantasie und ein großes, wirkliches Können besitzt. Wir haben zweifellos noch viel Gutes von ihm zu erwarten." So Wilhelm Furtwängler. Doch das nützte dem Komponisten mit zwei jüdischen Großeltern-Teilen nichts. Zwar hätte ihm das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom April 1933 nichts anhaben müssen, da er am Landeskonservatorium der Musik zu Leipzig nicht im Staatsdienst stand.
Ausgrenzung, Verfolgung, Ermordung
"Tatsächlich war es nach der sächsischen Verordnung nicht zwingend, dass Nicht-Arier dann nicht mehr Lehrkräfte sein konnten und entlassen werden mussten, sondern es wurde nur nahegelegt, dass man sie entlässt", erklärte Christoph Gann, der Raphaels Leben erforscht hat. Unterschrieben ist die Kündigung vom Dezember 1933 von Carl Goerdeler, dem damaligen Leipziger Oberbürgermeister, der 1945 als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus hingerichtet werden sollte. Er hatte nichts gegen die Entlassung Raphaels aus "rassischen" Gründen einzuwenden, ebenso wenig der Thomaskantor und Vorsteher des Kirchenmusikalischen Instituts des Konservatoriums, Karl Straube, der zwar große Stücke auf Günter Raphael hielt, aber selbst schon 1926 in die NSDAP eingetreten war. Stattdessen hatte Straube schon im März´33, also ein halbes Jahr vor der Entlassung, die Stelle einem anderen angeboten. In Meiningen konnte Raphael zunächst noch privat unterrichten und unter großen Mühen halblegale Konzerte veranstalten.
"Raphael selber litt an einer schweren Lungenkrankheit, hat im Schwarzwald lange im Sanatorium von St. Blasien sich aufhalten müssen. Da konnte er auch wieder Konzerte geben, u.a. auch für das Winterhilfswerk. Und schrieb an seinen Schüler: "Das Spielen der Lieder der Nation (u.a. Horst-Wessel-Lied)", darum sei er nicht herumgekommen. Raphael: "Ich sagte mir aber: Besser gespielt als gesungen!"
Günter Raphael wurde nicht deportiert, aber nicht einmal die Schüler seiner "arischen" Ehefrau durften öffentlich auftreten. Raphaels Schicksal steht für die Bandbreite der variantenreichen Ausgrenzung, Verfolgung, bis hin zur Ermordung von Musikern im Nationalsozialismus. Es ist ein Beispiel für viele, auch in Thüringen. Die Altenburger Sängerin Josefine Back-Freund, die u.a. Johann Strauss, Arthur Nikisch und Franz Lehár persönlich kannte und mit Johannes Brahms befreundet war, überlebte das Ghetto Theresienstadt und den Typhus. Die Erfurter Tänzerin und Tanzlehrerin Editha Cohn wurde an ihrem 45. Geburtstag in Auschwitz ermordet. Die vielversprechende Sängerin Lilly Jank aus Gera, im Studium durch den Staat Thüringen durch ein Stipendium unterstützt, wurde im August 1933 vom Badischen Landestheater entlassen, floh später mit ihrem Mann nach Vichy-Frankreich, wurde dort 1944 verhaftet und starb in Ravensbrück. Andere starben in Belzec, in Sachsenhausen; einige hatten Glück und konnten emigrieren, nach Palästina, in die Schweiz, in die USA. In Deutschland aber hinterließen sie Leerstellen, wie der Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer in seinem eindrucksvollen Vortrag über die nicht erwiderte Liebe der Juden zu den Deutschen ausführte.
"Die zunehmende Dominanz der Juden in repräsentativen gesellschaftlichen Bereichen war den Deutschen unheimlich. Dass sie mit der Vertreibung und Ermordung ihrer jüdischen Mitbürger etwas verloren hätten, gar ein Stück ihrer selbst, ihrer eigenen Identität, kam jedenfalls den meisten nicht in den Sinn. So schlug das Verschwinden der Juden den Deutschen im Allgemeinen nicht aufs Gemüt, wenn es nicht sogar als Erleichterung empfunden wurde. Und Trauer konnte sich bei ihnen auch nach 1945 nicht einstellen, da sie in der Regel gar kein Gefühl des Verlusts hatten. Das deutsche Judentum ist ein Toter, der nicht bestattet und beklagt wurde."
