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Ausstellung zu 100 Jahre Frauenwahlrecht
Als Frauen sich politische Partizipation erkämpften

Es war ein historischer Tag: Am 19. Januar 1919 durften Frauen in Deutschland erstmals wählen. Wie die Frauenbewegung, auch international, für ihre Rechte eintrat, zeigt die Ausstellung "Damenwahl" im Historischen Museum Frankfurt. Und die Schau fragt auch nach der Gleichstellung heute.

Dorothee Linnemann im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 30.08.2018
    1910 demonstrieren Sufragetten vor den Londoner "Houses of Parliament". Auf ihren Plakaten steht: "Votes for Women", "Womens Social & Political Union".
    1910 protestieren Sufragetten vor den Londoner "Houses of Parliament". Als der Premierminister an ihnen vorbeiging, drohten sie ihn zu erschießen. (dpa /picture-alliance )
    Maja Ellmenreich: Zwei kurze Striche. Das ist die kleinstmögliche Form politischer Willensbekundung: das Kreuz auf dem Wahlzettel. Seit einem Jahrhundert dürfen es die Frauen auch in Deutschland machen. Lange haben sie kämpfen müssen, bis die Männer es ihnen gewährten. Und die erste Gelegenheit bot sich im Januar 1919 - bei der Wahl zur deutschen Nationalversammlung; da durften Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen und sich wählen lassen. Dieses denkwürdige Jubiläum greift das Historische Museum Frankfurt jetzt auf in einer Ausstellung mit dem Titel "Damenwahl". Und ich habe mit der Kuratorin der Ausstellung gesprochen, mit der Historikerin Dorothee Linnemann. Das aktive und das passive Wahlrecht wurde 1918 den Frauen in Deutschland zugesprochen. Haben denn im Januar 1919 auch viele Frauen davon Gebrauch gemacht?
    Dorothee Linnemann: Ja. Von dem Wahlrecht, was die Frauen durch die November-Revolution erhielten in Deutschland, haben tatsächlich enorm viele Frauen am 19. Januar 1919 Gebrauch gemacht - so viele, dass auch mehr Männer zur Wahl gingen, weil die Frauen offensichtlich so gut vorbereitet waren, dass sie auch ihre Brüder, Männer, Väter explizit zur Wahl angeregt haben.
    Ein Leben ohne Korsett
    Ellmenreich: Das klingt so, als wäre wirklich diese Bewegung tief verwurzelt gewesen in der weiblichen Bevölkerung, also die Frauenbewegung nicht nur ein kleines Lichtchen, sondern wirklich breit in allen Bevölkerungsschichten vertreten?
    Linnemann: So können wir das sagen. Die Bewegung war so groß, dass auch große Verbände sehr viele Frauen hinter sich scharten und in den Städten vor allen Dingen zu Demonstrationen, öffentlichen Versammlungen und auch Petitionen an den Reichstag schon um 1900 führten. Da war schon viel los, bevor überhaupt nach dem Krieg eine Demokratisierung passierte.
    Ellmenreich: Aber das Frauenwahlrecht war nur eins in einem großen Strauß wahrscheinlich von Forderungen. Wie langfristig haben denn eigentlich damals die Frauen in dieser Bewegung gedacht? War die gesellschaftliche Gleichberechtigung das Langfristziel, die Mitbestimmung und auch die Selbstermächtigung?
    Linnemann: Neben dem Frauenwahlrecht waren Forderungen nach einer höheren Bildung für Mädchen und Berufsausbildung für Frauen ganz essentiell mit der Industrialisierung, und das zeigten zum Beispiel auch Ausstellungen oder auch von Käthe Kollwitz zum Beispiel künstlerische Auseinandersetzungen, die in die Öffentlichkeit gelangten durch Plakate, dass Frauen durch die Industrialisierung bereits existenzsichernde Berufe erlangen wollten. Das Ehe-Ideal war nicht mehr das der Realität entsprechende, auch in bürgerlichen Kreisen, und Arbeiterinnen hatten sowieso die Not, arbeiten gehen zu müssen.
