"Hier ist man so weit weg vom Osten, von der DDR. Da kann man sich damit beschäftigen, muss man aber nicht. Während die Leute im Osten, für die war von einem Tag auf den anderen alles auf den Kopf gestellt. Deswegen ist das für mich jetzt gerade spannend, das so weit im Westen zur Diskussion zu stellen."
Die Wende als Kind "ästhetisch gespürt"
Mönchengladbach, Museum Abteiberg, einer der Gründungsbauten der sogenannten Postmoderne, die in den 1980ern das Ende der Geschichte behauptete. Hier findet Henrike Naumanns erste eigene Museumsschau in Deutschland statt, ziemlich weit weg von ihrer Kindheit in Zwickau, wo man das "Ende der Geschichte" ganz anders erlebte, direkter, existenzieller als im Westen. Und auch dem Millennium fieberte man anders entgegen. Dem spürt Henrike Naumann mit der Schau "2000" nach - anhand von Möbeln, Kleiderständern, Nippes-Figuren aus den 90ern, auf Teppichen mit den Umrissen von BRD und DDR.
"Ich war ja sehr jung bei der Deutschen Einheit, also ich war fünf Jahre alt. Ich habe das politisch nicht verstanden, aber ästhetisch gespürt, was sich da verändert."
Von einem Tag auf den anderen waren in Henrike Naumanns Elternhaus die alten DDR-Möbel weg und dafür diese schrillen West-Möbel da: "Memphis-Design", eine Bewegung aus Italien, ebenfalls der Postmoderne zugeschlagen und der Fachterminus für Wohnzimmerwände als freies bis völlig enthemmtes Spiel geometrischer Formen. Hier noch ein Pyramidchen, dort noch ein Erkerchen mit Schwung:
"Die Kopie von der Kopie von postmodernem Design, unfreiwillige Klassiker: dadurch, dass die so in Masse produziert wurden. Und irgendwie überlebt plötzlich so ein gewellter Kleiderständer, obwohl alle die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
"Die Alternativlosigkeit treibt die Leute in die Radikalisierung"
Da sticht die Schwarz-Rot-Gold-emaillierte Sparbüchse als Detail ins Auge in einem der möbelprospekthaften Wohnzimmerszenarien; sie hat die Form einer aufgehaltenen Hand. Nah dran am Klischee: Ossis in der Konsumfalle, die kreditfinanziert wie Wessis leben wollten - oder auch mussten. Und damit endet für Henrike Naumann das Klischee. Da war so ein Gefühl für die Teenagerin in den späten Neunzigern:
"Man ist zurückgeworfen, man muss aufschließen! Im Prinzip diese Einheit durch Wirtschaft, durch Konsum. Dieser ganze Umgang mit der DDR als gescheiterter Staat, kommt jetzt als Backlash gerade so zurück. Ich habe den Eindruck, dass diese Alternativlosigkeit - es gibt nur ein wahres System, und wenn Ihr in dem System nicht funktioniert, dann liegt das an Euch -, das treibt, glaube ich, Leute in die Radikalisierung.
Vom verspielten Wohnzimmermöbel bis zur Radikalisierung etwa von Beate Zschäpe vom NSU, das ist natürlich schon ein gewaltiger Gedankenschritt. Die Ausstellung macht deutlich, wie es gemeint ist. In einigen der stilisierten Wohnzimmer laufen Videos. Fiktive und suggestive Plots: Man sieht Jugendliche, die "abgehen", Techno tanzend dem Jahr 2000 entgegen. Aus einem Grüppchen schält sich allmählich Beate Zschäpe. Man meint, sie zu erkennen.
Jugendzimmer mit Baseballschläger und Reichsflagge
Gut gemacht. Henrike Naumann wurde schon gefragt, wo sie denn dieses Material her habe. Und so kommen bei der pubertierenden Zschäpe in dem Video Baseballschläger und die Reichsflagge ins Jugendzimmer: Weil von einem Tag auf den anderen eine Leere da war. Die Werte, mit denen sie in der DDR aufwuchs, wurden ersetzt und so alles austauschbar. Plausibel? Zumindest interessiert doch brennend: Wann und warum genau wird jemand gewalttätig?
"Ich sage ja jetzt nicht, dass die DDR gut war oder fair, das will ich auf keinen Fall sagen. Aber indem man alles abgekanzelt hat, entwertet hat, ist auf jeden Fall viel auf der Strecke geblieben. Eine Solidarität oder irgendwie eine Absicherung der ganzen Gesellschaft, also solche Sachen, das war dann auch gleich alles mit schlecht."
Mit "2000" will Henrike Naumann mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben: Ist die DDR zum Beispiel vielleicht doch zu schnell abgewickelt worden? Welche ihrer Reformideen vor 1990, die es ja gab, hätte man noch mitnehmen können und sollen? Zwar tickt an einer Ecke der Schau unerbittlich eine Millenniums-Countdown-Uhr, aber: Sie ist zurückgestellt, als habe man eine zweite Chance. Man kann hier die schräg überdesignten Kerzenständer noch einmal schrecklich finden. Oder nicht mit dem UN-Blauhelm, der da baumelt, in den Krieg ziehen. Aber alles noch mal anders, besser machen, das kann am Ende nur Kunst.
Die Ausstellung "2000" ist noch bis zum 10. Juni 2018 im Museum Abteiberg in Mönchengladbach zu sehen.