"Der Mensch lebt so lange, wie jemand an ihn denkt"
Zumindest dem Vergessen wollten Konferenz und Ausstellung im Weimarer Stadtmuseum entgegenwirken, das an der Straße zwischen Deutschem Nationaltheater und Buchenwald liegt. Gerade im Lokalen, im bekannten, vertrauten Raum sei dies wichtig, betont die Leiterin der Tagung, Helen Geyer:
"Es geht eigentlich um eine Bewusstseinsbildung. Wenn man von der Identität der Stadt spricht, dann gibt es verschiedene Ebenen. Wir haben hier Goethe und Schiller, das ist richtig, das gehört zu dieser Stadt. Und natürlich, dass das eine der tragenden Kulturschichten war, auch musikalisch gesehen. Und dass man sich überhaupt nicht klarmacht, was man sich eigentlich in der Geschichte mit relativem "Erfolg" geleistet hat, nämlich diese Kulturschicht so mundtot zu machen, dass sie doch noch Jahre danach mundtot ist. Aber der Mensch lebt so lange, wie jemand an ihn denkt."
Die Weimarer Ausstellung zeigt beispielhaft Biographien rassisch verfolgter Musiker in Thüringen, in Weimar, Erfurt, Nordhausen, Gera etwa. Recherchiert hat diese Lebensgeschichten die Musikwissenschaftlerin Maria Stolarzewicz, die von Trauer und Freude während dieser Arbeit berichtete:
"Mich hat die Biographie der Sängerin Florence Singewald sehr berührt. Die Sopranistin Florence Singewald war am Neuen Operettentheater in Gera. Anfang 1944 wurde sie in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt. Und dort stand sie zweimal vor Dr. Josef Mengele. Zur Selektion. Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich ihre handschriftlich verfassten Briefe aus den 80er-Jahren im Stadtarchiv Gera gefunden habe. Es war für mich eine greifbare Bestätigung, dass sie die Haft in Auschwitz-Birkenau und die schwere Arbeit in Salzwedel überlebte."
Konzerte im KZ
Die Musikwissenschaftlerin Christine Oeser wandte ihren Blick nach Buchenwald. Sie stellte besondere Schicksale von KZ-Häftlingen vor, denen die Musik physisch wie psychisch half zu überleben. Unter anderem das des holländischen Geigers Jo Juda, der als Geisel vergleichsweise privilegierte Haftbedingungen hatte.
"Es wurden auch Konzerte veranstaltet. Von seinem ersten Konzert erinnert sich Juda, 'dass beim ersten Sonntagnachmittags-Konzert alle Musikliebhaber unserer Gemeinschaft, die zum Zuhören in den großen Raum gekommen waren, bereits beim ersten Stück ihre Gefühle nicht mehr unter Kontrolle hatten. Es wurde geschluchzt, geweint; bei einigen bewegte sich nervös der Unterkiefer. Mir selbst liefen die Tränen über die Wangen. Nach einer halben Stunde war die Oberseite der Geige klatschnaß. Das war das emotionsgeladenste Konzert, dass ich je gegeben habe'".
Christoph Stölzl, der Präsident der Weimarer Musikhochschule, deren Studenten zur Ausstellungseröffnung Werke von Günter Raphael spielten, sagte zu ihnen:
"Kompositionen, die nicht erklingen, sind für immer verloren. Und viele von dieser Generation sind eben die, die nicht weltberühmt waren im Jahr ´33, sondern anfingen, ihre Schritte zu tun. Und wir haben sie fast für immer verloren. Also, wenn wir etwas tun können, dieses versunkene Atlantis eines modernen Deutschlands, eines modernen, zugewandten Mitteleuropas zurückzuholen und in seine Rechte wieder einzusetzen, ist jeder Schritt gut."
MUSIK: Günter Raphael: Duo a-Moll für Bratsche und Violoncello op. 47 Nr. 4
MUSIK: Günter Raphael: Duo a-Moll für Bratsche und Violoncello op. 47 Nr. 4