    Das zweite war die sogenannte Sittlichkeitsfrage. Wir haben das übersetzt für die Ausstellung in körperliche Selbstbestimmung. Dieser Bereich wurde auch von den Frauen um 1900 bereits thematisiert - sowohl was die Mode anging. Einschnürende Korsette, die wir auch in der Ausstellung zeigen, waren gesundheitsschädlich und ab dem siebten Lebensalter schon Kleidungsstück und beschränkten die Frauen nicht nur in ihrer Freizeit, sondern auch im Berufsleben.
    Radikalisierung der Frauenbewegung
    Ellmenreich: Die Frauen haben sich ja international - das haben Sie gerade schon angedeutet – stark dafür gemacht, dass diese Korsette jetzt im tatsächlichen, aber auch im übertragenen Sinne nicht mehr zu tragen waren. Wie stehen die deutschen Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht eigentlich da im internationalen Vergleich? Waren die vorne mit dabei, oder haben die länger kämpfen müssen als andere?
    Linnemann: Die deutsche Frauenbewegung stand eigentlich an derselben Stelle wie viele andere Frauenbewegungen - zum Beispiel in Großbritannien. Da hatte man auch Kontakte. Es gab auch Kongresse zum Frauenstimmrecht. Man beobachtete diese Bewegung und auch in Großbritannien war es so: Es gab lange Zeit eine gemäßigte Frauenbewegung, die auf Reformen im Wahlrecht drängte, gar nicht mal eine komplette Gesellschaft umstürzen wollte, und als daraus nichts wurde, radikalisierte sich diese Frauenbewegung und die Suffragetten versuchten, öffentlich das Frauenwahlrecht durch Aktionen und Demonstrationen zu erkämpfen.
    Das passierte auch in Deutschland. Man nahm sich das auch als Beispiel. Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann - zwei ganz wichtige Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht in Deutschland - gründeten einen ersten Frauen-Stimmrechtsverein in Hamburg, und von da ausgehend wurden auch im bürgerlichen, aber auch im Arbeiterinnen-Milieu - der Internationale Frauentag entstand extra dafür - auch Demonstrationen, sogenannte Kutschfahrten 1911/12 veranstaltet, um für das Frauenwahlrecht Aufmerksamkeit zu erzeugen. In dem Sinne sind diese Bewegungen international - dadurch, dass sie sich über die Formen, wie sie für das Wahlrecht kämpfen, austauschten und auch einen gemeinsamen Ausdruck suchten.
    "Wir fragen schon, wie weit sind wir heute gekommen?"
    Ellmenreich: Nun schreiben Sie in Ihrer Ausstellungsankündigung, das Thema habe an Aktualität nicht verloren. Die Schirmherrin der Ausstellung ist ja sogar auch die Bundesfamilienministerin. Wo genau sehen Sie heute die Bezüge zurück ins Jahr 1918 beziehungsweise '19?
    Linnemann: Im Kern geht es in der Ausstellung und uns um die Frage der politischen Partizipation, die sich 1919 ja gerade dadurch ausdrückte, dass man im Parlamentarismus eine Mitbestimmung haben wollte. Und wir fragen schon, was ist eigentlich aus dieser Forderung geworden, wie weit sind wir heute gekommen. Und wenn wir uns die Entwicklung im Bundestag nach 1945 angucken, so ist doch merkbar, dass erstens die parlamentarische Beteiligung von Frauen natürlich gestiegen ist, wenn auch langsam, dass die Frauenquoten zu einer Erhöhung massiv beigetragen haben, und dass heute der Stand der politischen Mitbeteiligung von Frauen im Bundestag wieder so niedrig ist wie vor 19 Jahren, und es pendelt sich bei 30 Prozent ein.
    Ellmenreich: …von Gleichstand also noch immer ein weites Stück entfernt.
    Das war Dorothee Linnemann vom Historischen Museum Frankfurt. Sie hat die Ausstellung "Damenwahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht" kuratiert, die bis in den Januar hinein zu sehen sein wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.